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Das gesprochene Buch

Katharina Borchardt26. März 2003

Bücher nicht lesen, sondern hören – das ist der Reiz, der Hörbüchern in den vergangenen Jahren einen großen Verkaufsboom beschert. In Zeiten unkonzentrierten Lesens bringt das Hörbuch die Lust an Literatur zurück.

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Hörbücher - damit es unterwegs nicht langweilig wirdBild: presse

Zuhören ist eine Kunst für sich, die der Ruhe und Konzentration bedarf. Aber auch das Vorlesen ist eine Kunstform und ein Hörbuch das Produkt einer sensiblen künstlerischen Leistung. Der Text ist wie eine Partitur und erst die Stimme des Sprechers oder der Sprecherin bringt ihn zum Klingen.

Lesen für Kriegsblinde

Hörbücher gibt es bereits seit Ende des Ersten Weltkriegs. Damals war die Schellackplatte der Buchersatz kriegsversehrter Blinder. Auch der renommierte, seit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg jährlich verliehene "Hörspielpreis der Kriegsblinden" erinnert an die Bedeutung des Hörbuchs für Sehbehinderte. Doch das Hörbuch fand schnell auch andere Liebhaber. Zu einem Hörbuch-Boom kam es aber erst in den vergangenen Jahren. Der US-amerikanische Markt machte in den 1980er Jahren den Anfang, während man in Deutschland diesem Trend erst in den 1990er Jahren folgte, dann aber in schneller Folge zahlreiche Hörbuch-Verlage gründete.

In anderen europäischen Ländern sind Hörbücher ganz unterschiedlich beliebt: In England werden die Literatur-CDs viel gehört, in Italien weniger und noch weniger in Frankreich. Eine einfache Erklärung für diese Unterschiede hat Heike Völker-Sieber vom Münchner Hör-Verlag nicht: "Vielleicht liegt es an fehlenden Hörbuch-Verlagen in Italien und Frankreich oder an einer anderen Vorlesekultur."

Hören durch die Jahrhunderte

Im Mittelalter wurde immer laut gelesen und lesen war gleich hören. Doch auch in der Neuzeit riss die Kunst des Vorlesens nicht ab. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde viel vorgelesen: Gedichte, Romane und auch Briefe. Im Laufe der Zeit und mit zunehmenden Lesefertigkeiten hatte das Lesen eines Textes immer weniger mit dem Klang einer Stimme zu tun. Darüber, dass heute allenfalls noch Kindern vorgelesen wird, ging auch die Kunst des Vorlesens verloren. Dass Kinder jedoch zu allen Zeiten vorgelesen wurde, trägt heute zum Erfolg des Hörbuchs bei: "Das Hörbuch-Hören erinnert stark an das in der eigenen Kindheit erlebte Vorlesen der Eltern. Darum entspannt es auch sehr", sagt Heike Völker-Sieber. Verlage rechnen für das Jahr 2003 mit einem Hörbuch-Umsatz von 60 Millionen Euro. Diesen Umsatz bringen nicht allein die rund 800 in diesem Jahr neu erscheinenden Titel ein, sondern auch die etwa 8.000 bereits erschienen Hörbücher.

Zwischen Text und Kino

"Es sind nicht nur Verkaufsschlager wie 'Harry Potter' oder 'Der Herr der Ringe', die mit 1,5 Millionen bzw. 300.000 verkauften Exemplaren den Umsatz machen, sondern auch die vielen Klassiker, die verlegt werden und sich dauerhaft verkaufen. "Auf Eintagsfliegen versuchen wir zu verzichten", so Heike Völker-Sieber. Auch schwere Kost wie 'Der Zauberberg' von Thomas Mann verkaufe sich erstaunlich gut. "Ein Hörbuch ist ein Mittelding zwischen Text und Kino." Beim Zuhören entstünden auf leichte Weise Bilder im Kopf. Diese Leichtigkeit könnte es auch sein, die eine Konzentration ermöglicht, die fürs Lesen augenblicklich nicht aufgebracht wird. Die "Stiftung Lesen" stellte unlängst in einer Studie fest, dass zwar nicht weniger gelesen würde als früher, jedoch oberflächlicher. Oft würde quer gelesen und die Lektüre an langweiligen Stellen sehr schnell abgebrochen. "Hörbücher machen den gedruckten Büchern die Leser aber nicht abspenstig", so Heike Völker-Sieber, "vielmehr ist es so, dass Leute, denen der Einstieg zu Kleist oder Cechov durch das Hörbuch erleichtert wurde, später müheloser auch zum gedruckten Buch greifen."