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Das digitale Brot

11. Dezember 2018

Kommunikation ist essenziell auf der gefährlichen Migrationsroute durch Mexiko. Geflüchtete halten via Handy nicht nur Kontakt zur Familie. Mobil abrufbare Informationen können überlebenswichtig sein.

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Artikelbild Weltzeit 1-2019: Das digitale Brot
Bild: picture alliance/AP Images

Ixtepec im Süden Mexikos. Soeben ist Gerson Hernández vom Güterzug gesprungen. Kaum wähnt er sich in Sicherheit hinter den Mauern der Flüchtlingsherberge, kramt er aus einer eigens genähten Innentasche seiner Jeans ein Handy heraus und schickt eine Kurznachricht an die Familie in Honduras: Alles okay, ich bin in Ixtepec angekommen. „Das haben wir so vereinbart, meine Mutter macht sich sonst große Sorgen“, erzählt der 24-Jährige. Das Handy ist umgerechnet 30 Euro wert, eines der billigsten, das er in Mexiko finden konnte. Für ihn ist es Gold wert. Doch er muss jederzeit damit rechnen, dass es ihm gestohlen wird. Mexiko ist das gefährliche Transitland, das mittelamerikanische Migranten auf ihrem Weg in die USA durchqueren müssen. 2.000 Kilometer, auf denen korrupte Grenzbeamte lauern, gewalttätige Polizisten und Kriminelle, die Migranten entführen, um Geld zu erpressen, Frauen zur Prostitution oder Männer zum Drogenschmuggel zu zwingen.

Rund 40 Prozent aller Migranten, die Mexiko durchqueren, haben ein Handy dabei. Das hat eine Umfrage in den Flüchtlingsherbergen ergeben, die im ganzen Land verstreut sind. Die meisten Unterkünfte befinden sich entlang der Zugstrecken und der 3.000 Kilometer langen Grenze zwischen den USA und Mexiko. Betrieben werden sie von Kirchen- und Ordensleuten. Sie sind eine der wenigen Oasen, in denen Migranten sich sicher fühlen, geschützt vor Kriminellen und Übergriffen der Polizei. 

Kommunikation als Sicherheit

„Die Kommunikation spielt eine wichtige Rolle für das emotionale Wohlbefinden der Migranten und ihrer Familien“, erzählt Sergio Luna, Verwalter der Flüchtlingsherberge Sagrada Familia in Apizaco in Zentralmexiko. „Außerdem hat es die Sicherheit deutlich verbessert. Wenn zum Beispiel eine Gruppe auseinandergerissen wird, können sich die Menschen so schnell wiederfinden.“ Viele Migranten sind per Handy auch mit ihren Verwandten in den USA in Kontakt und lassen sich das Geld, das sie für die Reise brauchen, nach und nach transferieren an den jeweiligen Ort, an dem sie sich gerade befinden. „Im Falle eines Überfalls ist dann nicht gleich die gesamte Summe weg.“ Für ein Telefonat oder ein Handy mit Datenpaket verzichten viele Migranten sogar aufs Essen, schreibt der spanische Journalist Guillermo Barros in seiner Studie „Das Schweigen brechen“.

Pionier in Sachen Kommunikationsforschung bei Migranten war das Internationale Rote Kreuz, wie Luna erzählt. Ab 2014 stellten deren Mitarbeiter Telefonzellen in den Flüchtlingsherbergen auf. Denn die öffentlichen Telefone entlang der Zugstrecke waren gefährlich. Dort lauerten sowohl die Migrationsbehörden als auch Kriminelle den Auswanderern auf. In der Herberge waren sie sicher, das Personal verkaufte Telefonkarten. Doch das System hatte einen Nachteil: „Wir konnten nicht überprüfen, mit wem die Migranten telefonierten“, erzählt Luna. Denn manchmal schleusen Drogenkartelle oder Schlepperbanden Spitzel ein, um die Herbergen auszuspionieren.

Titelbild Weltzeit 1|2019; mit AusgabennummerTitelbild Weltzeit 1|2019; mit Ausgabennummer
Dieser Beitrag stammt aus dem gedruckten DW-Magazin Weltzeit 1 | 2019: #Article19ForAll – Information braucht FreiheitBild: DW

Heute hat sich ein anderes System durchgesetzt: Die meisten Herbergen verfügen über ein Mobiltelefon, das sie den Migranten kurzzeitig für internationale Anrufe zur Verfügung stellen. „Immer auf Anfrage und in Anwesenheit eines Angestellten der Herberge, um Missbrauch zu verhindern“, schildert Luna. Ermöglicht hat das die Konkurrenz auf dem mexikanischen Handymarkt, die die Preise purzeln ließ. Mittlerweile gibt es Pre-Paid-Pläne, die für umgerechnet 25 Euro im Monat unbegrenzt Anrufe in die USA und nach Mittelamerika erlauben. Nachteil ist das nicht immer verlässliche Handysignal. Für diesen Fall gibt es in manchen Herbergen noch die Möglichkeit, per Festnetzcomputer ins Internet zu gehen. Auch dies nutzen viele. Facebook ist dabei mit Abstand die beliebteste Kommunikationsplattform. 

Noch wenig bekannt sind Applikationen, die Hilfsorganisationen wie das UNHCR, Ärzte ohne Grenzen oder die Internationale Organisation für Migration (IOM) zur Verfügung stellen, beispielsweise @ConfiaEnElJaguar auf Facebook. Hier finden Migranten viele Informationen über die Route und können mit Experten chatten. Die Seite existiert seit 2017, aber die meisten erfahren erst in den Flüchtlingsherbergen davon, wie Luna erzählt. Doch der mündliche Austausch in den Herbergen und vor allem die Tipps, die dort Angestellte und Mitreisende geben, sind weiterhin fundamental bei der Entscheidung, wie, wohin und wann die Reise fortgesetzt wird.

Text Sandra Weiss, Korrespondentin


Wer hat Interesse, die Menschen zur Flucht zu bewegen? Um diese Fragen ranken sich Verschwörungstheorien. Was ist wahr, was nicht? DW-Autor Evan Romero-Castillo gibt Antworten.