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Corona mischt die Pharmabranche auf

Thomas Kohlmann
21. Juni 2021

Die Pharmaindustrie ist zwar nicht der große Gewinner der Pandemie, wird aber langfristig von den Erfahrungen bei der Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen COVID-19 profitieren.

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WHO-Zulassung für chinesischen Impfstoff Sinovac Biotech
Bild: Donal Husni/ZumaWire/dpa/picture alliance

Ohne Kooperationen und den Einsatz neuer Technologien wie Künstlicher Intelligenz wäre die Entwicklung eines Impfstoffs gegen COVID-19 in Rekordzeit nicht möglich gewesen. Die Allianz aus dem Mainzer Biotech-Unternehmen BioNTech und dem US-Pharmariesen Pfizer schaffte in zehn Monaten, was bisher im Schnitt sieben Jahren dauerte: einen Impfstoff zu entwickeln, klinisch zu testen, eine Zulassung durch die Aufsichtsbehörden zu erhalten und auf den Markt zu bringen. Dieser Trend zur Kollaboration, der Zusammenarbeit zwischen traditionellen Pharma-Konzernen und innovativen Biotech-Firmen, wird auch nach der Corona-Pandemie weitergehen - darüber sind sich die Autoren der Studie des Beratungsunternehmens EY, Klaus Ort und Alexander Nuyken, einig.

Besonders die Lehren aus der Vakzin-Entwicklung in Rekordzeit werden die künftige Forschung stark verändern. Anfang Juni 2021 befanden sich nach EY-Recherchen 260 Impfstoffe und 506 Therapeutika gegen das Corona-Virus in den verschiedenen Phasen der Entwicklung oder hatten es bereits auf den Markt geschafft. Außerdem bietet die Branche mittlerweile über 1000 Tests zum Nachweis einer Corona-Infektion an.

China Qingdao | Coronavirus | Impfkampagme
Massenimpfung im chinesischen QingdaoBild: China Daily via REUTERS

Kampf gegen Krebs bleibt Schwerpunkt

Der Kampf gegen die Corona-Pandemie hat 2020 die Schwerpunkte in der Welt der großen Arzneimittelhersteller maßgeblich verschoben: So wurden 80 Prozent aller klinischen Studien bei Medikamenten ohne COVID-19-Bezug gestoppt. Trotzdem hat der Kampf gegen das Virus auch nach fast eineinhalb Jahren nicht zu fundamentalen Umbrüchen in der Pharmaindustrie geführt. Denn nach wie vor stehen Krebsmedikamente ganz oben auf der Liste der wichtigsten Produkte und waren auch 2020 wichtigster Umsatztreiber der Branche.

Insgesamt bremste die Coronakrise das Wachstum der größten Pharmaunternehmen der Welt 2020 deutlich ab. Im Vergleich mit anderen Wirtschaftszweigen schnitt die Branche zwar noch gut ab: Während die Weltwirtschaft um 3,5 Prozent schrumpfte, legten die Umsätze der 21 größten Pharmafirmen um 4,4 Prozent zu, nach 12,8 Prozent im Vorjahr. Die Coronakrise führte vor allem zu höheren Ausgaben für Forschung und Entwicklung.

Die Experten der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY hatten für ihre Studie die Bilanzen der 20 größten Pharmaunternehmen der Welt unter die Lupe genommen und als zusätzlichen Pharmakonzern die Darmstädter Merck KGaA in die Analyse aufgenommen, "wegen der großen Bedeutung des Unternehmens für die Pharmamärkte in der Schweiz, Österreich und Deutschland".

US-Pharmaunternehmen dominieren

Die Untersuchung unterstreicht die Dominanz von Pharmafirmen mit Sitz in den USA, die im vergangenen Jahr mit 51 Prozent mehr als die Hälfte des weltweiten Branchenumsatzes erwirtschaften.

Allerdings veränderten sich die Zahlen von einem Jahr zum anderen häufig durch Firmenverkäufe oder -zukäufe oder den Durchbruch eines einzelnen Medikaments.

So ist das hohe Umsatzwachstum der 21 größten Pharmaplayer von 12,8 Prozent im Jahr 2019 wegen einer einzelnen großen Unternehmensübernahme nicht komplett vergleichbar mit dem Wachstum von nur 4,4 Prozent im Jahr 2020. Der japanische Arzneimittel- und Impfstoffhersteller Takeda hatte sich 2019 mit der Übernahme des irischen Shire-Konzerns in die Liga der weltweit zehn größten Pharmafirmen katapultiert.

Pfizer war 2019 noch das zweitgrößte Pharmaunternehmen der Welt, fiel aber durch die Ausgründung der Konzern-Tochter Upjohn auf Rang 6 zurück. Und beim New Yorker Pharmariesen Bristol-Meyer-Squibb, in der Branche unter dem Kürzel BMS bekannt, sorgte ein einziges neues Krebsmedikament für einen Umsatzanstieg von rund zehn Milliarden Euro.

Coronavirus | Impfstoff von Johnson & Johnson
Eine Impfung genügt: Impfstoff von Johnson & JohnsonBild: MiS/imago images

Wie geht es weiter?

Neben den vier bereits in der EU zugelassenen Vakzinen gegen COVID-19 befanden sich Anfang Juni nach Angaben von EY weitere 17 Impfstoffkandidaten in der dritten und letzten Phase der Entwicklung vor dem Zulassungsverfahren. Von den weltweit rund 260 Vakzin-Kandidaten würden allerdings "die meisten nie den Markt erreichen", betonte Alexander Nuyken auf der Online-Pressekonferenz am Montag bei der Vorstellung der Studie.

Wegen der Ausbreitung neuer Virus-Varianten werde zwar weiter an Impfstoffen in großem Umfang geforscht, doch nur die Kandidaten, die in der klinischen Studienphase II oder III sind, hätten eine Chance, noch auf den Markt zu kommen. Nach Einschätzung der EY-Experten werden auch molekulare Testverfahren zum Aufspüren neuer Virus-Varianten wichtig bleiben, was den Anbietern von Diagnostik zugutekommen wird.

Es ist aber vor allem der Durchbruch der mRNA-Technologie, dem Verfahren, auf dem die Impfstoffe von BioNTech und Moderna beruhen, der die Karten in der Branche neu gemischt hat. Und durch die Erkenntnis, dass man in so kurzer Zeit nur durch Zusammenarbeit und neue technische Wege zum Erfolg kommen kann, werden neue Allianzen entstehen. Nuyken rechnet mit weiteren Partnerschaften in Forschung und Entwicklung und dem vermehrten Zukauf von Biotech-Know-how durch traditionelle Pharma-Größen.

Und weil diese Pandemie nach Einschätzung der EY-Experten nicht die letzte gewesen sein wird, spricht vieles dafür, dass der "zweistellige Milliardenmarkt für Vakzine" weiter an Bedeutung zunimmt.

"Scheindebatte" über Patentfreigaben

Die Aussetzung von Impfstoff-Patenten hält Nuyken eher für eine Scheindebatte. Denn die Vorstellung, man könne die hochkomplexen mRNA-Impfstoffe einfach überall auf der Welt nachbauen, gehe an der Realität völlig vorbei. Vom organisatorischen Aufwand bei der Terminvergabe für zwei Impfungen einmal abgesehen, fehle es schlicht und einfach in Entwicklungsländern an funktionierenden Kühlketten, um die Impfstoffe überhaupt in der Fläche zu verteilen. Für ärmere Länder kämen besonders traditionelle Vektor-Impfstoffe in Frage und dabei vor allem das Vakzin von Johnson & Johnson, das nur einmal verimpft werden muss.