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"Das Ergebnis der Präsidentschaftswahl wurde angeordnet"

Olja Melnik21. März 2006

Die weißrussische Opposition will den schnell verkündeten Sieg Lukaschenkos nicht hinnehmen und fordert eine Neuwahl. Wahlbeobachter kritisieren, dass die Wahl nicht den internationalen Standards entsprochen habe.

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Die Demonstrationen in Weißrussland gehen weiterBild: AP
Wahlen Weißrussland Reaktionen in Minsk Opposition
Demonstration der Opposition am frühen Dienstagmorgen in MinskBild: AP

Lukaschenkos Sieg kam nicht überraschend. Wenige Stunden nach der Öffnung der Wahllokale am vergangenen Sonntag (19.3.2006) hieß es, Lukaschenko hätte bereits die nötige Anzahl von Stimmen bekommen, um in seinem Amt als Präsident bestätigt zu werden. Kurz nach Ende der Abstimmung wurde das vorläufige Wahlergebnis im staatlichen Fernsehen verkündet: Mit über 80 Prozent der Stimmen hat Lukaschenko seine drei Konkurrenten weit hinter sich gelassen. Ein wirklich eleganter Sieg, bescheinigten ihm die Wahlbeobachter aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS).

"Wir erkennen diese Wahl als frei, offen und transparent an", verkündete am Montag der Leiter der Wahlbeobachter aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Wladimir Ruschailo.. "Trotz einiger technischer Verstöße verlief die Abstimmung gemäß den belarussischen Gesetzen." Sein Team aus rund 470 Wahlbeobachtern sei zu dem Schluss gekommen, dass es an der Rechtmäßigkeit der Wahlergebnisse keinen Zweifel gebe.

Wahlstabsleiter festgenommen

Doch bei weitem nicht alle seine Mitarbeiter sind mit diesem Urteil einverstanden. Der russische Duma-Abgeordnete Wladimir Ryschkow ist einer von ihnen: "Ich halte diese Wahl weder für frei noch für demokratisch. In Belarus wurden alle erdenklichen demokratischen Normen verletzt." Ruschailo habe vor den offensichtlichen Verstößen und Manipulationen die Augen verschlossen. Schon vor der Wahl wurden aktive Regime-Gegner unter lächerlichen Vorwänden aus dem Verkehr gezogen und zu mutmaßlichen Verbrechern erklärt, beklagt Ryschkov:

Als besonders gefährlich galten diejenigen, die zu Protesten aufgerufen hatten. Selbst gegen den Präsidentschaftskandidaten Alexander Kosulin wurde ein Strafverfahren eingeleitet. "Auf unserer Liste stehen 218 Personen, die während des Wahlkampfes weggesperrt wurden", erzählt der unabhängige Wahlbeobachter und Menschenrechtler Oles Belazki. "Alle regionalen Wahlstabsleiter wurden festgenommen und wegen der Organisation von nicht erlaubten Wahlkampfveranstaltungen zu mehrtägigen Haftstrafen verurteilt."

Abstimmen vor dem Wahltag

Hinzu kommt, dass etwa 30 Prozent aller Wahlberechtigten ihre Stimmen bereits vor dem eigentlichen Wahltag abgeben mussten, und zwar für den amtierenden Staatschef. "Fast alle Studenten, Militärangehörigen und Ärzte haben vorzeitig abgestimmt. Dafür wurde ihnen ein verlängertes Wochenende versprochen", sagt Belazki. "Was mit ihren Stimmzetteln passiert ist, weiß keiner, denn die Wahlurnen wurden von der Polizei überwacht, die dem Staat untersteht. Wir gehen davon aus, dass diese Wahlzettel ausgetauscht wurden."

In den Wahlkommissionen sei die Opposition mit weniger als einem Prozent vertreten, so Oles Belazki. Diese setzten sich in der Regel aus "zuverlässigen" Beamten zusammen, die dafür sehr gut bezahlt würden. Das größte Problem hatte Belazki mit der Auszählung: "Die Wahlbeobachter wurden von der Stimmauszählung weitgehend ausgeschlossen. Wenn sie auf ihrem Recht bestanden, wurden sie kurzerhand aus den Wahllokalen geworfen." Landesweit seien rund 100 Wahlbeobachter der Wahllokale verwiesen worden. "Keiner weiß, wie diese Stimmen gezählt wurden und was auf den Stimmzetteln wirklich stand."

Standards nicht erfüllt

Ähnliche Probleme hatte auch Walentina Polewikowa, die den Urnengang mit ihren Kollegen aus der Vereinigten Bürgerpartei für den Oppositionskandidaten Alexander Milinkewitsch verfolgt hat. "Wenn wir versucht haben, auf die Verstöße hinzuweisen, wurden wir dreist aus den Wahllokalen rausgeschmissen. Die Stimmzettel für unseren Kandidaten wurden einfach in einen Haufen mit denen von Lukaschenko geworfen." Genauso wie die meisten ihrer Kollegen ist Polewikowa fest davon überzeugt, dass die Wahlkommissionen dazu gezwungen wurden, am Ende der Abstimmung deren Ergebnisse zu fälschen. "Es wurde ein Ergebnis von 82 Prozent angeordnet", sagt sie. "In jedem Wahllokal bemühte man sich, ungefähr auf diese Zahl zu kommen."

Inzwischen erklärten auch die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), dass bei der Wahl die Standards für freie und faire Abstimmungen nicht erfüllt wurden. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Manfred Grund, war einer von rund 400 OSZE-Wahlbeobachtern, die den Ablauf des Wahltages kontrolliert und protokolliert haben. "Das Problem ist die Feststellung des Endergebnisses, an dem niemand eine Kontrolle hat - weder die OSZE, noch die Zivilbevölkerung, so dass für Manipulationen Tür und Tor geöffnet wird", sagt Grund.

"Lukaschenko hätte gewinnen können"

Dabei ist Grund überzeugt, dass der amtierende Staatspräsident auch ohne Manipulationen die Wahl gewonnen hätte: "Ich habe den Eindruck, dass mehr als 50 Prozent dem Präsidenten zugeneigt sind, weil sie von ihm abhängig sind und sehen, dass gerade in der Ukraine nach der orangenen Revolution sich die Situation für die Menschen nicht verbessert hat, sondern auch schwieriger geworden ist." Trotz massiver Proteste der Opposition werde es in absehbarer Zeit zu keinem Machtwechsel in Weißrussland kommen.

Die Chancen der Opposition, eine Neuwahl durchzusetzen seien gering, da das Oberste Gericht in den Händen des Präsidenten liegt, erklärt Grund. "Wir müssen uns darauf einrichten, dass in den nächsten vielleicht fünf Jahren Präsident Lukaschenko das Land regieren wird und dann ein Prozess aus der Gesellschaft heraus einsetzen wird, der zu Veränderungen drängt."