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Dänemark: Vesterbro, das unbekannte Kopenhagen

Petra Kohnen (September 2007)

Das muntere Viertel Vesterbro ist eines von 15 Stadtbezirken Kopenhagens. Das einst ländliche Gebiet hinter dem Bahnhof hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert: vom Einwanderer- zum Szeneviertel. Ein Rundgang.

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Vesterbro: vom Einwanderer- zum SzeneviertelBild: DW/Petra Kohnen
Straßenschild Vesterbro-Gade, Quelle: Petra Kohnen
Vesterbro liegt im Westen der dänischen HauptstadtBild: DW/Petra Kohnen

In Vesterbro verdienten die Dänen einst ihr Geld in Schlachthöfen, Kleinunternehmen oder mit Holzhandel. Heute zählen zu den über 35.000 Bewohnern viele Einwanderer, die kleine Geschäfte und Kneipen besitzen. In den 70er Jahren prägten Prostituierte und Drogenabhängige das Straßenbild. Jetzt haben die Besserverdienenden das Viertel dicht am Zentrum für sich entdeckt. Szenetreffs und Nobellokale entstehen, Altbauten werden zunehmend in schicke Appartements umgewandelt.

Alles, außer gewöhnlich

Eine Frau sitzt mit Stadtplan auf einer Bank, Quelle: Petra Kohnen
Johanne LögstrupBild: DW/Petra Kohnen

Agile Künstler und Schriftsteller werben für ihr Viertel und wollen Interesse wecken. "Ich heiße Johanne. Ich lebe nur ein paar Minuten entfernt von hier. Ich führe euch jetzt durch Vesterbro - so, wie ihr es sonst nie sehen würdet." Die junge dänische Künstlerin Johanne Lögstrup liebt Vesterbro. Sie möchte Einheimischen und Besuchern auf ihren Touren die Augen öffnen für die Vielseitigkeit ihres eher unbekannten Stadtteils von Kopenhagen.

Der Spruch "Alles, außer gewöhnlich", mit dem die bekannte Biermarke Karlsberg aus Vesterbro wirbt, trifft auf den gesamten Stadtteil zu. Schicke Cafés und edle Fast-Food-Restaurants sieht man neben Suppenküchen und karitativen Essensausgaben. Geschäftsleute in Nadelstreifen eilen mit Aktenkoffern an tätowierten Punks vorbei.

Vergangenes sichtbar und hörbar machen

Eine alte Litfasssäule, Quelle: Petra Kohnen
Vergangenes sichtbar machenBild: DW/Petra Kohnen

Viel ist in Bewegung, und so hat Johanne zusammen mit fünf weiteren Künstlern alternative Stadtspaziergänge entwickelt: In Form von Hörbüchern verweben sie persönliche Geschichten mit der Geschichte des Viertels. Los geht es auf Entdeckungsreise mit mp3-Player und Straßenkarte. Start ist das Stadtmuseum. "Folgt mir die Treppe hoch, geht durch die Tür, zum ersten Fenster. Seht ihr das Haus? Der obere Teil ist gelb, der untere grau. In diesen Räumen hatte meine Urgroßmutter Kirstine einen Friseur- und Schönheitssalon", sagt Johanne.

Vergangenes wieder sicht- oder zumindest hörbar zu machen, ist das Ziel. Mit ein wenig Fantasie sehen wir Urgroßmutter Kirstine, die genau 100 Jahre älter als Johanne ist, wie sie vom Fenster gegenüber auf den Ballsaal der königlichen Kopenhagener Jagdgesellschaft blickt. Zusammen mit der Hörbuchautorin folgen wir jetzt Kirstine durch die Stadt.

Karte Terra Incognita Kopenhagen
Bild: AP Graphics/DW

Während wir mit Johanne durch die Dannebrogsgade mit ihren fünfstöckigen Häuserblocks eilen, erleben wir mit, wie Kirstine vom 11-jährigen Mädchen, das die schmutzige Wäsche der wohlhabenderen Gesellschaft abholen musste, zur kleinen Unternehmerin wurde. Herausgerissen aus der Vergangenheit werden nur von Johanne: "Wir erreichen jetzt die andere Seite des Platzes. Die Straße heißt Westend und wurde im 19. Jahrhundert gebaut, als Prostitution legal war."

Auf der Sonnenseite

Straßenzug im Rotlichtviertel, Quelle: Petra Kohnen
Bild: DW/Petra Kohnen

Vesterbro liegt - wie der Name schon sagt - im Westen, dort wo die Sonne am längsten steht. Deshalb zieht es die Menschen am Abend an, heißt es in einer anderen Ausgabe der Stadtgeschichten. Darin nimmt René Jensen uns mit auf die Istedgade. Er macht durch Wortspiele auf die Veränderung der Sex-Meile, die hinter dem Bahnhof beginnt, aufmerksam.

Das einst reine Rotlichtviertel und der Handel mit Pornographie und Erotikwaren wird verdrängt durch edlere Restaurants und bessere Hotels. Christian Else, der mit seinem Kiosk am Ende der Istedgade auf dem Enghave Plads steht, spricht sogar schon von einer Schickimicki-Zone: "Das Viertel verändert sich in der Tat. Es ist mondäner geworden. Aber es ist immer noch ein Ort, an dem sich jeder wohlfühlen kann - vom Alkoholiker bis zum reichen Geschäftsmann. Mir gefällt es hier."

Leben und Leben lassen

Hausansicht, Quelle: Petra Kohnen
Bild: DW/Petra Kohnen

So etwas entspricht dem dänischem Lebensgefühl. Leben und leben lassen. Dies war schon zu Zeiten so, als Vesterbro noch unbekannter war. Städte im Wandel liefern immer Stoff für Künstler. "Der berühmte dänische Schriftsteller Dan Turèll ist für die Gegend bekannt, denn er ging hier immer viel in die Kneipen", sagt Johanne Lögstrup. "Auch Tove Ditlevsen, eine andere exzellente Schriftstellerin, hat über ihre Kindheit hier geschrieben."

Zu den Prominenten der Stadt zählt nun auch Kirstine, die Urgroßmutter von Johanne Lögstrup. Hat man sie einmal wahrgenommen, wird man sie immer wieder in Vesterbros lebendigen Straßen treffen - vorausgesetzt, man lässt sich von den Hörbüchern in alte Zeiten zurück versetzen.