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Cum-Ex: Der größte Steuerraub aller Zeiten

Mischa Ehrhardt
18. Oktober 2018

Das Ausmaß des "Cum-Ex"-Betruges ist weit größer als bislang angenommen. Die Betrüger haben die europäischen Staatshaushalte zig Milliarden Euro gekostet. Das hat ein europäisches Recherchenetzwerk offen gelegt.

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Deutschland Steuereinnahmen Banknoten im Tresor
Bild: picture-alliance/dpa

Banken prellen Steuerzahler

Die "Cum-Ex"-Files lesen sich wie ein Krimi. Und sie beginnen auch so: "Sie haben die Suite auf 18 Grad heruntergekühlt. Jede Schweißperle auf der Stirn wäre verräterisch. Sie dürfen nicht nervös wirken". Es ist der Beginn einer langen Geschichte; das Ergebnis einer intensiven Recherche. Es ist die Story des bisher größten Steuerraubs aller Zeiten.

Das europäische Recherchezentrum "Correctiv" hat gestern die Ergebnisse der groß angelegten Recherche veröffentlicht - die "Cum-Ex"-Files. 37 Journalisten von 19 Medien aus 12 Ländern Europas haben daran mitgewirkt.  Ergebnis: Durch dubiose Aktiengeschäfte haben neben Deutschland mindestens zehn weitere europäische Länder Milliardensummen verloren:  Frankreich, Spanien, Italien, die Niederlande, Dänemark, Belgien, Österreich, Finnland, Norwegen und die Schweiz.

Die "Internationale" der Ganoven

Spitzenreiter der Geschädigten  Länder ist mit Abstand Deutschland, es folgen Frankreich mit mindestens 17 Milliarden Euro, Italien mit 4,5 Milliarden und Dänemark mit 1,7 Milliarden Euro Schadenssumme. "Es handelt sich um den größten Steuerraub der Geschichte Europas", sagt Christoph Spengel, Steuerprofessor von der Universität Mannheim.

Spengel hat errechnet, dass der hiesige Fiskus knapp 32 Milliarden Euro für Cum-Ex-Geschäfte zu Unrecht an die Geschäftemacher überwiesen hat - allein in den Jahren zwischen 2001 und 2016. Europaweit schätzt der Rechercheverbund, liege der Schaden bei  über 55 Milliarden Euro. Nimmt man die Cum-Cum-Geschäfte hinzu, steigt die Summe noch einmal beträchtlich.

Bildergalerie Clubs in Deutschland
Wo auch immer ein Finanzminister den Staatsschatz versteckt: Manchen Ganoven scheinen Tür und Tor offen zu stehen.Bild: Giesemann/Schulz

Einfach wie Betrug beim Kindergeld

Mit "Cum-Ex"-Deals werden Geschäfte bezeichnet, die um den Stichtag der Dividendenzahlungen von Börsenunternehmen stattfinden. Ziel ist es, sich mit Hilfe von Banken mehrfach Steuern rückerstatten zu lassen. "Cum" bezeichnet dabei die Aktien mit Dividendenanspruch, "Ex" die Papiere ohne.

Einfach vorstellen kann man sich das Prinzip, wenn man sich überlegt, wie man hierzulande - theoretisch - Kindergeld ergaunern könnte: Bei "Cum-Cum" Geschäften würde ein Deutscher ausländische Kinder kurzerhand als Familienmitglied "anmelden", um so Kindergeld zu kassieren. Danach würde man sie wieder zurück schicken. Bei "Cum-Ex"-Geschäften würde die Anmeldung der Kinder gleich in mehreren Familien vorgenommen.

Ähnlich der Fall bei Aktien: Die Kapitalertragssteuer muss man einmal bezahlen. Wenn man es aber schafft, sie zweimal oder mehrmals zurück zu fordern, kann man ein Vermögen machen. Dabei haben die Papiere mit und ohne Ausschüttungsanspruch teils mehrmals in rascher Folge den Besitzer gewechselt, sodass dem Fiskus erstens nicht mehr klar war, wem sie letztlich gehörten und er zweitens mehrmals die Steuer rückerstattete.

"Bodenlose Blamage für die deutsche Finanzpolitik"

In Deutschland ist diese Praxis seit 2012 nicht mehr möglich, da wurde das Steuerschlupfloch geschlossen. Laut "Correctiv" soll Deutschland die anderen europäischen Länder aber erst 2015 vor den Umgehungsgeschäften gewarnt haben. Das Bundesfinanzministerium betonte hierzu auf Anfrage, man habe sehr wohl "in der Vergangenheit diverse Staaten, auch auf deren Nachfrage hin, über die Verfahrensweise bei "Cum-Ex"-Geschäften informiert".

Die Grünen forderten umgehende Aufklärung von Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Wenn auch nach 2012 weiter betrogen werden konnte, "dann wäre das ein ungeheuerliches Versagen und eine bodenlose Blamage für die deutsche Finanzpolitik", sagte Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter.

Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick kritisierte überdies: "Weil es keine europäische Finanzpolizei gibt und die Regierungen bei Steuerkriminalität nicht zusammenarbeiten, ist dieser Raubzug überhaupt erst möglich geworden". Schick war auch Mit-Initiator eines "Cum-Ex"-Untersuchungsausschuss des Bundestags.

Deutschland -  Frankfurt am Main - Skyline
Die Banken-Skyline in Frankfurt: Mancher fragt sich inzwischen jedoch, ob dort eher Banker oder Schränker arbeiten.Bild: picture alliance/dpa/B. Roessle

Legal? Illegal? Jedenfalls nicht: Egal!

Während die Ausmaße des Raubzuges langsam erkennbar werden, ist bis heute in letzter Instanz noch nicht geklärt, ob die dubiosen Geschäfte wirklich illegal waren. Lange hatten Steuerexperten die Geschäfte als legale Steuertricks betrachtet. Heute gehen aber die meisten Beobachter und Ermittler davon aus, dass sie illegal waren und sind. So ermittelt die Kölner Staatsanwaltschaft seit Juni gegen die spanische Großbank Santander.

Einige andere Banken haben bereits eingeräumt, an solchen Geschäften beteiligt gewesen zu sein, darunter auch die Deutsche Bank oder die Unicredit-Tochter Hypo-Vereinsbank.  Die Deutsche Bank betont, nie Teil eines "Cum-Ex"-Marktes, aber in Geschäfte einiger Kunden involviert gewesen zu sein.

In Deutschland sind besonders die hessischen Behörden bisher gegen die umstrittenen Geschäfte vorgegangen. Die Finanzverwaltung habe in 32 Steuerfällen ermittelt, sagte Hessens Landesfinanzminister Thomas Schäfer. 770 Millionen Euro konnten die Finanzbehörden des Landes so wieder zurückbuchen. Insgesamt wird der Schaden durch "Cum-Ex"-Geschäfte von offizieller Seite in Hessen auf rund 1,3 Milliarden Euro beziffert.

Wie im Kino

Eine der Hauptpersonen bei diesem Millionenspiel sitzt derzeit in Köln in Untersuchungshaft. Er hofft auf Strafminderung, wenn er mit den Verfolgungsbehörden kooperiert. Und er hat auch eingewilligt, mit den Journalisten zu sprechen - anonym allerdings, weil er an einer Karriere als "anständiger" Anwalt nach dieser Geschichte bastelt. Für das Interview trägt er eine echt wirkende Gesichtsmaske, ein bisschen wie im Kino.

Filmreif auch die eingangs erwähnte Szene in der Suite eines Wolkenkratzers in der Finanzmetropole London. Dort hatten zwei der Journalisten sich als Söhne einer milliardenschweren Familie verkleidet, um einen jungen Händler zu treffen, der ihnen in großem Stil "Cum-Ex"-Deals einfädeln könnte. Der junge Mann erscheint, man fachsimpelt über Finanzkonstrukte und Börsenbegriffe. Bis der verkleidete Journalist das Ganze auf den Punkt bringt: Man brauche doch nicht um den heißen Brei herumzureden: Das Geld komme doch von der Steuer. "Ja klar", antwortet kurz der junge Börsenhändler.