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Christliches Menschenbild

Klaus Krämer14. November 2014

Wenn die Kirchen in der aktuellen Diskussion um Sterbehilfe Position beziehen, haben sie in der Regel ihren eigenen ethischen Ansatz, der sich aus dem christlichen Menschenbild speist. Was beinhaltet das?

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Bibel am Fenster
Die Bibel - Basis christlicher EthikBild: Fotolia/Curtis J. Alexander

Der Begriff "christliches Menschenbild" ist eine feste Größe im philosophischen Diskurs, der so viele Facetten hat, dass sich die Regalmeter mit Fachliteratur kaum messen lassen. Er fußt darauf, dass der Mensch nicht bloß ein biologisches Wesen ist, ein hochkomplexer Vielzeller mit beschränkter Lebensenergie und Lebensdauer. Die christliche Deutung sieht den Menschen vor allem als Person, als Geschöpf und Abbild Gottes. Ein Mensch ist als Geschöpf demnach nicht nur ein Kind seiner leiblichen Eltern, sondern auch ein individuelles "Wunschkind" Gottes, das er nach seinen Vorstellungen erschaffen und begabt hat.

Wert und Sünde des Menschen

Darin begründet sich nach christlicher Überzeugung der grundsätzliche Wert und die Würde eines jeden Menschen. Herkunft, Geschlecht, Besitz, gesellschaftlicher Status, körperliche Verfassung, Intelligenz – all das spielt keine Rolle in der Bemessung dieses Wertes durch Gott. Alle Menschen sind diesbezüglich auf einem Level.

Aus der durch Gott verliehenen Würde entspringt zugleich der Gedanke der Unverletzlichkeit des menschlichen Lebens. Weil die christliche Theologie das Leben eines jeden Menschen als Geschenk Gottes betrachtet, das er sich nicht selber gegeben hat, ist für gewöhnlich das Beendigen des Lebens durch eigene Hand oder auf eigenen Wunsch nicht verhandelbar. Nicht umsonst ist das Gebot "Du sollst nicht töten", bereits im jüdischen Glauben verankert, eine der wichtigen Handlungs-Maxime für christlich-ethisches Handeln.

Symbolbild Armut Bettler Soziale Ungleichheit
Bettler in der Fußgängerzone - Jeder Mensch hat den gleichen WertBild: picture alliance/David Ebener

Tod als Folge der Sünde

In der Spanne zwischen Geburt und Tod sieht die christliche Anthropologie den Menschen als Geschöpf, das von seinem Erschaffer mit einem freien Willen ausgestattet wurde, mit dem er sich auch gegen Gott entscheiden kann. Der sogenannten Sündenfall ist die Ursache für die Trennung von Gott. Die christliche Lehre versteht den Menschen deshalb als per se sündig. Der leibliche Tod wird als Folge der Sünde eingestuft und als der größte Feind jedes Menschen bezeichnet. Die auf alle Menschen vererbte Kollektivschuld wird individuell durch Fehlverhalten gegenüber Mitmenschen, der Umwelt und Gott vergrößert. Für die Theologie ist die Selbsttötung in der Regel ebenfalls Sünde gegenüber Gott.

Sieg über den Tod

Allerdings ist nach dem christlichen Menschenbild der Mensch auch in der Lage, sein Tun und Handeln zu reflektieren, zu bereuen und umzukehren. Diesen alternativen Lebensstil sieht die Theologie im Heilsplan Gottes. Der spannt einen Bogen weit über den irdischen Tod hinaus, indem der Mensch zu einem ewig währenden Leben in der Gegenwart Gottes berufen ist.

"Auferstehung Christi" - Gemälde von Raffaellino del Garbo
"Auferstehung Christi" - Gemälde von Raffaellino del GarboBild: picture-alliance / akg-images / Rabatti - Domingie

Dreh- und Angelpunkt ist die Person Jesus Christus. Sein Sterben stellvertretend für die Sünde der Mensch und vor allem seine leibliche Auferstehen von den Toten, befreit den glaubenden Menschen von seinem ärgsten Feind – dem Tod. Ein Christ muss den irdischen Tod zwar mit allen Konsequenzen erleiden. Dieser Tod bekommt aber einen positiven Sinn. Er ist nicht das Letzte. Danach geht es in einer anderen Weise und Dimension weiter. Der evangelische Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer, einer der klügsten theologischen Köpfe des 20. Jahrhunderts, soll unmittelbar vor seiner Hinrichtung durch die Nationalsozialisten gesagt haben: "Das ist das Ende. Für mich der Beginn des Lebens." Eine solche Perspektive, die das Hier und Jetzt übersteigt, ist in den vergangenen Jahrzehnten in unserem Kulturkreis immer mehr Zeitgenossen abhanden gekommen.

Gründe der Präferenz für Palliativmedizin

Die christlichen Kirchen fordern im Zuge der Sterbehilfe-Debatte einen Ausbau der Palliativmedizin. Dazu zählen optimale medizinische Versorgung, Schmerzlinderung, menschliche Nähe und Begleitung, Seelsorge, Betreuung von Angehörigen. Auch darin wird ein wichtiger Teil christlichen Selbstverständnisses deutlich: Das christliche Gebot der Nächstenliebe aufgrund der von Gott verliehene Würde an jeden Menschen. Nächstenliebe - ein ethisches Grundmotiv, das sich ebenfalls bereits in den Zehn Geboten findet – also aus dem Judentum stammt und später von Jesus bestärkt und hervorgehoben wird. In der Zuneigung und Betreuung von Kranken, Schwerstkranken und Sterbenden soll sie sich die Nächstenliebe ebenso wie in den anderen Bereichen menschlichen Miteinanders manifestieren.

Krankenzimmer
Optimale Betreuung Betreuung bis zum SchlussBild: picture-alliance/Sven Simon