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"Das Leben meiner Mutter ist in Gefahr"

16. Januar 2012

Seit Oktober 2011 ist die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko inhaftiert. Über ihren Zustand ist nicht viel bekannt. Im Interview mit DW-WORLD.DE erhebt ihre Tochter nun schwere Vorwürfe.

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Jewgenija Timoschenko, Tochter von Julia Timoschenko, der ehemaligen Ministerpräsidentin der Ukraine (Foto: dapd)
Jewgenija Timoschenko kämpft für ihre inhaftierte MutterBild: dapd

DW-WORLD.DE: Kürzlich haben Sie im deutschen Fernsehen über das Leben ihrer Mutter Julia Timoschenko im ukrainischen Gefängnis berichtet. Wie gehen die ukrainischen Behörden dort mit ihrer Mutter um?

Jewgenija Timoschenko: Am Abend des 6. Januar 2012 ist meine Mutter für zwei Stunden in Ohnmacht gefallen, nachdem sie Medikamente vom Gefängnisarzt bekommen hatte. Das passierte, als sie gerade aus der Dusche kam. Kurz bevor sie ohnmächtig wurde, hatte sie ihre Zellennachbarin noch gebeten, den Arzt zu rufen. Als sie dann ihr Bewusstsein verloren hatte und ihre Mitinsassin nach dem Arzt rief, dauerte es geschlagene 20 Minuten, bis der Doktor endlich kam. Als der dann eingetroffen war, weigerte er sich allerdings, den Rettungswagen zu rufen. Die Frage ist einfach: Warum hat es 20 Minuten gedauert, bis die Wachleute und der Arzt gekommen sind, obwohl sie auf der Überwachungskamera sehen konnten, dass meine Mutter das Bewusstsein verloren hat? Außerdem ist der Sicherheitsposten nur etwa einen Meter von den Zellen entfernt, daher müssten sie die Schreie und das Klopfen eigentlich durch die Tür gehört haben. Der Doktor hat ihr dann auch einfach nur ein paar Injektionen verabreicht, damit ihr Blutdruck sich wieder normalisieren konnte. Ihr Blutdruck war bei 60 zu 40, ihre Körpertemperatur lag bei 35 Grad Celsius. Das ist ein lebensbedrohlicher Zustand. Aber auch dann hat es immer noch niemand für nötig gehalten, den Notarzt zu rufen. Gegen 1 Uhr nachts kam meine Mutter dann wieder zu sich. Eine Stunde später kamen Ärzte aus dem Ministerium und haben diskutiert, was zu machen wäre.

Was passierte dann?

Julia Timoschenko winkt durch die Gitterstäbe ihrer Zelle (Foto: dapd)
Über die Haftbedingungen von Julia Timoschenko ist wenig bekanntBild: AP

Am folgenden Tag wurde sie zur medizinischen Untersuchung gebracht. Sie haben unter anderem einen Bluttest gemacht. Das Ergebnis haben sie ihr aber nicht verraten. Sie haben es auch mir, unserer Familie oder den Rechtsanwälten meiner Mutter nicht gezeigt. Sie halten es noch immer unter Verschluss. Wir bekommen auch keine Begründung von den Ärzten, warum meine Mutter das Bewusstsein verloren haben könnte. Darüber hinaus haben die Ärzte aus dem Ministerium sogar behauptet, dass meine Mutter gar nicht in Ohnmacht gefallen sei. Als wir dann die Aufzeichnungen der Überwachungskameras erbeten haben, um die Wahrheit herauszufinden, haben sie uns gesagt, dass die Kameras nichts aufgenommen hätten. Was eine Lüge ist, weil der Gefängnisdirektor nur ein paar Stunden nach dem Vorfall die Aussage machte, dass sie in Ohnmacht gefallen sei, weil sie 30 Minuten und damit zu lange in der Dusche gewesen sei. Zuerst einmal: Woher wussten sie, dass meine Mutter 30 Minuten in der Dusche war? Sie müssen auf die Aufnahmen der Überwachungskamera geschaut haben. Zweitens: Warum fällt eine gesunde Person in der Dusche einfach so in Ohnmacht? Das ist doch merkwürdig. Das Gesundheitsministerium hat den Gesundheitszustand meiner Mutter als gut bezeichnet und behauptet, es sei nichts weiter passiert und die medizinische Untersuchung am Morgen nach dem Vorfall in der Dusche sei eine vorher geplante Untersuchung gewesen. Was natürlich auch eine Lüge ist, weil meine Mutter um keine Untersuchung gebeten hatte. Sie war auch nicht geplant, sie wurde offenbar erst nach dem Vorfall durchgeführt.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesem Vorfall?

Wenn man alle Fakten zusammen betrachtet, dann kommt man zu dem Schluss, dass sie meine Mutter nicht retten wollten, dass sie ihr Medikamente gaben, die sie erst in diesen Zustand brachten. Sie wollten nicht wahr haben, dass sie in Ohnmacht gefallen ist, weil es ihr Fehler gewesen ist und der zuständige Doktor sich 20 Minuten Zeit gelassen hatte. Das alles zeigt, dass das Leben meiner Mutter in Gefahr ist und wir nicht wissen, ob sie eine adäquate medizinische Versorgung bekommt, wenn ihr wieder etwas passieren sollte. Dazu leidet sie seit November unter starken Rückenschmerzen und kann nicht mehr laufen, sie bekommt keinerlei medizinische Versorgung. Vielleicht besorgen sie ihr einen Physiotherapeuten, vielleicht können sie ja auch noch ein paar Untersuchungen machen oder schreiben gefälschte Diagnosen, die aussagen, dass es ihr gut gehe und sie sich bewegen könne. Aber wenn ich sie sehe, dann kann sie sich nicht bewegen. Ich muss ihr helfen, damit sie auf die Beine kommt, damit sie überhaupt einen Fuß vor den anderen setzen kann, weil sie ihr rechtes Bein nicht belasten kann. Alles verursacht bei ihr starke Schmerzen, obwohl sie ihr ein paar Schmerzmittel geben.

In Deutschland versuchen Sie jetzt gerade große Aufmerksamkeit für den Fall ihrer Mutter zu erzeugen. Was kann Deutschland in dieser Sache bewirken?

Ich versuche einfach, um Hilfe zu rufen, um öffentliche Aufmerksamkeit, um Anteilnahme der Europäischen Gemeinschaft. Was wir hier sehen, ist ganz klar die physische Zerstörung einer Person, die jetzt der Hauptfeind der Regierung Janukowitsch geworden ist. Sie ist einfach unheimlich beliebt geworden. Ihre Partei ist populärer als die von Janukowitsch geworden. Sie hat mindestens zwei Prozent Vorsprung im Moment, und ihre Beliebtheit wächst noch. Und das ist genau der Grund, warum sie im Gefängnis festgehalten wird, warum sie illegal weggeschafft wurde. Die Dinge, die man ihr vorwirft, sind absolut absurd. Die Europäische Union unterstützt uns und darüber sind wir sehr dankbar. Wir wollten jetzt einfach die Botschaft an alle senden, dass es jetzt absolut kritisch ist und das Leben meiner Mutter in Gefahr ist. Die Repressionen gegen meine Mutter werden nicht weniger, sie nehmen eher noch zu.

Werden Sie auch in andere europäische Länder reisen und deren Regierungen aufsuchen?

Ja, ich werde nach Straßburg fahren, nach Großbritannien, vielleicht nach Dänemark, überall dahin, wo sie mich empfangen wollen und wo ich über diese Ungerechtigkeit sprechen kann. Es ist jetzt keine politische Geschichte mehr, sondern ein Menschenleben steht auf dem Spiel.

Starten Sie eine internationale Kampagne, um Janukowitsch zu isolieren?

Der ukrainische Ministerpräsident Viktor Janukowitsch und Julia Timoschenko (Foto: dpa)
Erzfeinde: Viktor Janukowitsch (li.) und Julia TimoschenkoBild: picture-alliance/ dpa

Eigentlich isolieren ihn seine eigenen Aktionen von selbst. Das konnte man am besten beim EU-Ukraine-Gipfel vom 19. Dezember 2011 sehen. Da ist der eigentliche Gipfel gescheitert und das geplante Abkommen wurde nicht unterzeichnet. Anscheinend sind die entscheidenden Personen in der EU gegen ein Abkommen mit einem Diktator, der sein Volk und die Opposition seines Landes unterdrückt. Er ist jetzt schon isoliert. Alles, was ich tun kann, ist, meiner Mutter zu helfen. Er schadet sich selbst jeden Tag.

In diesem Sommer wird die Aufmerksamkeit wegen der Fußball-Europameisterschaft 2012 stark auf die Ukraine gerichtet sein. Kann das für ihre Mutter hilfreich sein?

Die Fußball-EM ist ohne Zweifel eine wichtige Veranstaltung in der Geschichte meines Landes. Während der EM werden definitiv Menschen auf die Straße gehen und der Welt zeigen, was passiert. Nach einem Bericht von Transparency International ist die EM in der Ukraine zu einem hohen Grad von Korruption unterwandert. Das wird noch riesige Probleme auslösen, wenn die EM vorbei ist, dann werden die Menschen, die Steuern zahlen und normale Löhne beziehen, unter den Folgen dieser Korruption zu leiden haben. Ich weiß nur nicht, wie ein friedvolles, demokratisches Sportfest gleichzeitig in einem Land mit diktatorischen Methoden, Korruption und einem autoritärem Regime stattfinden kann.

Im Oktober 2012 finden in der Ukraine Parlamentswahlen statt. Werden Sie kandidieren?

Nein, ich werde nicht in die Politik gehen. Das war nur eine Provokation einer Zeitung, die geschrieben hatte, dass ich in die Politik gehen würde. Ich werde das nicht machen. Ich bin keine Politikerin. Ich möchte, dass meine Mutter aus dem Gefängnis kommt und dass sie bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen antreten kann. Sie ist die einzige Führungspersönlichkeit, die wir noch haben, die das Regime bekämpft und es 15 Jahre lang während ihrer politischen Karriere gemacht hat. Ihre Ziele sollen erreicht werden und sie soll wieder eine Anführerin in unserem Land werden.

Das Interview führte Tetyana Bondarenko
Redaktion: Arne Lichtenberg