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Pressefreiheit zweifelhaft

Anke Hagedorn und Hülya Köylü29. März 2007

Journalisten leben in der Türkei noch immer gefährlich. Aus Angst vor Repressalien berichten viele Medien einseitig. Kritische und unabhängige Journalisten geben aber nicht auf.

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Mit Handschellen gebundene in die Luft gereckte Hände (Quelle: AP)
Gebundene Hände: Demonstration türkischer Journalisten 2005Bild: AP

Mehr als 20 Journalisten, Autoren und Redakteure werden nach Angaben der Nicht-Regierungs-Organisation "Reporter ohne Grenzen" in der Türkei aktuell strafrechtlich verfolgt - die meisten von ihnen wegen des Paragraphen 301, der die "Beleidigung des Türkentums" unter Strafe stellt. Manche Medien haben sich eine Art Selbstzensur auferlegt, andere berichten nur sehr eindimensional über bestimmte Themen. Aber es gibt auch die Medien, die sich offen über sensible Themen wie Menschenrechtsverletzungen, Übergriffe gegen Kurden, Vergewaltigungen und die Rolle des Militärs äußern. So auch die Mitarbeiter der Internet-Plattform "Bianet". Sie haben sich eine kritische Analyse der türkischen Medien und eine unabhängige Berichterstattung auf die Fahnen geschrieben.

Tolga Korkut schreibt im Großraumbüro von "Bianet" im Istanbuler Stadtteil Cukurcuma gerade an einem Artikel über ein internationales Treffen zum Thema unabhängige Medien. Bevor er zu "Bianet" kam, hat er mehrere Jahre für verschiedene türkische Medien gearbeitet. Doch da habe er sich ständiger Kontrolle und Zensur ausgesetzt gefühlt - jetzt sei das anders: "Die Distanz zwischen den Dingen, über die man berichtet, und einem selbst wird geringer." Er fühlt sich nun nicht mehr manipuliert und hat nicht das Gefühl, dass man ihm etwas aufzwingt, wie er sagt.

Selbstzensur, Einseitigkeit aber auch offene Berichterstattung

Tolga Korkuts Spezialgebiet sind Menschenrechte - ein hochsensibles Thema in der Türkei. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über einen EU-Beitritt sind von Brüssel aus immer wieder Verletzungen von Grundrechten angeprangert worden. Korkut berichtet regelmäßig über Opfer von staatlicher Gewalt, Unterdrückung, Folter. Aber es sind nicht so sehr die spektakulären Fälle, die ihn beschäftigen, sondern der Alltag. "Zum Beispiel sterben hier sehr viele Arbeiter, weil sie keinen ausreichenden Schutz haben." So seien in diesem Jahr 20 Arbeiter einer Werft wegen mangelhafter Arbeitsschutzgesetze gestorben - "und niemand berichtet darüber, außer unabhängigen Medien wie uns."

Zehn Monate Gefängnis für PKK-Interview

Der türkische Journalist Ragip Duran (Quelle: AP)
Ragip Duran: zehn Monate Gefängnis für ein InterviewBild: AP

"Bianet" ist stark auf Themen aus dem Südosten des Landes fokussiert - die Kurdengebiete. Die ärmste Region der Türkei ist nach wie vor sehr traditionell, zum anderen greift das türkische Militär noch immer hart gegen die Autonomiebestrebungen durch. Immer wieder kommt es zu Strafaktionen, Vergewaltigungen, Folter.

Darüber zu berichten ist für Journalisten nicht ungefährlich. Über die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK zu schreiben, birgt Risiken. Das weiß auch Ragip Duran, der regelmäßig bei "Bianet" vorbeikommt. Ein Interview mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, das er 1994 in einer prokurdischen Zeitung veröffentlichte, brachte ihm zehn Monate Gefängnis ein. Die Begründung: Duran habe Propaganda für terroristische Organisationen gemacht.

"Was ist Beleidigung, was Kritik?"

Das Gefängnis, sagt Ragip Duran nicht ohne Zynismus, gehöre eben zum Leben eines Mannes in der Türkei - und viel mehr noch, wenn dieser Journalist sei: "Das Gefängnis gehört zur sozialen Tradition in der Türkei. Unsere besten Schriftsteller und Dichter sind dort gleichsam ausgebildet worden." Er sei daher nicht überrascht gewesen und das habe ihn auch nicht entmutigt, denn es gebe Schlimmeres, sagt er. "Im Vergleich zum Tod ist das Gefängnis ja fast paradiesisch. Jeder würde das Gefängnis einer Ermordung durch irgendwen vorziehen."

25 Journalisten seien in den letzten 15 Jahren getötet worden, erzählt Ragip Duran. Noch immer gebe es in der Türkei vier große Tabus: der Völkermord an den Armeniern, die Kurdenfrage, die Rolle des Militärs und die Vaterfigur Atatürk. Kritik hingegen ist ausdrücklich erlaubt, doch die Begriffe sind schwammig: "Was ist Beleidigung, was ist Kritik? Wo soll man da die Grenze ziehen?", fragt sich auch Ragip Duran. Und die Definition des "Türkentums" sei noch schwieriger. "Wenn man jetzt schreibt: Die Infrastruktur einiger Dörfer sei nicht ausreichend - ist das dann eine Beleidigung des Türkentums?" Es gebe noch Probleme - im Bereich der Gesetzgebung und der Exekutive. Zwar habe sich in den letzten Jahren schon sehr vieles zum Besseren gewendet, aber bestimmte Hindernisse auf dem Weg in die Europäische Union könnte man nicht einfach per Gesetz aus dem Weg räumen. "Der Wandel in den Köpfen der Menschen dauert eben länger", meint er.

Selbstbewusstseins-Kurse für türkische Journalisten

Ein Zusammenschnitt von Artikeln aus türkischen Zeitungen (Quelle: AP)
Nicht alle türkischen Medien berichten einseitigBild: AP

Dazu will er auch mit seiner Arbeit bei "Bianet" beitragen. Er führt regelmäßig Trainingskurse für junge Journalisten durch. Er will dabei auch mehr Selbstbewusstsein vermitteln. "Journalist in diesem Land - und noch vielmehr in den kurdischen Gebieten - zu sein, ist sehr schwer", erklärt er. Da müsse man schon Kompromisse machen. "Oft unterwerfen sich die Journalisten hier der generellen Ideologie oder den Vorgaben ihres Mediums." Dazu müsse man wissen, dass 60 Prozent aller Medien in der Türkei in der Hand eines einzigen Medienkonzerns sind.

Duran hat auch mehrere Jahre in England, Frankreich und den Niederlanden gearbeitet. Wenn er Informatiker oder Arzt gewesen wäre, sagt er, dann hätte er vielleicht darüber nachgedacht, die Türkei auf Dauer zu verlassen. Aber als Journalist sei sein Arbeitsplatz einfach festgelegt. "Ein Fisch kann nun mal nicht fliegen, er fühlt sich im Meer am wohlsten." Wenn ein Fisch zum Vogel werde, dann sei er eben kein Fisch mehr.