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Das Ende der Träume

4. Dezember 2008

Das Perlflussdelta in Südchina galt bislang als Boom-Region im Reich der Mitte. Aber die globalen Folgen der Finanzkrise machen sich inzwischen auch hier bemerkbar. Eine Reportage aus Dongguan von Ruth Kirchner

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Das Ende einer Schicht - vor allem Wanderarbeiter vom Land suchen in den Fabriken von Dongguan ihr AuskommenBild: Ruth Kirchner

Schichtwechsel bei der Spielzeugfabrik Kader in Zhongtang, einem der vielen gesichtslosen Bezirke der Sechs-Millionen-Stadt Dongguan in Südchina. Tausende von Arbeitern drängen aus dem Fabriktor auf die Strasse, zurück in die Gemeinschaftsunterkünfte gegenüber –in heruntergekommene Wohnblocks aus grauem Beton.

Am Fabriktor stehen Sicherheitsleute in blauen Kampfanzügen. Ein Polizeibus schiebt sich langsam durch die Menge – denn bei Kader knistert es seit Tagen. Als der Hongkonger Spielzeughersteller kürzlich ein paar hundert Arbeiter entliess, kam es zu Ausschreitungen, die bis tief in die Nacht andauerten. Büros und Computer wurden zertrümmert – und auch ein Polizeifahrzeug vor den Fabriktoren.

Die Spielzeug Fabrik Kader in Dongguan
Massenentlassungen und lächerliche Entschädigungen - die Arbeiter in Dongguan drohen mit RandaleBild: Ruth Kirchner

Krawall am Werkstor

„Ich habe fünf Jahre lang hier gearbeitet“, sagt ein junger Wanderarbeiter aus Sichuan, der seinen Namen nicht nennen will. Der Ärger ist ihm immer noch deutlich anzumerken. „Unsere Bosse haben uns keinerlei Erklärung für die Entlassungen gegeben“, sagt er, „aber wir haben gehört, es habe mit der Finanzkrise zu tun.“ Die Arbeiter, die sich um ihn gescharrt haben, nicken zustimmend.

Der Unmut der entlassenen Arbeiter richtete sich vor allem gegen die Bedingungen für Entschädigungszahlungen, die viele als ungerecht empfanden. „Die Arbeiter sind in die Büros gegangen, um mehr Entschädigung zu verlangen“, sagt eine 38jährige Wanderarbeiterin aus der Provinz Hubei. „Aber Sicherheitskräfte haben auf die Leute eingeschlagen. Deshalb wurden die Leute sauer und haben angefangen zu randalieren.“

Was genau zu den Ausschreitungen geführt hat, lässt sich kaum noch rekonstruieren. Aber der Vorfall zeigt wie angespannt die Lage vielerorts ist. Millionen von Wanderarbeitern drängten in den vergangenen Jahren in Städte wie Dongguan – die Arbeit in den unzähligen Fabriken der Werkbank der Welt war immer noch besser als die Armut und Perspektivlosigkeit auf dem Land. Doch dieser Traum ist jetzt in Gefahr.

Heim ins Dorf

Ich werde versuchen einen anderen Job zu finden“, sagt der Arbeiter aus Sichuan.. „Aber wenn das nicht klappt, muss ich in mein Dorf zurück.“

Der Arbeiter weiß , dass die Jobsuche zunehmend schwieriger wird im Perlflussdelta, wo bis vor kurzem noch ein Mangel an Arbeitskräften herrschte. Aber wegen steigender Arbeitskosten und sinkender Aufträge aus dem Ausland machen immer mehr Fabriken dicht, fahren sie die Produktion zurück oder versuchen die Kosten zu drücken. Die Krise trifft vor allem die Wanderarbeiter, die meist keinerlei soziale Absicherung haben.

In einem kleinen Restaurant in Zhangmutou, einem weiteren Industriebezirk von Dongguan spielen entlassene Arbeiter Majong. Jeder setzt zehn Yuan ein, umgerechnet etwa einen Euro. Bis Mitte Oktober hatten sie alle bei Smart Union gearbeitet und Spielzeug für den amerikanischen Markt produziert. Dann machte die Fabrik von einem Tag auf den andere zu – 7000 Menschen verloren ihre Jobs.

„Wir haben vor dem Gebäude der örtlichen Regierung demonstriert und so zumindest erreicht, dass man uns dort die ausstehenden Löhne zahlt“, berichtet ein ehemaliger Produktionsleiter, der seinen Familinenamen mit Wang angibt. „Jetzt wollen wir auf juristischem Weg durchsetzen, dass wir Entschädigung bekommen. Aber es kann ewig dauern, bis wir Geld sehen. Ich kann verstehen, wenn es zu Randale kommt. Wir haben das nicht gemacht, aber jetzt wünsche ich mir, wir hätten mehr protestiert.“

Sicherheitsleute am Fabriktor der Spielzeugfabrik Kader in Dongguan
Wenn nötig mit Gewalt - Sicherherheitsleute sollen den Zorn der Arbeiter im Zaum haltenBild: Ruth Kirchner

Peking befürchtet Unruhen

Die Frustration und der Ärger der entlassenen Arbeiter ist überall in Dongguan deutlich spürbar. Die chinesische Regierung weiss um die Gefahr wachsender Spannungen. Der wirtschaftliche Abschwung könne durchaus zu sozialen Unruhen führen, warnte Ende November ein führendes Mitglied der Zentralregierung in Peking.

Am Bahnhof der Provinzhauptstadt Guangzhou warten hunderte von Wanderarbeitern auf ihre Züge, die sie zurück in die Heimat bringen sollen. Sie wollen erst nach dem Chinesischen Neujahrsfest Ende Januar wieder auf Arbeitssuche gehen. Überall am Bahnhof patrouilliert Polizei.

Dass viele jetzt nach hause zurückkehren, entschärft zunächst die Lage, glaubt der Arbeitsrechtler Liu Kaiming. Wir machen uns dennoch große Sorgen“, sagt der Aktivist, der sich seit Jahren für Wanderarbeiter einsetzt. „Wenn die meisten Leute nach dem chinesischen Neujahrsfest wieder Jobs finden, ist alles okay. Aber wenn nicht, gibt es Riesenprobleme. Denn viele Leute sind sowieso mit der Regierung sehr unzufrieden.“

In Zhangmutou beginnen die ehemaligen Arbeiter der Smart-Union-Spielzeugfabrik eine neue Runde Majong. Jeder legt einen Zehn-Yuan-Schein auf den Tisch. Neues Spiel, neues Glück. Am Fabriktor warnt ein Plakat, dass jeder, der unangemeldet demonstriert mit Haftstrafen von zehn bis 15 Tagen zu rechnen hat. Die Majong-Spieler konzentrieren sich auf ihre Spielsteine – noch. Aber wie Millionen andere sehen auch sie einer ungewissen Zukunft entgegen.