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Warum ist das Finanzministerium so begehrt?

21. Oktober 2021

Christian Lindner (FDP) will es werden, Robert Habeck (Grüne) auch: Finanzminister in einer möglichen Regierung aus SPD, FDP und Grünen. Wie wichtig ist die Zuständigkeit fürs Geld? Acht Fragen und Antworten.

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Vor einem Gebäude mit großen Fensterscheiben stehen zwei Männer: einer im schwarzen Hemd, leicht geöffnet, mit hochgekrempelten Ärmeln, einer im Anzug, weißen Hemd und roter Krawatte. Beide schauen am Betrachter vorbei
Sie wollen Finanzminister werden: Robert Habeck (li.), Co-Vorsitzender der Grünen, und FDP-Chef Christian LindnerBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Geld sei zwar nicht alles, sagte der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold kürzlich: "Aber ohne Geld wird alles nichts." Er war bei den Sondierungen für die geplante Ampel-Regierung aus der sozialdemokratischen SPD, der Umweltpartei Bündnis 90/Die Grünen und der liberalen FDP.

An diesem Donnerstag haben die Koalitionsverhandlungen offiziell begonnen. Die drei Parteien haben sich zum Ziel gesetzt, bis Ende November einen Koalitionsvertrag vorzulegen, wie die Generalsekretäre der FDP, Volker Wissing, und der SPD, Lars Klingbeil, sagten. In der zweiten Dezemberwoche könnte dann Olaf Scholz zum neuen Bundeskanzler gewählt werden.

Um Posten geht es erst am Ende der Gespräche. Doch nicht nur Giegold betont, wie wichtig das Amt des Finanzministers sei - etwa, um die Klimapolitik der Grünen umzusetzen. FDP-Politiker aber reklamieren das Amt für ihren Parteichef Christian Lindner. Höchste Zeit, einige Fragen zu klären.

Wie viel Einfluss hat der Finanzminister?

Kein Wunder, dass Grüne und FDP sich um diesen Posten in der Bundesregierung streiten: "Das ist der einflussreichste nach dem Kanzler", sagt der Trierer Politikwissenschaftler und Parteienforscher Uwe Jun der DW.

Das liege daran, dass der Finanzminister den Haushaltsplan vorlegt und "Politikgestaltung wesentlich mit finanziellen Ressourcen zu tun hat". Wie war das? Ohne Geld wird das nichts. Auch wenn das Parlament am Ende den Haushalt beschließt: Die Vorplanung wird im Finanzministerium gemacht.

Weitwinkel-Luftaufnahme des Regierungsviertels in Berlin - zu sehen sind zahlreiche große Verwaltungsgebäude und vereinzelte Grünflächen. In der Mitte ist ein großes, langgestrecktes Gebäude zu sehen, das drei Innenhöfe einschließt
Das Bundesfinanzministerium (Mitte) im Berliner Regierungsviertel ist eines der größten Bürogebäude der StadtBild: picture alliance/Arco Images

Für jedes der anderen Ministerien gibt es in dem riesigen Bau an der Wilhelmstraße mit über 2000 Mitarbeitenden sogenannte "Spiegel-Referate". Sie schauen genau darauf, welchen Finanzbedarf die Ressorts anmelden, und stellen mit ihnen den Haushalt auf. Die Finanzminister der letzten 12 Jahre, Wolfgang Schäuble (CDU) und Olaf Scholz (SPD), hätten ihren "erheblichen Einfluss" genutzt, sagt Uwe Jun.

Hat Hans Eichel (SPD) sich auch stark gefühlt als Finanzminister von 1999 bis 2005? Das wird er im Interview mit dem Deutschlandfunk (dlf) gefragt. "Stark ja", antwortet er, aber für eine erfolgreiche Regierung komme es viel mehr auf die kollegiale Zusammenarbeit an als auf starke Minister.

Wie wichtig ist das Vetorecht?

Der Finanzminister kann im Kabinett gegen alle anderen Minister ein Vetorecht einlegen. Das sei allerdings "ein stumpfes Schwert", sagt Eichel. Im nächsten Schritt werde mit einfacher Mehrheit entschieden. Wenn der Finanzminister sich dann nicht durchsetze, sei er nicht gestärkt, sondern geschwächt.

Ein Mann mit grau melierten Haaren und Brille in Hemd, Anzug und Krawatte steht an einem Mikrofon und erhebt beide Arme beim Sprechen
2001: Ja, als Finanzminister (1999-2005) habe er sich stark gefühlt, sagte Hans Eichel (SPD) dem DeutschlandfunkBild: Ralf Hirschberger/dpa/picture-alliance

Eine Regierung, die mit Vetorechten arbeiten muss, tue sich keinen Gefallen, betont auch Politikwissenschaftler Jun, weil dann schnell Blockade-Situationen auftreten könnten. "Sinnvoller ist es, gegenseitiges Vertrauen aufzubauen und im Koalitionsausschuss nach Lösungen zu suchen." Dort seien die führenden Politiker aller Regierungsparteien vertreten.

Welchen Einfluss hat das Finanzministerium international?

Bis vor einigen Jahren übernahmen die kleineren Regierungsparteien traditionell das Außenministerium. Doch das Auswärtige Amt habe an Einfluss verloren, sagt Jun: "Die Europa- oder EU-Politik ist nun wesentlich im Kanzleramt angesiedelt." Bei der letzten Regierungsbildung habe die SPD darauf bestanden, den Finanzminister zu stellen.

Der frühere Minister Hans Eichel nennt das Finanzministerium "das eigentliche Europa-Ministerium": "Keine Gruppe in Brüssel ist so einflussreich wie der ECOFIN, der Rat der EU-Wirtschafts- und Finanzminister". Dazu komme die Euro-Gruppe, die die Währungsunion steuert, und global die G20-Staaten, die 1999 für den Austausch der Finanzminister und Notenbank-Chefs gegründet wurden.

Porträt eines Mannes mit dunklen Haaren und Brille im Jacket vor einem Bücherregal, der freundlich lächelnd in die Kamera blickt
Professor Uwe Jun lehrt als Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der Universität TrierBild: Birgit Reichert/dpa/picture alliance

Politikwissenschaftler Jun stimmt zu: Er verweist auf Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble, der stets auf die Einhaltung des EU-Stabilitätspakts gepocht habe, und den amtierenden Minister Olaf Scholz, der bei den EU-Beschlüssen in der Corona-Krise seinen Einfluss geltend gemacht habe. Auch auf europäischer Ebene habe das Finanzministerium - nach dem Kanzleramt - "eine sehr bedeutsame Rolle".

Wie wichtig sind Finanzminister in anderen Ländern?

Wenn in man in vergleichbare Länder wie Frankreich oder Großbritannien sehe, sagt Uwe Jun, dann sei das Finanzministerium auch dort ein ganz entscheidendes Ministerium, das immer von Spitzenpolitikern besetzt werde. Sie hätten dort zusätzlich wirtschaftspolitische Aufgaben.

Wie wichtig das Amt sei, zeige sich in Großbritannien schon am Namen: In der Regierung habe der "Schatzkanzler" eine zentrale Rolle.

Was muss ein Finanzminister können?

Die fünf letzten Finanzminister haben vorher große Behörden geleitet, sagt Hans Eichel im dlf-Interview. Vier waren Ministerpräsidenten, Wolfgang Schäuble Bundesinnenminister. Spezialist müsse man nicht sein: "Die guten Experten sitzen alle im Haus." Der Minister müsse sie zu guten Entscheidungen führen. Der Grünen-Finanzminister aus Baden-Württemberg warb auf Twitter für Co-Parteichef Robert Habeck.

Uwe Jun hält es für sehr wichtig, "mit finanzpolitischen Aspekten" vertraut zu sein. Es sei auch ein Vorteil für einen Finanzminister, wenn er die Ressortabstimmung, "die Regierungsseite von innen kennt", weil das Finanzministerium viel koordinieren müsse. Diese Erfahrung sei "bei Herrn Lindner noch schwach ausgeprägt".

Lässt sich die Minister-Macht begrenzen?

Parteienforscher Jun kann verstehen, dass etwa die Grünen sich fragen, ob sie ihre Klimaschutz-Ziele umsetzen könnten, falls Christian Lindner Finanzminister würde: Die FDP denke mehr an marktwirtschaftliche Instrumente und Anreize für technologische Lösungen, die Grünen eher an staatliche Regeln und direkte staatliche Mittel.

Für die FDP sei dieses Amt besonders wichtig, weil Finanz- und Wirtschaftspolitik den Kern ihrer Politik ausmache. Als sie bei ihrer letzten Regierungsbeteiligung (2009 bis 2013) darauf verzichtete, flogen die Liberalen danach aus dem Bundestag.

Was also tun? Da hilft nur eins, analysiert der Politikwissenschaftler: Die Koalitionsvereinbarungen müssen detailliert ausgearbeitet werden. Dazu gehörten ganz konkrete Zahlen: Wie viel soll investiert werden, in welchem Zeitraum, "um den zukünftigen Finanzminister festzulegen". Der Koalitionsvertrag gelte als politisch verbindlich.

Wie beliebt sind Finanzminister?

Finanzminister Olaf Scholz konnte in der Corona-Krise und nach der Flutkatastrophe im Sommer punkten mit Hilfszusagen für Unternehmen und Betroffene. Jetzt könnte er Kanzler werden.

"Scholz hat davon profitiert, dass die Haushaltslage des Bundes sehr gut war", sagt Uwe Jun. "Es kann aber auch sein, dass sich die Haushaltslage deutlich verschlechtert und ein Finanzminister erhebliche Einsparungen vornehmen muss." Bei unangenehmen Entscheidungen könnte sein Ansehen schwinden.

Kann eine Ampel-Koalition am Streit ums Finanzministerium scheitern?

Damit rechnet der Trierer Parteienforscher nicht. SPD, FDP und Grüne hätten der Öffentlichkeit gesagt, dass sie eine Koalition des Aufbruchs wollen und von Vertrauen und hoher Bereitschaft gesprochen.

Scheiterten sie jetzt an der Postenvergabe, "würden alle beteiligten Parteien ihr Gesicht verlieren".