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Signalwirkung

Henrik Böhme14. Januar 2008

Deutsche Bahn und Lokführergewerkschaft haben sich endlich auf Eckpunkte eines neuen Tarifvertrags geeinigt: Ein Grund zum Feiern ist das aber nicht, findet Henrik Böhme.

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Bild: DW
Stolz präsentierte der Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee am Sonntag (13.1.2007) einen kleinen Zettel: Darauf ein paar Kritzeleien und zwei Unterschriften: Die eine vom Chef der Deutschen Bahn, die andere vom Chef der Lokführer-Gewerkschaft GDL. Ein Zettel als Beweis für den Durchbruch nach zehnmonatigen Tarifverhandlungen, der mit extrem harten Bandagen geführt worden waren. Ein Zettel für das "Haus der Geschichte" – wie der Minister voller Stolz verkündete. Wenn er sich da mal nicht getäuscht hat: Geschichte macht der bevorstehende Tarifabschluss womöglich wirklich – er könnte nämlich das Ende des sozialen Friedens in Deutschland eingeläutet haben.

Geht der Schuss nach hinten los?

In Deutschland gibt es rund 40 Millionen Arbeitnehmer. Aber nur 9000 von ihnen sind Lokführer. Sie haben die Macht, den Eisenbahnverkehr des Landes lahm zu legen – und sie haben diese Macht schamlos ausgenutzt. Auch andere sitzen an solchen Schaltstellen: Piloten, Fluglotsen, Ärzte. Sicher ist es richtig, dass die bislang unterbezahlten Lokführer jetzt mehr Geld bekommen. Aber weil sie auch gleichzeitig kürzer dafür arbeiten sollen, steht jetzt oben drüber: Mehr Geld – weniger Arbeit. Wenn das Schule macht, dann: Gute Nacht Deutschland! Denn wie sich die deutsche Wirtschaft mit einer solchen Formel im globalen Wettbewerb behaupten will, kann wahrscheinlich kein Gewerkschafter erklären. Daher auch die zurückhaltende Reaktion des obersten deutschen Gewerkschafters: Der Bahn-Durchbruch sei zwar ein beachtenswerter Startschuss für die gerade begonnene Tarifrunde 2008. Doch gleichzeitig bedauerte DGB-Chef Michael Sommer den tarifpolitischen Kurs der Lokführer-Gewerkschaft.

Das verwundert nicht. Denn der Erfolg der Lokführer wird anderen privilegierten Gruppen Appetit machen. Am Ende stünde das Aus für den herkömmlichen Flächentarifvertrag. Doch gerade der – auch wenn er manchem als Vehikel von gestern vorkommt – ist ein wichtiges Bindeglied der sozialen Partnerschaft, auf der das deutsche Wirtschaftsmodell beruht. Und er ist die Basis für eines der wertvollsten Güter dieses Landes: Für den sozialen Frieden.

Düstere Zukunft?

Das Szenario ist eher düster: Die großen Gewerkschaften wie IG Metall oder Verdi zerbröseln in immer mehr kleine Splitter-Gewerkschaften. Die bekämpfen sich – wie im Fall der Lokführer, mit anderen Spartengewerkschaften und handeln für jede Gruppe den Lohn separat aus. Streiks wären an der Tagesordnung. Das Ergebnis: Es wird ruppiger zugehen – auch innerhalb der Belegschaften. Das Ganze hilft am Ende nur den Starken. Und hat eine enorme Sprengkraft. Kann ein Lokführer seinem im Zug mitfahrenden Schaffner noch mit gutem Gewissen in die Augen schauen? Beide arbeiten im gleichen Unternehmen. Der eine bekommt jetzt elf Prozent mehr, der andere nur vier. Die Gewerkschaft der Lokführer hat ein gewerkschaftliches Prinzip verraten: Das Prinzip der Solidarität. Manfred Schell – der Gewerkschaftsboss – hat sich kurz vor seiner Pensionierung ein Denkmal gesetzt. Vorschlag für die Inschrift: Hier ruht das deutsche Konsensmodell.