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Inside Wikileaks

28. Februar 2011

Das ist die Geschichte einer Freundschaft, die im Hass endete. Und die Geschichte eines Projektes, das die Mächtigen dieser Welt herausforderte. Es ist die Geschichte von Wikileaks – erzählt von einem Insider.

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Die Internetseite von Wikileaks, auf der vertrauliche Depeschen des US-Außenministeriums zu lesen sind (Foto: dpa)
Bild: dpa

Julian Assange ist das Gesicht von Wikileaks. Der schmale Anzug, die hellblonden Haare, das jugendliche Aussehen: Assange repräsentiert die Internetplattform, die mit der Veröffentlichung immer neuer Geheim-Dokumente die Schlagzeilen bestimmte. Assange ist die tragische Figur, die vom australischen Computer-Freak zum globalen Popstar aufstieg, um dann wegen zweier Sexaffären ins Visier der Justiz zu geraten.

Doch die Geschichte von Wikileaks erzählt hier ein anderer: Der Deutsche Daniel Domscheit-Berg, der unter dem Pseudonym Daniel Schmitt den Aufstieg von Wikileaks miterlebte. Sein Buch: "Inside Wikileaks – meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt" erschien jetzt zeitgleich in mehreren Ländern.

Neuauflage von David gegen Goliath

Julian Assange, Gründer von Wikileaks (Foto: dapd)
Das Gesicht von Wikileaks: der Australier Julian AssangeBild: dapd

"Ich habe so viel erlebt! Ich habe in Abgründe geschaut und an den Hebeln der Macht gespielt", schreibt er und schildert Wikileaks als postmoderne Entsprechung der biblischen Geschichte von David und Goliath. "Zwei extrem großmäulige Männer mit einer einzigen Uralt-Maschine" fordern die Mächtigen der Welt heraus – und die können sich nicht wehren.

Der erste wirkliche Coup war die Veröffentlichung der Dokumente, die Verwicklungen der Schweizer Bank Julius Bär in Steuerhinterziehung belegten. Die Bank klagte, verlor, und – was für die Manager das schlimmste war – geriet in den Sog der Öffentlichkeit: Domscheit-Berg kann seine Schadenfreude nicht verhehlen: "Ein Bankhaus mit unendlichen Ressourcen, das eine Promi-Anwaltskanzlei mit seiner Vertretung betraut hatte – und die konnten nichts ausrichten gegen uns."

Ruhm und Geld winken

Was folgt, ist ein märchenhafter Aufstieg: Jede neue Veröffentlichung bringt Wikileaks neue Publicity, neuen Ruhm und schließlich auch Geld. Doch zugleich entfremden sich die beiden Protagonisten immer mehr. Domscheit-Berg schildert Assange als Egomanen: "Ich habe noch nie so eine krasse Persönlichkeit erlebt. So freigeistig. So energisch. So genial. So paranoid. So machtversessen. Größenwahnsinnig."

Assange habe tagelang durchgearbeitet: "Wenn ich spät ins Bett ging, dann saß er noch wie ein schmaler Buddha auf der Couch. Wenn ich am nächsten Morgen aufwachte: Julian in Kapuzenjacke vor dem Rechner, in exakt der gleichen Pose. Wenn ich am nächsten Abend schlafen ging. – Julian saß immer noch da." An anderer Stelle schildert Domscheit-Berg plastisch, wie einige Wikileaks-Aktivisten ein Hotelzimmer nach und nach in eine Müllkippe voller halbgeleerter Chips-Tüten und Pizza-Kartons verwandeln.

Kampf um den Leberkäse

Wikileaks-Mitarbeiter Daniel Schmitt im Jahr 2009 vor der Website des Internet-Portals (Foto: dpa)
Daniel Domscheit-Berg alias Daniel Schmitt im Jahr 2009Bild: picture alliance / dpa

Insgesamt wird das Leben mit Assange als skurril geschildert: So habe er verlangt, dass man nie zusammen das Haus betrat, um mögliche Verfolger abzuschütteln. Und das gemeinsame Essen sei oft ein Kampf gewesen, schreibt Domscheit-Berg: "Wenn ich gekocht hatte, dann wurde das Essen nicht etwa geteilt. Es ging schlicht darum, wer schneller war. Gab es vier Scheiben Lebekäse, aß er drei und ließ mir nur eine."

Je berühmter Wikileaks, je brisanter die veröffentlichten Dokumente wurden, desto größer wurde das Risiko. So enthielten die 76.000 Dokumente über die US-Truppen in Afghanistan zahlreiche Namen afghanischer Kollaborateure. Ihre Veröffentlichung wäre einem Todesurteil gleichgekommen. Assange sagte zwar zu, dass die Namen gelöscht werden, vergaß aber, dies dem Team mitzuteilen. Domscheit-Berg beschreibt, dass er vier Tage vor der geplanten Veröffentlichung zufälligerweise davon erfahren habe, um danach Tag und Nacht durchzuarbeiten.

Welches Ziel hat Wikileaks?

Letztendlich waren es nach der Leseart Domscheit-Bergs zwei Dinge, die die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Assange scheitern ließen: Zum einen der zunehmend diktatorische Alleinherrschaftsanspruch von Assange. "Du benimmst Dich wie ein Sklaventreiber", ist denn auch eine der letzten Chat-Mitteilungen, die Domscheit-Berg an Assange schreibt, bevor ihn dieser wegen mangelnder Unterordnung entlässt. Zum anderen die Frage, welchen Sinn, welches Ziel Wikileaks eigentlich haben soll. Geht es um radikale Offenheit, um die Ehre der "Whistleblower", also derjenigen, die Staats- und Firmengeheimnisse offenlegen? Oder geht es darum, die Welt zu verbessern? Über diese Frage konnten sich Assange und Domscheit-Berg niemals einigen.


Autor: Martin Muno
Redaktion: Gabriela Schaaf