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"Das Ende der Fahnenstange ist erreicht"

12. Juni 2002

Nach Plänen der unionsregierten Bundesländer soll jeder Klick im Internet, jede E-Mail und jede SMS aufgezeichnet und von der Polizei ausgewertet werden. Datenschützer protestieren gegen diese Rundumüberwachung.

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Bleibt das Recht auf unbeobachtete Kommunikation im Netz erhalten?Bild: AP

"Demnächst muss dann noch mein Weinhändler notieren, wie lange ich da war, und diese Aufzeichnungen muss er dann auch noch fünf Jahre lang aufbewahren." Deutschlands Bundesbeauftragter für Datenschutz Joachim Jacob ist ganz und gar nicht einverstanden mit den Plänen der unionsregierten Bundesländer, jeden Schritt der rund 30 Millionen Internetnutzer in Deutschland im weltweiten Netz zu überwachen.

Versteckt ist der Vorstoß der Unionsländer in einem Gesetzentwurf des von der SPD regierten Landes Niedersachsen zur effektiveren Bekämpfung der Kinderpornografie, den der Bundesrat am 31. Mai 2002 verabschiedete. In den Bundesratsausschüssen ergänzte die Unionsmehrheit den Entwurf um Bestimmungen, mit denen die Internetanbieter verpflichtet werden sollen, sämtliche Nutzungsdaten ihrer Kunden monate- oder gar jahrelang zu speichern und auf Anforderung an die Polizei, die Staatsanwaltschaft und sogar die Geheimdienste herauszugeben. Es sollen nicht etwa nur die Daten einzelner Verdächtiger gespeichert werden, sondern auf Vorrat von jedem Nutzer.

Vorratsspeicherung persönlicher Daten

Das wäre wie in einem Supermarkt, in dem die Bewegungen aller Kunden sicherheitshalber schon mal auf Video aufgezeichnet würden, klagen die Experten. Sollte sich bei der Inventur herausstellen, dass aus einem bestimmten Regal Artikel fehlen, würde man die alten Bänder herauskramen und nachsehen, welche Kunden im letzten Jahr an diesem Regal gestanden haben. Da der Ladenbesitzer alle seine Kunden kennt - was im Internet anhand der Zugangsdaten der Fall ist - könnte er die nachträglich Verdächtigten aufsuchen und befragen.

Mit einer solchen Vorratsspeicherung persönlicher Daten von Millionen rechtstreuer Bürger würde weit über das Ziel hinausgeschossen, meint Deutschlands oberster Datenschützer. Jacobs Meinung nach ist das Ende der Fahnenstange längst erreicht. "Der Grundsatz, dass erst ein Anfangsverdacht bestehen muss, bevor die Polizei ermitteln kann, wird auf den Kopf gestellt."

Bundesverfassungsgericht verbietet Vorratsspeicherung

Datenschutz in der Telekommunikation und im Internet bedeute bislang die gesetzlich verbriefte Sicherheit, dass nur Daten gespeichert werden dürften, die für Abwicklung und Abrechnung der Nutzung erforderlich seien, und das für höchstens sechs Monate, betonte Jacob. "Das Recht der Bürgerinnen und Bürger auch auf unbeobachtete Kommunikation vor allem im Internet muss erhalten bleiben", verlangte er. Bisher werden Nutzungsdaten von Surfern überhaupt nicht festgehalten.

Die vom Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil vom 15. Dezember 1983 verlangte strenge Zweckbindung jeder Datensammlung würde demnach missachtet, würde der Vorstoß aus dem Bundesrat Gesetz. Das Gericht hatte in der Urteilsbegründung eine Vorratsspeicherung nicht anonymisierter Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken ausdrücklich abgelehnt.

In der SPD, aber auch bei der FDP regt sich inzwischen Widerstand gegen die Unionspläne. Der Internet-Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Jörg Tauss, kündigte entschiedene Gegenwehr an. "Dieses Maß an Überwachung wäre das Ende der freiheitlichen Informationsgesellschaft und das Ende des Datenschutzes in Deutschland", sagte er. Der rechtspolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Rainer Funke, betonte, mit den Liberalen sei die totale Kontrolle des Internets nicht machbar. "Man kann nicht jeden der 30 Millionen deutschen Internetsurfer unter einen Generalverdacht stellen. Bisher gehen nur arabische Länder oder gar China in entsprechender Weise und mit entsprechendem Misstrauen gegen ihre Bürger vor." AP/(fro)