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Historische Wahl

Ranty Islam25. November 2006

Nach drei Jahrzehnten Krieg wählen die Menschen in Indonesiens Aceh-Provinz erstmals ihren eigenen Gouverneur. Der Wahlkampf hat begonnen. Wer das Rennen machen wird, ist ungewiss.

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Aceh-Rebellen legen ihre Waffen nieder: Das Friedensabkommen von 2005 ermöglichte die Wahl
Aceh-Rebellen legen ihre Waffen nieder: Das Friedensabkommen von 2005 ermöglichte die WahlBild: AP

Der Tsunami im Indischen Ozean, der am zweiten Weihnachtstag 2004 an den Küsten der angrenzenden Länder über 200.000 Menschen das Leben kostete, hat in der am schlimmsten betroffenen Region eine erstaunliche Entwicklung befördert. Fast zwei Jahre nach der Katastrophe wählen die Menschen in Indonesiens Aceh-Provinz am 11. Dezember zum ersten Mal demokratisch ihren Gouverneur und seinen Vertreter. Am Freitag (24.11.2006) haben die Kandidaten offiziell ihren Wahlkampf begonnen. Bürgermeister und Lokalverwaltungen werden darüber hinaus in 19 Distrikten gewählt.

Präsident Susilo Bambang Yudhoyono (l.) und der ehemalige Rebellenführer Zaini Abdullah (r.) feiern den ersten Jahrestag des Friedensabkommens
Präsident Susilo Bambang Yudhoyono (l.) und der ehemalige Rebellenführer Zaini Abdullah (r.) feiern den ersten Jahrestag des FriedensabkommensBild: AP

Die geplanten Wahlen sind Teil des Friedensvertrages, den die Zentralregierung in Jakarta mit der Bewegung für ein Freies Aceh (GAM) Mitte August 2005 in Helsinki vereinbarte. Seit 1976 hatte die GAM im Norden der Insel Sumatra für einen unabhängigen Staat gekämpft. In knapp 30 Jahren wurden dort 15.000 Menschen getötet. Doch der Tsunami nahm an einem einzigen Tag mehr als zehn Mal so vielen Menschen in der Region das Leben.

Die Regierung einigte sich im folgenden Jahr mit den Rebellen darauf, Wahlen mit von Jakarta unabhängigen Kandidaten zuzulassen - der Gouverneur und sein Vertreter waren bislang immer von der Zentralregierung eingesetzt worden. Im Gegenzug erklärte sich die GAM bereit, die Waffen niederzulegen und die Forderung nach einem unabhängigen Staat fallen zu lassen.

Ehemalige Separatisten "geraten ins Hintertreffen"

Für die beiden wichtigsten Posten im Gouverneurs-Rennen treten acht Kandidatenpaare an. Fünf von ihnen gehen jeweils für eine Partei ins Rennen, drei starten als Unabhängige. Auch dies ist eine Premiere. Bislang mussten bei Wahlen in Indonesien Kandidaten immer mit einer Partei verbunden sein. Neben ehemaligen Rebellen findet sich unter den Bündnissen auch eines, das von einem ehemaligen General geführt wird, der einst die Truppen Jakartas in Aceh kommandierte. Wer am Ende als Sieger hervorgeht, scheint ungewiss. Nach Umfragen lokaler Medien ist mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen des Jakarta-nahen Bündnisses mit zwei anderen Duos zu rechnen, von denen nur eines einen GAM-Kandidaten für den Posten des Vize-Gouverneurs aufbietet.

Das eine Bündnis, in dem die GAM beide Kandidaten stellt, scheine jedoch ins Hintertreffen zu geraten, sagt Sidney Jones, Südost-Asien-Direktorin für die International Crisis Group (ICG) in Jakarta. "Die GAM hat sich in zwei große Gruppen gespalten, die beide mit entsprechend weniger Stimmen rechnen müssen", sagt sie. Selbst auf der Distrikt-Ebene würden der GAM lediglich in drei von 19 Wahlkreisen Chancen auf einen Sieg eingeräumt.

Aceh kein Vorbild für andere Provinzen

"Unterstützung für Jakarta-nahe Kandidaten könnte möglicherweise besonders von Frauen kommen", sagt Peter Carey, Indonesienexperte am Zentrum für Asienstudien der Oxford University. Aceh hat in erheblichem Ausmaß islamisches Recht ("Scharia") eingeführt, mit entsprechend größeren Restriktionen für Frauen. Im Rest von Indonesien sei dies besonders aus verfassungsrechtlichen Gründen kaum möglich. Sidney Jones widerspricht dem - die Rolle des Scharia-Rechts sei bislang von keiner Partei thematisiert worden, eine damit begründete Präferenz für die Wahl hätten Frauen deshalb nicht.

Ob die Entwicklung in Aceh als Vorbild für andere Regionen Indonesiens dienen könnte, die ebenfalls auf mehr Autonomie oder Unabhängigkeit hoffen, ist fraglich. "Aceh ist die letzte Provinz des Landes, in der nun eigene Wahlen stattfinden", sagt Jones. In dieser Hinsicht könne Aceh somit kein Beispiel mehr liefern. Darüber hinaus ist der Provinz aber eine relativ weitgehende Autonomie zugestanden worden. Aceh hat eine eigene Flagge und Hymne, darf eigene Steuern erheben, direkte Luft- und Seeverbindungen mit anderen Ländern unterhalten, den größten Teil der Einnahmen aus der Öl- und Gasförderung behalten und unabhängig von Jakarta Kredite im Ausland aufnehmen.

Indonesische Soldaten tenzen und singen
Indonesische Soldaten vor ihrem Abzug aus Aceh Ende 2005Bild: AP

Das repressive Vorgehen des Militärs unter dem Regime General Suhartos in Indonesien hatte dazu beigetragen, das Land auf internationaler Ebene ins Abseits zu schieben. Mit ihren weitreichenden Zugeständnissen wollte die neue demokratisch gewählte Regierung in Jakarta offenbar auch international Punkte sammeln, sagt Peter Carey. "In Aceh wäre es für jedes Regime in Jakarta schwierig, die Uhr zurückzudrehen und die einmal gemachten Zusagen zurückzunehmen. Doch die Regierung wird sich hüten, von sich aus den anderen Regionen ähnliche Zugeständnisse zu machen", so Carey.

Unruhen nach dem Wahltag?

Auch aus einem anderen Grund werden alle Beteiligten wohl noch ein paar Jahre abwarten, bevor in anderen Regionen über Autonomie nach Aceh-Vorbild geredet wird. Nach dem im vergangenen August getroffenen Einkommen wird die Provinz erst 2009 eigene Gesetze ohne Zustimmung aus Jakarta verabschieden dürfen. "Bis dahin sollte man die Wahl und die Arbeit der neuen Provinzregierung eher als demokratischen Testlauf betrachten", sagt Jones.

Die Kandidaten für die Wahl am 11. Dezember haben eine gemeinsame Vereinbarung unterschrieben, in der sie sich verpflichten, auf jegliche Art von Gewalt oder Einschüchterung zu verzichten. Am Donnerstag wurde zwar der Bus eines Kandidaten bei seiner Fahrt mit Steinen beworfen. Tatsächlich wird bislang jedoch kaum über größere Unruhen berichtet. Das könnte sich nach der Wahl ändern, meint Sidney Jones. Wenn es nicht für die Mehrheit reicht, muss ein Bündnis zumindest mehr als 25 Prozent der Stimmen verbuchen, um in eine eventuelle Stichwahl zu gelangen. "Parteien, die knapp an dieser Marke scheitern, würden ihr Ergebnis nicht so ohne weiteres hinnehmen", so Jones. Vielleicht denkt sich dies auch die Wahlkommission: Sie hat die Wahlbeobachter, darunter die Europäische Union, gebeten, noch mehr Personal bereitzustellen.