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"Das hat ein Entsetzen ausgelöst"

Christoph Ricking, z.Zt. London24. Juni 2016

Der EU-Austritt Großbritanniens trifft besonders die Wirtschaft. Der Leiter der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer, Ulrich Hoppe, erläutert im DW-Interview mögliche Konsequenzen.

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Britischer Händler sitzt verzweifelt hinter Computerbildschirmen
Bild: Reuters/R. Boyce

DW: Was schoss Ihnen durch den Kopf, als Sie erfahren haben, dass die Briten aus der EU austreten?

Ulrich Hoppe: Das war eine totale Überraschung. Wir sind eigentlich alle davon ausgegangen, dass Großbritannien knapp in der EU verbleibt. Ich hatte das die Nacht über verfolgt, ab drei Uhr war das absehbar, dass es doch zum Brexit kommen wird. Und das hat schon ein Entsetzen in der Wirtschaft ausgelöst. Auch hier im Süden Englands, der ja sehr stark für einen Verbleib in der EU gestimmt hat.

Was sind nun die Konsequenzen dieses Schrittes?

Wir müssen jetzt erstmal abwarten. Wir wollen auch kein Öl ins Feuer gießen. Das Brexit-Camp muss sich jetzt erstmal sammeln. Der Premierminister hat seinen Rücktritt angekündigt für Oktober - ob er das so lange machen wird, werden wir sehen. Aber das gibt dem Land jetzt auch Zeit, eine Reflexion durchzumachen und auch der Regierungspartei, sich zu einigen, damit vernünftige Verhandlungen mit der EU geführt werden können.

Man sieht bereits: Die Brexit-Befürworter aus der konservativen Partei sind mittlerweile sehr zurückhaltend geworden und auch mäßigend. Jetzt muss überlegt werden: Was ist wirklich sinnvoll, was ist machbar und wie kann man für alle Beteiligten eine faire Lösung finden?

Was wäre aus Sicht der deutschen Wirtschaft die beste Lösung?

Ein Traum wäre, dass man irgendeine Art Assoziierungsabkommen mit der EU aushandeln könnte und dass letztendlich der freie Warenverkehr, der freie Dienstleistungsverkehr und der freie Kapitalverkehr bestehen bleiben.

Ulrich Hoppe (Foto: AHK London)
Ulrich Hoppe, Direktor der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer in LondonBild: AHK London

Bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit - das war ja hier ein ganz großes Thema - da wird es sicher Einschränkungen geben. Aber wir hoffen, dass da eine Offenheit bleibt, denn das ist ja für global operierende Unternehmen sehr wichtig.

Was könnte im schlimmsten Fall passieren?

Am schlimmsten wäre, wenn am Ende nur noch die WTO-Regeln (die Regeln der Welthandelsorganisation) gelten würden, wie das einige der Brexit-Befürworter gefordert haben. Das wäre für den Zusammenhalt in Europa und für die enge Verzahnung zwischen Deutschland und Großbritannien, aber auch zwischen Großbritannien und anderen EU-Mitgliedern - gerade wirtschaftlich gesehen - sehr problematisch.

Wie ist die Stimmungslage in der britischen Wirtschaft?

Die britischen Unternehmen, die global aufgestellt sind, denken genauso wie die deutschen. Sie sind abhängig von den globalen Märkten und wissen auch um die Erleichterungen, die die EU in wirtschaftlicher Hinsicht für sie geschaffen hat. Es gibt aber auch britische Unternehmen, die stärker auf den britischen Markt fokussiert sind oder nicht so sehr auf den europäischen Markt. Die waren da verhaltener.

Und wir haben ein paar Stimmen, etwa die Chefs des Staubsauger-Herstellers Dyson oder des Baggerherstellers JCB, die haben sich eher für den Brexit geäußert. Das war vielleicht deren persönliche Meinung. Die Unternehmen werden sicher auch ein Stück weit leiden, wenn Großbritannien kein sehr gutes Abkommen mit der EU aushandelt.

Welche Auswirkungen wird der Brexit auf den Finanzplatz London haben?

Das wird deutliche Auswirkungen haben. Denn gerade die Banken aus Übersee, also weniger die aus dem europäischen Raum, müssen sich stärker in der EU engagieren, wenn sie ihre europäischen Kunden weiter bedienen wollen. Sie müssen sich dann dort echte Tochtergesellschaften aufbauen und das wird sicherlich zu einer Verlagerung von gewissen Aktivitäten kommen.

Ulrich Hoppe ist Leiter der Deutsch-Britischen Industrie- und Handelskammer in London.

Das Interview führte Christoph Ricking.