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Politik

Niederlage für Boris Johnson

Barbara Wesel
4. September 2019

Das Parlament fügt dem britischen Premierminister eine Schlappe zu. Rebellen unter den Tories sind für die Abstimmung über ein Gesetz, das einen harten Brexit verhindern soll. Boris Johnson will nun Neuwahlen ausrufen.

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Großbritannien Brexit | House of Commons, Unterhaus | Boris Johnson, Premierminister
Bild: picture-alliance/Xinhua/UK Parliament/R. Harris

Hat man das im Unterhaus schon einmal erlebt? Dass ein Premierminister bei seiner ersten Abstimmung im Unterhaus sogleich eine dröhnende Niederlage erlebt? Das Parlament hatte nur eine kleine Chance, Boris Johnson bei seinem Kurs für einen harten Brexit in den Arm zu fallen, und es nutzte sie. Denn schon am nächsten Montag wird es in den Zwangsurlaub geschickt. Am Ende stimmten 21 Tory-Rebellen mit der Opposition, um noch rechtzeitig ein Gesetz durchzupeitschen, das dem Premierminister die Hände binden soll. 328 zu 301 lautete das Ergebnis, das Speaker John Bercow nach der Verkündung lautstark wiederholte.

Säuberungswelle bei den Tories

Gleich nach der Abstimmung erklärte ein sichtlich wütender Boris Johnson, es sei die Schuld des Parlaments, wenn jetzt ein Abkommen zerstört werde, das er in Brüssel abschließen könnte. Er unterstellt damit, dass die EU nur mit vorgehaltener Pistole, also unter Erpressung mit einem harten Brexit bereit sei, seine Forderungen zu erfüllen.

England Brexit-Debatte Jacob Rees-Mogg entspannt sich auf einem Bank
Brexiteer Jacob Rees-Mogg gab sich während der abendlichen Debatte einer eher unziemlichen Sitzhaltung hin Bild: AFP/Pru

Die ganze Brexit-Verhandlungsstrategie sei ein "Vorwand", so war aus einer früheren Besprechung in Johnsons innerem Kreis zitiert worden. Meldungen aus Brüssel im Laufe des Tages bestätigen den Verdacht. Denn dort wurde dementiert, dass es überhaupt schon nennenswerte Verhandlungen oder neue Vorschläge von britischer Seite gebe. Boris Johnson behauptete dagegen, das Gesetz gegen einen harten Brexit werde neue "Verzögerungen, Unentschiedenheit und Konfusion" hervorbringen. Der Premier ist sichtlich kein guter Verlierer.

Das zeigt sich auch darin, dass die Rebellen kaum eine Stunde nach der Abstimmung den Anruf von einem Vollstrecker der Partei bekamen, der ihnen die Mitgliedschaft entzog. Als einen der ersten traf es Philip Hammond, langjähriger Abgeordneter und Finanzminister unter Theresa May. Unter den Rausgeworfenen sind weitere Granden der Tories und der Enkel von Winston Churchill. Und bemerkenswert auch, dass nach 49 Jahren im Parlament auch Ken Clarke, "Vater des Hauses" als dienstältester Abgeordneter und eine Legende unter den Konservativen, ohne Nachsehen aus der Partei geworfen wurde. Hätte sich Theresa May gegenüber Boris Johnson so verhalten, als er sie niederstimmte, wäre er heute nicht Premierminister.

Großbritannien, London: Abgeordnete verkünden im Unterhaus das Ergebnis einer Abstimmung
Vier ausgewählte Abgeordnete treten wie üblich an den Tisch, um dem "Speaker" John Bercow das Ergebnis mitzuteilenBild: picture-alliance/dpa/PA Wire/House of commons

Damit hat er seine Drohung wahr gemacht, durch eine Säuberungswelle alle aus der Partei zu entfernen, die pro-europäisch, zu moderat und jedenfalls gegen einen harten Brexit sind. Wer jetzt noch aufmuckt, weiß, was ihm oder ihr blüht. Die Abgeordneten müssen sich zwischen ihrer politischen Karriere und ihrem Verantwortungsgefühl entscheiden. Boris Johnson duldet keine innerparteiliche Opposition.

Manipulation und Lügen

Am Nachmittag schon hatte ein konservativer Abgeordneter den Premier still und leise um seine Parlamentsmehrheit von einer Stimme gebracht. Phillip Lee, ein Arzt, der seit 2010 den Wahlbezirk Bracknell vertritt, stand einfach während der Rede von Boris Johnson von seinem Sitz auf und wechselte über in die Reihen der Liberalen. Deren Vorsitzende begrüßte den Neuzugang auf Twitter: "Phillip teilt unsere Entschlossenheit, einen desaströsen No-Deal Brexit zu verhindern und den Brexit insgesamt zu stoppen."

Der Seitenwechsler selbst schrieb seinem Premierminister noch ein paar gnadenlose Abschiedsworte ins Album: "Die konservative Regierung verfolgt einen zerstörerischen Brexit auf aggressive und prinzipienlose Weise. Sie riskiert unnötig Leben und Einkommen (der Bürger) und gefährdet schamlos die Einheit des Vereinigten Königreiches. Darüber hinaus untergräbt sie die Wirtschaft des Landes, seine Demokratie und Rolle in der Welt. Sie nutzt politische Manipulation, Bullying und Lügen. Und sie tut all dies mit Überlegung und Bedacht."

Es war eines der wiederkehrenden Themen bei dieser Debatte, dass Abgeordnete Boris Johnson vorwarfen, nicht die Wahrheit zu sagen. Wie es denn konkret um die Verhandlungsfortschritte mit der EU stehe, wurde er immer wieder gefragt. Und der Premierminister antwortete mit allgemeinen Zusicherungen, dass er mit seinem harten Kurs der Einzige sei, der Brüssel Zugeständnisse abringen könne.

England David Gauke
So kann ein Rädelsführer aussehen: David Gauke, früher MinisterBild: Reuters/H. Mckay

Nach der Abstimmung erklärte David Gauke, früherer Minister und einer der Rädelsführer der Rebellion, worum es ihm und seinen Kollegen gegangen sei. Er habe zum ersten Mal seit 14 Jahren gegen seine Regierung gestimmt und zwar, weil er nicht glaube, dass Boris Johnson wirklich einen Brexit-Deal wolle. Ein harter Brexit wäre fast unvermeidlich gewesen, wenn das Votum vom Montag im Parlament schief gegangen wäre. "Vielleicht nicht karrierefördernd, aber die richtige Wahl", fügte Gauke auf Twitter noch selbstironisch hinzu.

Nächste Schritte

Am Mittwoch wird das Unterhaus dann über die Gesetzesvorlage gegen den harten Brexit abstimmen. Kommt sie durch, geht sie ans Oberhaus, wo Brexiteers unter den Lords schon angekündigt haben, die Verabschiedung durch Filibustern zu stören, also nicht enden wollende Redebeiträge. Ist auch diese Hürde genommen, muss Boris Johnson es der Königin zur Kenntnisnahme vorlegen, damit es rechtskräftig werden kann. Bis Montag soll die Prozedur abgeschlossen sein, solange dauert noch die Sitzungsperiode des Parlaments. Erst danach beginnt der von Boris Johnson verordnete Zwangsurlaub des Unterhauses.

Es gibt allerdings schon Befürchtungen, Johnson könne das Inkrafttreten des Gesetzes unterlaufen, indem er es einfach nicht bei der Queen vorlegt. Seine Gegner scheinen ihm einfach alles zuzutrauen.

Politics and Westminster
Vorfreude auf etwaige Neuwahlen vor dem ParlamentsgebäudeBild: picture-alliance/Zumapress/D. Haria

Ganz unklar ist auch, ob sich der Premier an den Beschluss des Unterhauses gebunden fühlen wird. In der Debatte am Dienstag machte er dazu total gegensätzliche Aussagen. Natürlich werde er das Gesetz achten, erklärte er in einem Satz, um ein paar Minuten später zu sagen, unter keinen Umständen wolle er die EU um eine verlängerte Frist für den Brexit bitten. Der Sieg des Parlamentes könnte also zum hohlen Triumph werden, wenn Johnson ganz mit Pflichten und politischem Anstand bricht.

Neuwahlen ja, aber wann und wie?

Es bleibe ihm unter den Umständen kein anderer Weg, als Neuwahlen auszurufen, sagte Johnson nach seiner Niederlage. Er ließ aber offen, wie und wann er das tun will. Denn er braucht dafür eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Die Opposition ist sich einig, dass sie ihre Zustimmung erst geben will, wenn das Anti-No-Deal-Gesetz in trockenen Tüchern ist. Das wäre frühestens am nächsten Montag. Und dann endet die Sitzungsperiode der Abgeordneten auf eigene Anordnung von Boris Johnson. Wie er aus dieser selbst gestellten Falle heraus kommt, ist noch offen.

Der Premier dürfte auf der Suche nach einer neuen Mehrheit an die Brexit-Wähler appellieren und sich nach dem Rechtsruck bei den Konservativen Stimmen auch von Anhängern der Brexit-Partei erhoffen. Alles spricht für einen kompromisslos harten Kurs beim Ausstieg aus der EU. "Das Volk gegen die parlamentarischen Eliten" dürfte dabei die Plattform für einen polarisierenden Wahlkampf werden. Ob das Johnson eine Mehrheit im Unterhaus sichert, ist allerdings ungewiss. Das Land und die Parteienlandschaft in Großbritannien sind gespalten. Die Zeiten der einfachen Wahlsiege sind vermutlich vorbei und Wahlexperten vermuten, dass es auch im nächsten Parlament wieder keine klaren Mehrheitsverhältnisse geben könnte.