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Corona: Was ist los, Deutschland?

Barbara Wesel | Oliver Sallet | Juri Rescheto | Tania Krämer | William Yang
12. März 2021

Vor einem Jahr wurde Deutschland überschwänglich für seine Corona-Politik gefeiert, heute käme niemand auf diese Idee. Im Ausland: Verwunderung und Häme.

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Mundschutz auf dem Boden
Bild: Eibner-Pressefoto/picture alliance

"Wie es Deutschland richtig machte, während Großbritannien falsch lag" - titelte der britische "Telegraph". Der "New Zealand Herald" zählte Deutschland zu den Gewinnern der Corona-Krise, mit seiner Strategie im Kampf gegen die Pandemie sei es weltweit ein Vorbild. Und aus Israel hieß es, Merkel werde in der Corona-Krise als Führungsgestalt gesehen, "die den Menschen die Situation verständlich machen kann". Diese Lobeshymnen sind alle gerade einmal ein knappes Jahr her. Und scheinen doch wie aus einer fernen Zeit.

Corona-Bekämpfung: Ist das noch Deutschland?

Hätte man im Sommer 2020 Wetten abschließen können, wer international auch die zweite und vielleicht dritte Corona-Welle perfekt in den Griff bekommt, viele hätten ihr gesamtes Geld auf Deutschland gesetzt. Natürlich, "Made in Germany", der Organisationsweltmeister, mit diesen Forschern, die dabei sind, in Windeseile einen neuen Impfstoff zu entwickeln.

Die Menschen, die so gewettet hätten, wären jetzt alle blank.

Angela Merkel und Jens Spahn
Tiefer Absturz der Krisen-Weltmeister: Kanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens SpahnBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Denn Deutschland ist vom weltweit beachteten Streber in der Corona-Pandemie zum Problemschüler mutiert, dessen Versetzung in einigen Bereichen stark gefährdet ist. Masken? Zu wenige. Impfen? Zu knauserig. Tests? Zu spät. Digitalisierung? Sowieso schon sitzengeblieben. In der Bewertung könnte stehen: stets bemüht, aber dann doch zu stark an Regeln orientiert und zu wenig kreativ.

"Ist das noch Deutschland?" fragen sich nicht nur viele Deutsche, auch im Ausland reiben sich die Menschen verwundert die Augen. Und mancherorts kann man sich sogar eine gewisse Schadenfreude über den früheren Musterschüler, der immer gerne mit seinen gemachten Hausaufgaben prahlte, nicht verkneifen.

Großbritannien: "Deutschland verliert die COVID-Krone"

Die meiste Häme über Deutschlands langsamen Impfstart kommt aus Großbritannien, wo die Regierung sich brüstet, schon ein Drittel ihrer Bevölkerung versorgt zu haben. Deutschland sei eine "Impfschnecke", zitiert die "Daily Mail" eine Schlagzeile der deutschen Bild-Zeitung und erklärt: "Früher gelobt für eine der besten COVID-Reaktionen weltweit, wird Deutschland jetzt von hohen Fallzahlen heimgesucht, einer hohen Sterberate und einem Impfstart, bei dem in einem Monat gerade zwei von hundert Bürgern geimpft wurden, was Israel an einem Tag schafft."

"Deutschland verliert die COVID-Krone" schreibt die "Financial Times": "Deutschland ist berühmt für Vorsprung durch Technik, Ingenieurskunst und allgemeine Kompetenz. Kein Wunder, dass die COVID-19-Impfkampagne jetzt zu einer nationalen Schande wird".

Virtueller G7 Gipfel | Boris Johnson
Gruß an Deutschland von der Impfspitze: Großbritanniens Premierminister Boris JohnsonBild: Geoff Pugh/AP Photo/picture alliance

Und die "London Times" verweist auf einen Kommentar der Bild-Zeitung, in dem es heißt: "Dear Britons, wir beneiden you". Worauf die "Sun" süffisant antwortet: "Wir beneiden euch nicht!" Und im "Guardian" spottet ein Kolumnist, dass Deutschlands Impfkampagne für einen in der Wolle gefärbten Europhilen eine Enttäuschung sei: "Sollte nicht diese ganze Technik ein bisschen Vorsprung hervorbringen?"

Spanien: Vorbei mit der deutschen Überlegenheit

Irritiert zeigt man sich in Spanien, wo "El País" aus Madrid titelt: "Die Fehler der deutschen Regierung in Serie haben jegliche Vorstellung von deutscher Kompetenz oder Überlegenheit ausgelöscht."

Spanien: Inselwut auf die Regierung

Auch Spanien ist von Corona hart getroffen, schließlich hat das Land mit über 71.000 Toten fast genauso viele Opfer durch COVID-19 zu beklagen wie Deutschland - aber 36 Millionen Einwohner weniger. Bis auf die iberische Halbinsel spürt man das Gefühl, das viele Deutsche seit einigen Wochen beschleicht: dass die deutsche Regierung, die durch ihre vorausschauende Politik in der ersten Corona-Welle einen riesigen Vertrauens- und Popularitätsschub bekam, heute einfach nicht mehr das Richtige tut. "Deutschland", so El País weiter, "ist letztendlich nicht so besonders. Nur der Abstand zwischen seiner Selbstwahrnehmung und der Realität ist größer."

In Frankreich und anderen europäischen Ländern schaut die Presse weniger auf Deutschland und seine Verfehlungen, sondern kritisiert die Europäische Union für ihre Einkaufspolitik bei den Impfstoffen. Denn kein EU-Land hat bislang genug davon bekommen, und nirgendwo in der EU läuft die Impfkampagne gut genug, als dass jemand auf die Idee käme, mit dem Finger auf Deutschland zu zeigen.

USA: Mitleid hat Bewunderung abgelöst

In dem Land, in dem in Football-Stadien, in Drive-in-Stationen, in Supermärkten, ja sogar in Kirchen geimpft wird, in dem jetzt fast drei Millionen Impfdosen an einem Tag gespritzt werden und wo im Bundesstaat New Jersey schon die Diagnose "Raucher" reicht, um eine Impfung zu bekommen, empfinden viele Menschen gegenüber Deutschland inzwischen etwas, was fast noch schlimmer ist als Häme: Mitleid.

Ausgerechnet Donald Trump, dem viele in den USA die Verantwortung für die mehr als eine halbe Million COVID-19-Tote zusprechen - und den die Deutschen zeitweise mehr fürchteten als Corona  -, hat beim Thema Impfen geklotzt und nicht gekleckert. Der frühere Präsident bestellte im großen Stil Moderna und BioNTech-Pfizer-Impfdosen, noch bevor überhaupt klar war, ob die Impfungen wirksam werden.

Pharmazeut impft im Supermannkostüm die ältere Bevölkerung im ländlichen Pennsylvania
Auch Superman hilft bei den Impfungen in den USA: ein Arzt Anfang März in PennsylvaniaBild: Hannah Beier/REUTERS

Längst vorbei sind die Zeiten zu Beginn der Pandemie, als in den USA noch mit Bewunderung über "The German Covid-Response" berichtet wurde. Als die Vereinigten Staaten sich mit Deutschland verglichen, vor allem mit Blick auf die anfangs noch niedrigen Todeszahlen und dem weitgehend unbeschwerten Sommer in Deutschland, während sich in den USA ein trauriger Rekord nach dem nächsten einstellte.

2021 findet der unbeschwerte Sommer dagegen wahrscheinlich in den USA und nicht in Deutschland statt. Präsident Joe Biden hat gerade das ehrgeizige Ziel verkündet, bis Ende Mai allen erwachsenen US-Amerikanern ein Impfangebot zu machen.

Russland - Versagen des Westens bei der Impfstoffbeschaffung

Auch Russland impft, was das Zeug hält - mittlerweile kann sich jeder Sputnik V kostenlos spritzen lassen, unabhängig von Alter und Beruf. In Kliniken, in Einkaufszentren und in Moskau sogar in der Oper. Bereits im Dezember starteten die Behörden die Massenimpfungen gegen COVID-19 und erklärten damit den Sieg über die Corona-Pandemie.

Russlands Impfkampagne auf Hochtouren

Der Streit um die Impfkampagne in der Europäischen Union wird in russischen Medien immer wieder gern als das Versagen des Westens im Kampf gegen Corona thematisiert. Während Russland längst ausreichend über einen Impfstoff verfügt, der nach einem erfolgreichen sowjetischen Satelliten benannt wurde - eine Anspielung auf die Erfolge der Russen im Weltall, die sich nun auch im Kampf gegen Corona zeigten.

Und Deutschland? Viele Russen wissen seit kurzem, wie derheftig in die Kritik geratene deutsche Bundesgesundheitsminister heißt. Als Jens Spahn vor zwei Wochen in einer Regierungsbefragung im Bundestag Rede und Antwort für seine umstrittene Corona-Politik stehen musste, war dies nicht nur auf allen Kanälen in Deutschland zu sehen. Sondern auch groß in den russischen Abendnachrichten.

Israel: In Deutschland lebende Israelis kommen zum Impfen

Bei der Bekämpfung des Coronavirus war es mit Israel und Deutschland immer ein wenig wie bei der Geschichte mit dem Hasen und dem Igel: Israel war immer schon da. Die Maskenpflicht galt schnell überall, in Deutschland lange Zeit nur an bestimmten Orten.

Bereits im September ging Israel in den zweiten Lockdown, früher als Deutschland. Und nach einer beispiellosen Impfkampagne mit dem BioNTech-Pfizer-Vakzin ist heute bereits über die Hälfte der Bevölkerung mit mindestens einer Dosis geimpft. Eine Zahl, die Deutschland vielleicht im Juli oder August erreicht.

Israel: Neue Freiheiten für Geimpfte

Seit Februar gibt es den sogenannten "grünen Pass", der Geimpften und denjenigen, die COVID-19 überstanden haben, Zugang zu Fitnessclubs, Sport - und Kulturveranstaltungen ermöglicht. Fragt man Israelis nach Deutschland, erntet man erstaunte Blicke ob der langsamen Impfkampagne.

Da nun auch der Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv wieder geöffnet ist, überlegen offenbar viele in Deutschland lebende Israelis auf Heimat-Besuch über die Pessach-Feiertage Ende März zu kommen und sich dabei gleich impfen zu lassen. Tenor: In Deutschland sei man ja sonst erst spät im Sommer dran.

China: Deutschland als "Warnung"

Die vielleicht für Deutschland deprimierendste Nachricht, wie das Ausland in der Corona-Krise auf das Land schaut, kommt allerdings aus China: Den eigenen Erfolg in der Bekämpfung des Virus bewerten die Medien nicht nur als Referenz gegenüber den westlichen Ländern, sondern auch als eine ständige Erinnerung, nicht nachzulassen. Wie man es nicht machen sollte, zeige doch das Beispiel Deutschland. Häufig benutzter Titel dabei: "Warnung".

In Deutschland selbst hoffen nun manche, dass es doch bald schneller gehen könnte mit dem Impfen. Die Zulassung des Impfstoffes von Johnson & Johnson, mehr Dosen anderer Hersteller, die Impfung beim Hausarzt: All das könnte Tempo bringen. Dass Deutschland damit aber wieder zu einem weltweiten Corona-Vorbild wird wie noch vor einem Jahr, damit rechnet wohl niemand.

Porträt einer Frau mit dunklen Haaren
Tania Krämer DW-Korrespondentin, Autorin, Reporterin