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Gesellschaft

Cyborg-Partys und VR-Frust

Helena Kaschel
21. Juni 2017

Robotik, Künstliche Intelligenz, Virtual Reality: Noch nie hatten Journalisten so vielfältige Möglichkeiten, Geschichten zu erzählen. Beim Global Media Forum schwankt die Stimmung zwischen Enthusiasmus und Ernüchterung.

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Impressions / Global Media Forum 2017 / Wednesday, June 21
Drohnenjournalismus: nur einer von vielen Programmpunkten am letzten Tag des Global Media ForumsBild: DW/H. W. Lamberz

Es gibt viele Dinge, die Hannes Sjoblad nicht mehr braucht: Kunden- und Treuekarten, Schlüssel, Einkaufswagenlöser, seinen Fitnessstudio-Ausweis, seine Visitenkarte. "Wenn ich jemandem meine Kontaktdaten geben möchte, braucht mein Gegenüber nur mit dem Smartphone meine Hand zu scannen", sagt Sjoblad, während er im Plenarsaal des Bonner World Conference Centers auf und ab geht. Der Schwede hat sich einen Chip von der Größe eines Reiskorns in seine Hand implantieren lassen. Ausgestattet ist der Chip mit Nahfeldkommunikationstechnik (NFC). Eine Technik, die mithilfe elektromagnetischer Wellen dafür sorgt, dass berührungslos Signale ausgetauscht werden. Neben vielen anderen Dingen dient er als Datenträger und ersetzt damit Festplatten und USB-Sticks.

In Sjoblads Alltag kommt das Implantat ständig zum Einsatz: Im Büro, in Konferenzräumen, beim Pförtner. Und er sei bei weitem nicht der Einzige, der damit experimentiere: "Ich reise regelmäßig um die Welt und schmeiße Implantat-Partys", lacht er. Vor drei Jahren habe er angefangen. Er und einige andere hatten sich Chips implantieren lassen, jemand habe es auf Facebook gepostet, "und plötzlich riefen Leute aus Brasilien, Malaysia, der Türkei und Deutschland an und haben gefragt, ob ich ihnen das erklären könne".

Keynote: Hannes Sjoblad: How technology is transforming human identity
Die Medien dürften vor dem technologischen Fortschritt nicht die Augen verschließen, fordert Hannes SjobladBild: DW/H. W. Lamberz

"Kein einziger Journalist war vor Ort"

Für den Cyborg-Aktivisten und Biohacker befindet sich die Menschheit am Anfang einer neuen Evolutionsstufe. Der technologische Fortschritt verändere nicht nur Politik, Finanzwesen und Gesellschaft, sondern vor allem die menschliche Identität. Die grundlegendste Veränderung sei die Demokratisierung der Biotechnologie, sagt Sjoblad. In wenigen Jahren seien etwa die Kosten, menschliche Genome zu entschlüsseln, von dem Preis zweier schwedischer Kampfjets auf rund 1000 Dollar gefallen. "In fünf Jahren könnte das Ganze so günstig sein wie ein Eis am Kiosk. Was sich einmal nur Regierungen leisten konnten, wird durch den technologischen Fortschritt zu etwas, mit dem Kinder spielen können", schwärmt der Schwede.

Das dürfe der Journalismus nicht ignorieren. "Viele von ihnen waren sicher 2015 beim Klimagipfel in Paris. Alle Staatschefs waren da - und tausende Journalisten. Aber wussten Sie, dass zur gleichen Zeit in Washington der erste internationale Gipfel zur Veränderung der menschlichen DNA stattfand?" Kein einziger Journalist sei damals vor Ort gewesen, kritisiert Sjoblad. "Meiner Meinung nach war diese Veranstaltung wichtiger für die Zukunft der Menschheit als der Klimagipfel. Denn diese Leute haben gesagt: Beim Thema Genom-Editierung ist die Katze aus dem Sack. Die Technologie ist verfügbar. Wir brauchen jetzt schnell entsprechende Ethik-Regeln." Die Themen Datenschutz und Datensicherheit werden durch diese Technologie viel stärker in die öffentliche Debatte gelangen. Die Vielfalt des menschlichen Erlebens werde bald explodieren, prophezeit Sjoblad. Das wird auch die Medienwelt radikal verändern - bei der Themenauswahl, bei der Recherche und auch beim Umgang mit Daten.

Impressions / Global Media Forum 2017 / Wednesday, June 21
Welche Medien sind auf Instagram erfolgreich - und warum? Antworten gibt es auf dem Global Media ForumBild: DW/H. Kaschel

Der Kater nach dem VR-Hype?

Die Zukunft des Journalismus - um nichts weniger geht es am letzten Tag des Global Media Forums: Auf dem Programm stehen Robotik, Cybersicherheit, innovatives Storytelling auf Instagram, mobile Formate, Drohnen-Journalismus, 360-Grad-Videos und Augmented und Virtual Reality (VR). In einer Ecke vor dem Plenarsaal zeigen die Vereinten Nationen einige VR-Filmproduktionen, die mit unterschiedlichen Medienpartnern entstanden sind. Ein Film erzählt die Geschichte einer Mutter im Gazastreifen. Wer die VR-Brille aufsetzt, schaut durch ein Fenster auf zerbombte Häuser. Dreht man zufällig im richtigen Moment seinen Kopf zur Seite, sieht man neben sich einen kleinen Jungen stehen. Das Format soll Nutzern durch ein emotionales Erlebnis die 2016 in Kraft getretenen 17 "Ziele für nachhaltige Entwicklung" näherbringen.

So sehr Virtual Reality den Journalismus auch revolutioniert - für Medienhäuser bringt der Hype viele Herausforderungen mit sich. Über das Potenzial des Formats sei man sich einig, aber "es ist sehr kompliziert und sehr teuer und wir wissen noch nicht, was die Nutzer eigentlich von uns wollen", sagt Madiana Asseraf von der Europäischen Rundfunkunion. So hätten viele zu Hause noch nicht die technische Ausstattung, um sich VR-Inhalte anzusehen. Nur wenige benutzten etwa VR-Brillen. Zudem müsse man gründlicher darüber nachdenken, wann das Format sinnvoll sei. "Wenn die Geschichte schlecht ist, macht Virtual Reality sie nicht besser", sagt der Schweizer SRF-Journalist Dominik Born.

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Die UN nutzen Virtual Reality, um ihre 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung greifbarer zu machenBild: DW/H. Kaschel

"Lernen, Fremdenführer zu sein"

Die Investitionen lohnten sich nur, wenn man etwas zeige, was man anders nicht zeigen könne, sagt Born. Ein Beispiel, bei dem das Format nicht funktioniert habe, nennt Christophe De Vallambras von France Televisions: Der Sender hatte während der französischen Präsidentschaftswahlkampfes mit mehr als 100 Kameras Fotos aller Kandidaten gemacht, so dass eine 3D-Darstellung der Politiker entstand. Durch Mausbewegungen konnten Nutzer die Figuren drehen und Informationen über die Kandidaten abrufen. "Es hat sich aber herausgestellt, dass die Nutzer kein Interesse daran hatten, die Figuren der Kandidaten zu drehen. Das Ganze hätte genau so gut in 2D funktioniert", sagt Vallambras. 100.000 Euro habe das Projekt geschluckt.

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Eintauchen in die Virtual Reality Welt: beim GMF der Deutschen WelleBild: DW/H. Kaschel

Und doch sind sich in der Rhein-Lobby des World Conference Center alle einig über die Vorteile von VR im Journalismus. WDR-Journalistin Lisa Weitmeier erzählt von einem Projekt, bei dem der Nutzer virtuell vor dem Kölner Dom steht und auf eine Reise in die Vergangenheit eingeladen wird. "Wir müssen lernen, Fremdenführer zu sein", fasst es der Beauftragte für digitale Strategien des ZDF, Robert Amlung zusammen. Am Ende siegt der Optimismus: Investieren wolle man in Virtual Reality weiterhin.

Das nächste Global Media Forum findet vom 11. bis 13. Juni 2018 statt.