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Das Leben geht weiter

Jens Thurau, Berlin1. Februar 2008

Die Landtagswahl in Hessen hat in der vergangenen Woche die deutsche Parteien-Landschaft aufgewühlt. Jens Thurau hat das geahnt und sieht einige Lehren, die nun gezogen werden können.

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Bild: DW

Natürlich, ich habe es vorher gewusst: Die Linkspartei schafft es erstmals in zwei Landtage von Flächenländern – richtig großen Bundesländern also - im Westen. Das habe ich so vorhergesagt, in der Woche vor den Wahlen in Niedersachsen und Hessen.

Ich habe allerdings auch gesagt, dass SPD-Spitzekandidatin Andrea Ypsilanti Hessens CDU-Ministerpräsident Roland Koch schlägt. Hat sie aber nicht, obwohl es lange an diesem ungewöhnlich spannenden Wahlabend danach aussah. Und obwohl Frau Ypsilanti selbst auch ganz fest davon ausging, jedenfalls nach den ersten Hochrechnungen am Wahlabend. Das war dann auch der Grund dafür, dass sie ganz spät am Abend ein paar Tränen vergossen haben soll, wie man so hört.

Wir lernen: Nichts ist mehr sicher, kein Wahlergebnis steht fest, bis auch die letzte Stimme ausgezählt ist. Die Berufsgruppe der Meinungsforscher gerät in Verruf, weil ihre Vorhersagen nicht mehr stimmen. Kampagnen wie des Roland Koch zum Thema Jugendgewalt, früher sichere Stimmenbringer, verfangen nicht mehr. Denn keiner hat der Hessen - CDU gesagt, dass sie über das falsche Thema spricht.

Ich auch nicht. Ich dachte, Kochs Kampagne verfängt. Ich lag falsch, wie Herr Koch, wie Frau Ypsilanti, wie die Demoskopen.

Anders gesagt: Der Wähler treibt so seinen Schabernack mit uns, den Medienmenschen, den Politikern. Er macht, was er will – und wählt mal so und mal so. Und dann wieder so. Er ist unberechenbar geworden.

Warum bloß? Meine These ist, dass er Rache nimmt, der Wähler. Die Parteien haben ein riesiges Verwirrspiel begonnen, unterstützt von den Medien. Die Kanzlerin tut so, als wäre sie in der SPD, die SPD tut so, als hätte sie die Mehrheit, Guido Westerwelle von der FDP auch.

Und jetzt, nach der Wahl, tun sie alle so, als hätten die Wähler ihnen verboten, Kompromisse einzugehen. Die Grünen können auf keinen Fall mit der FDP, umgekehrt gilt dasselbe, CDU und SPD sind sich einig, dass sie sich nicht einigen können, alle schließen aus, überhaupt nur mit der Linkspartei zu reden. Und wir, die Medienmenschen, halten dieses unwürdige Hickhack auch noch für eine Nachricht.

Der Wähler aber schweigt. Und überlegt wahrscheinlich schon, wie er uns das nächste Mal vor unlösbare Aufgaben stellen kann. Er möchte vermutlich, dass Politiker grundsätzlich etwas bescheidener werden und Kompromisse als gut anerkennen, und er will, dass wir Medientypen nicht ständig vor und nach Wahlen schlaubergern und alles besser wissen. Vielleicht schafft er schlicht ein bisschen Chaos, der Wähler, damit wir erkennen, wie wenig wichtig das alles ist, die Wahlen, die Kochs und Ypsilantis, die Journalisten. Denn Hessen ist jetzt unregierbar – und das Leben geht dennoch genauso weiter wie bisher. Irgendwie beruhigend. Gut, dass wir den Wähler haben.