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Schluss mit lustig

Peter Stützle, Berlin6. Dezember 2006

Der Bremer Politologe Stefan Luft hat in seinem Buch den "Abschied von Multikulti" verkündet - und er steht damit nicht alleine. Auch in anderen Ländern Europas gibt es ähnliche Entwicklungen. Sie waren absehbar.

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Fußgänger in Berlin-Kreuzberg: ein Paar geht spazieren, die Frau trägt ein Kopftuch (Foto: AP)
Fußgänger in Berlin-KreuzbergBild: AP

Neukölln-Passagen, ein modernes Einkaufszentrum in einem Berliner Viertel mit überwiegend türkischstämmiger Bevölkerung. Oben, hinter den Parkdecks, die gepflegte Bezirksbibliothek. Zwei junge Frauen mit Kopftüchern stöbern in den Regalen. Sie sind aber auch die einzigen hier, die nicht deutsch aussehen. Nebenan stellt der Politologe Stefan Luft sein neues Buch vor: "Abschied von Multikulti." Warum der Titel?

"Weil der Multikulturalismus flächendeckend gescheitert ist. Nicht nur in der Bundesrepublik, sondern vor allem in Ländern, in denen der Multikulturalismus zur Staatsdoktrin wurde, wie beispielsweise in Großbritannien, Australien oder in den Niederlanden", sagt der Autor. Alle diese Länder hätten sich vom Multikulturalismus abgekehrt, weil man gesehen habe, dass sich die Gräben zwischen Zuwanderern und Einheimischen vergrößert hätten anstatt sich zu verringern.

Zitate von vor 35 Jahren, die heute noch passen

Diese Erfahrung hat der Neuköllner Bezirks-Bürgermeister Heinz Buschkowski in seinem Bezirk auch gemacht. Dort hat sich eine große türkische und eine kleinere arabische Parallelgesellschaft gebildet. Man bleibt weitgehend unter sich, sieht türkische oder arabische Fernsehprogramme, liest türkische oder arabische Zeitungen. Was Buschkowski bei der Lektüre von Lufts Buch am meisten beeindruckt hat, waren die vielen Zitate aus bis zu 35 Jahre alten Dokumenten, in denen schon damals vor Parallelgesellschaften gewarnt wurde.

"Wenn man dieses Buch liest, fragt man sich von Seite zu Seite mehr: 'Mein Gott, wenn das alles so klar war und so vorhersehbar, warum ist dann so wenig geschehen?'", meint Buschkowki. "Warum stehen wir heute im Jahr 2006 da und schauen uns die Problembezirke, die ethnischen Kolonien an? Wir hätten es verhindern können."

Kein Vorbild Skandinavien

Versäumnisse, die sich nicht auf Deutschland beschränken, so Buschkowski. Die gleiche Entwicklung hat er auch in Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden beobachtet. Selbst in den skandinavischen Ländern, die immer als vorbildlich und unbelastet von derartigen Sozialproblemen gegolten haben.

In Frankreich und Großbritannien kommt die Mehrheit der Zugewanderten aus ehemaligen Kolonien, beherrscht die Sprache des neuen Heimatlandes und hat seine Staatsangehörigkeit. Dass es gerade in diesen Ländern wiederholt zu ethnischen Unruhen gekommen ist, zeigt: Das Hauptproblem ist die soziale Abgrenzung. Das jedenfalls glaubt Buchautor Luft. Noch sei die soziale Abgrenzung in Deutschland nicht so ausgeprägt wie in anderen Ländern, aber wenn nicht massiv dagegen gesteuert werde, ständen sie mittelfristig auch hier bevor.

Ausreichendes Problembewusstsein in der Politik?

Vor wenigen Jahren noch wäre Luft für seine Thesen vermutlich gesteinigt worden. Heute kommt bei Diskussionsveranstaltungen wie in der Neuköllner Bezirksbibliothek kein Widerspruch. Für Luft bedeutet dies: "Zumindest in den ethnischen Kolonien, bei den Menschen, die hier leben und arbeiten, hat sich das Bewusstsein entwickelt, dass man viele Dinge umsteuern muss. Ob in der Politik allerdings ein ausreichendes Problembewusstsein vorhanden ist, wage ich zu bezweifeln."

Der Politikwissenschaftler Luft macht ganz praktische Vorschläge für "Wege aus der Integrationskrise", wie der Untertitel seines Buches lautet. Ganz oben steht dabei "Bildung, Bildung, Bildung". Klar ist: Jetzt noch umzusteuern, wird viel Geld kosten. Aber für Bezirksbürgermeister Buschkowski ist es die "Existenzfrage unserer Gesellschaft, unseres sozialen Friedens in den nächsten Jahrzehnten."