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Das Drama von Iguala geht weiter

Astrid Prange7. September 2015

Für die mexikanische Regierung ist es eine schallende Ohrfeige. Für die Eltern der Opfer die Bestätigung ihres Misstrauens: Der Bericht der Kommission zum Massaker von Iguala weist die Ermittlungen als unhaltbar zurück.

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Demonstration von Angehörigen und Freunden der Opfer (Foto: epa)
Demonstration von Angehörigen und Freunden der OpferBild: picture-alliance/dpa/S. Gutierrez

"Es ist viel in Bewegung gesetzt worden, um im Fall Iguala nicht gründlich zu ermitteln", erklärt Mexiko-Expertin Christiane Schulz, die auch das Deutsche Institut für Menschenrechte berät. Alle bisherigen Studien zur Straflosigkeit in Mexiko legten nahe, dass systematisch verschleiert und schlampig ermittelt werde.

Im Fall der vermutlich ermordeten Studenten aus dem Lehramtsseminar von Ayotzinapa seien zwei wichtige neue Erkenntnisse aufgetaucht: "Erstens, es gab noch einen weiteren, fünften Bus. Und zweitens, die Experten durften das Militär nicht zu dem Vorfall befragen", erklärt Schulz. "Dies ist ein Drama."

Die von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) eingesetzte Expertengruppe hatte am 6. September einen 560 Seiten langen Bericht zu den Ermittlungen über das Massaker an 43 Lehramtsstudenten im September 2014 in der mexikanischen Stadt Iguala vorgelegt.

Darin kamen die Experten zu dem Schluss, dass die Leichen der Studenten nicht wie ursprünglich angenommen auf einer Müllhalde in der Nähe der Stadt Iguala verbrannt worden sein konnten. Es hätten weder die notwendigen Brennstoffe zur Verfügung gestanden, noch habe es einen ausreichend langen Brand auf der Müllhalde gegeben.

"Wo sind unsere Kinder?"

Bei den Angehörigen der Opfer lösten die Ergebnisse der Expertenkommission Wut und Verzweiflung aus. "Wir wussten, dass alles gelogen war", erklärte María de Jesús Tlatempa, die Mutter eines verschwundenen Studenten, gegenüber der spanischen Tageszeitung El Pais. "Es geht nicht darum, dass wir nicht akzeptieren wollen, dass unsere Kinder umgebracht wurden. Es geht darum, dass es keine Beweise gibt."

Nach der bisher offiziellen Darstellung wurden die Studenten in Iguala von Polizisten verschleppt und dann einer kriminellen Organisation übergeben - vermutlich im Auftrag des damaligen Bürgermeisters der Stadt. Mehrere angeblich geständige Bandenmitglieder gaben an, die jungen Leute getötet und ihre Leichen auf einer Müllhalde im nahe liegenden Ort Cocula verbrannt zu haben.

Absperrung beim Massengrab in Cocula, Mexiko (Foto: epa)
Bei Cocula wurde ein Massengrab entdecktBild: picture-alliance/dpa/R. Blackwell

Die Expertengruppe hingegen führt in ihrem Bericht aus, dass hinter der Attacke eventuell die mexikanische Heroin-Mafia gestanden haben könnte. In einem der fünf Busse, die die Studenten gekapert hätten, um zu einer Demonstration nach Mexiko City zu fahren, könnte sich eine Ladung Heroin befunden haben - ohne dass dies den Jugendlichen bewusst gewesen wäre.

Mächtige Heroin-Mafia

Die Nachfrage nach Heroin aus den USA mache den Mohn-Anbau für die mexikanischen Drogenkartelle immer wichtiger. "Die versteckte Ladung könnte die extrem gewalttätige Reaktion und den massiven Angriff auf den Bus erklären“, heißt es im Bericht der Expertengruppe. Dieser Aspekt sei bei den Ermittlungen bisher noch nicht ausreichend beachtet worden.

Es scheint unfassbar: Ein Jahr nach dem Massaker von Iguala, das Mexiko in monatelangen Aufruhr versetzte, sind die Ermittlungen wieder bei null angekommen. Das Vertrauen der Angehörigen in den Aufklärungswillen des mexikanischen Staates scheint endgültig zerstört.

Die letzte Hoffnung richtet sich nun auf die internationalen Ermittler. Die Angehörigen fordern, dass die Experten bis zum Abschluss der Untersuchung in Mexiko bleiben und Staatspräsident Enrique Peña Nieto alle Empfehlungen der Kommission umsetzen solle.

Die internationale Gemeinschaft schaut weg

Für die Mexiko-Expertin Christiane Schulz ist es an der Zeit, dass der internationale Druck auf Mexiko erhöht wird. "Die EU und auch Deutschland müssen reagieren", fordert sie. Deutschland habe bei seinem strategischen Partner in Menschenrechtsfragen bisher "beide Augen zugedrückt".

Die Menschenrechtsexpertin fordert zudem, das angestrebte Sicherheitsabkommen zwischen Deutschland und Mexiko auszusetzen, über das seit 2011 verhandelt wird. "Solange der Verdacht besteht, dass staatliche Sicherheitskräfte an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt sind, dürfte so ein Abkommen gar nicht diskutiert werden", stellt Schulz klar.

Der mexikanische Schriftsteller und Politiker Jorge Castañeda zieht den Vergleich zum Nachbarland Guatemala, das gerade von einer Protestwelle erschüttert wird. "Wenn es um Menschenrechte geht, dann sitzen wir im gleichen Boot", sagte er der mexikanischen Zeitung Milenio. "Eine internationale Kommission gegen Straflosigkeit, wie sie in Guatemala 2007 mit Unterstützung der UN eingerichtet wurde, stünde auch Mexiko nicht schlecht zu Gesicht."