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Das Ende des ewigen Eises

Stefan Nestler30. August 2012

Das Eis in der Arktis ist auf ein Rekord-Minimum geschrumpft. Im Interview mit der DW spricht Rüdiger Gerdes vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung über Ursachen und Konsequenzen.

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Ein Nebelbogen über einer Eisscholle auf Spitzbergen. Foto: dpa
EisschmelzeBild: picture-alliance/dpa

DW: US-Wissenschaftler haben jetzt festgestellt, dass die Eisfläche um den Nordpol mit 4,1 Millionen Quadratkilometern so klein ist wie noch niemals zuvor. Müssen bei uns jetzt die Alarmglocken schrillen?

Professor Rüdiger Gerdes: Na ja, es ist ein Zeichen dafür, dass wirklich etwas vorgeht mit dem Klimasystem. Dieser Rückgang – genauso wie der starke Rückgang des Eises in den vorausgegangenen Jahren – kann  nicht durch natürliche Ursachen erklärt werden. Es gibt einen äußeren Antrieb, das ist der Temperaturanstieg, der durch die Treibhausgase bedingt ist. Es gibt auch natürliche Ursachen, aber zum großen Teil ist es der Treibhausgas-Effekt, und insofern muss uns das schon beunruhigen.

Prof. Rüdiger Gerdes, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft, Bremerhaven (Bild: Maike Thomsen, Alfred-Wegener-Institut)
Rüdiger GerdesBild: Maike Thomsen, Alfred-Wegener-Institut

Kann man sagen, dass wir in der Arktis den Wettlauf gegen den Klimawandel verlieren?

Insofern, dass wir wahrscheinlich nicht wieder zu solchen Verhältnissen zurückkehren wie wir sie noch vor 20 Jahren hatten. Das halte ich für ziemlich ausgeschlossen. Das Eis wird sich nicht so stark erholen, sondern voraussichtlich weiter abbauen, weil der Temperaturanstieg weitergeht. Kurzfristig kann sich das Eis zu einem gewissen Grad erholen, aber langfristig ist der weitere Rückgang wohl unvermeidlich.

Das heißt, wir müssen uns damit abfinden, dass das Gebiet um den Nordpol irgendwann einmal im Sommer eisfrei sein wird?

Es wird eventuell gewisse Reste von Eis geben, auch im Sommer. Aber wenn Sie sich schon jetzt eine Karte der Eisverteilung angucken, dann sehen Sie, dass wirklich weite Teile der Arktis eisfrei sind. Der ganze westliche Teil, außer nördlich des kanadischen Archipels, ist völlig eisfrei. Südlich von 80 Grad Nord ist praktisch überhaupt kein Eis mehr. Und in weiten Teilen sieht es aus, als würde es sich in den nächsten zwei, drei Wochen noch bis 85 Grad Nord zurückziehen.

Bisher ging man davon aus, dass die Arktis in einem Zeitraum irgendwann zwischen 2040 und dem 22. Jahrhundert im Sommer komplett eisfrei sein würde. Muss man den Termin jetzt vorverlegen?

Man kann keinen genauen Zeitpunkt nennen. Es gibt ja auch natürliche Temperaturschwankungen. Außerdem wissen wir nicht genau, wie sich die Wirtschaft, die Technik, die Bevölkerung und deren Nutzung von Energie entwickeln werden - deswegen auch der lange Bereich zwischen 2040 und dem 22. Jahrhundert. Das waren übrigens Modelle, die zu dem vorherigen Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change – Internationaler Ausschuss zum Klimawandel der Vereinten Nationen) beigetragen haben. Es gibt eine neue Runde von Modellrechnungen für den nächsten IPCC-Bericht. Jetzt werden die Zahlen etwas näher heranrücken an 2012.

Die Arktis gilt als Fieberthermometer des Erdklimas. Was bedeutet das immer schnellere Abschmelzen des Arktis-Eises für die gesamte Welt?

Die Luftaufnahme zeigt den Forschungseisbrecher Polarstern am Nordpol. Foto:Alfred-Wegener-Institut
Sind Eisbrecher - wie das Forschungsschiff "Polarstern" - bald im arktischen Sommer überflüssig?Bild: Mario Hoppmann, Alfred-Wegener-Institut

Wenn das Eis jetzt großflächig verschwindet und der Ozean dadurch auch die Gelegenheit hat, während der Sommermonate ordentlich Wärme aufzunehmen, hat das natürlich Auswirkungen auf das gesamte Klima. Es gibt zum Beispiel Hinweise aus Beobachtungen und Modellrechnungen, dass wir im Gegensatz zu den hier bisher üblicherweise vorherrschenden westlichen Winden vermehrt nord-süd-gerichtete Winde haben werden. Das bedeutet, dass diese Winde entweder sehr kalte Luft zu uns transportieren oder auch sehr warme Luft – also eine gewisse Tendenz zu größeren Extremen.