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Das Märchen vom Rotkäppchen

Oliver Samson24. Juni 2002

Ostdeutsche kaufen bevorzugt Ostprodukte, Westdeutsche Westprodukte - nur wenige Marken schaffen den Sprung über die frühere Systemgrenze.

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Vom DDR-Produkt zur erfolgreichen Nischenmarke: die Sektkellerei Rotkäppchen

Es war einmal ein ostdeutscher Schaumweinhersteller, der Anfang der 90er Jahre kurz vor dem Konkurs stand. Zehn Jahre später ist "Rotkäppchen" deutscher Marktführer. "Kein Märchen ist schöner", seufzte das einstige SED-Organ "Neues Deutschland", als es mit Rotkäppchen erstmals einem ostdeutschen Konzern gelang, mit "Mumm" und "MM" gleich zwei westdeutsche Konkurenten aufzukaufen.

75% der Ostdeutschen bevorzugen Ostmarken

Die deutsche Teilung spaltete auch die Warenwelt in zwei Hemisphären. Die eine vom Osten bestaunt und begehrt, die andere vom Westen überhaupt nicht, oder wenn, dann mitleidig und herablassend wahrgenommen. Mit der Wende 1989 stürzten sich die Ostdeutschen auf die lange nicht erhältlichen West-Produkte.

"Test the west“ lautete das Motto – was aus dem Osten kam galt kaum noch etwas. Doch zum Erstaunen der Werbe- und Marketingleute ging diese Phase fast ebenso abrupt zu Ende, wie die Mauer gefallen war: Schon Ende 1991 gaben dreiviertel der Ostdeutschen an, Ostprodukte zu bevorzugen – und bei diesen Zahlen ist es bis heute geblieben.

Club Cola und Doppelkorn

Ostmarken nehmen seither wieder ihren festen Platz in ostdeutschen Vorratskammern ein und haben ihre regionale Marktführerschaft zum großen Teil zurückerobert: Spee Wasch- und Fit- Spülmittel, Florena-Creme, Spreewald-Gurken, Bautzener Senf und Burger Knäcke, Club Cola, Nordhäuser Korn, f6-, Karo-, Juwel- und Klub-Zigaretten, Hasseröder-, Wernesgrüner- sowie Köstrizer-Bier und eben Rotkäppchen: Eine Reihe, die sich fast beliebig fortsetzen ließe.

Da der Trend sich vor allem auf Lebens- und Genussmittel beschränkt, wird viel über Nostalgie und die Verschränkung von Geschmackswelten und Lebenswirklichkeiten spekuliert, kommt es doch bei diesen Produkten im besonderen Maß auf das subjektive Erleben an.

Eigene Marketingstrategien

Die erfolgversprechende Marketing-Strategie für Ostmarken besteht aus drei Elementen: Der Markenname wird beibehalten, die Qualität auf westlichen Standart gebracht, das äußere Erscheinungsbild nur äußerst behutsam modernisiert. Als abschreckendes Beispiel gilt nach wie vor die Zigaretten-Marke „Cabinet“, die von Reemtsma aufgekauft und völlig umgemodelt worden war: Cabinet rutschte danach von einem Marktanteil von 30 auf 12% ab.

Den Sprung nach Westen schaffen hingegen nur die wenigsten Ost-Produkte. Dass die Frankfurter Brauerei-Gruppe Binding sich nun in Radeberger umtauft, stellt eine Ausnahme dar: Binding stand für einen nur regionalem Auftritt, während Radeberger seit Jahren erfolgreich national beworben und verkauft wird.

Auch bei der Rotkäppchen GmbH aus dem sachsen-anhaltinischen Freyburg wollte mit der Hauptmarke der große Angriff auf die westdeutschen Regale bisher nicht recht gelingen. "Im Osten sind wir bei einem Marktanteil von über 50%", freut sich Marketingleiter Peter Claußen - im Westen sind es inzwischen 3,1%, was Claußen als schon "sehr positiv" bezeichnet.

"Weltweit schöne Zahl"

Und selbst wenn es mittelfristig mit den anvisierten 6% Marktanteil West nichts werden sollte, dürfte der ostdeutsche Sekthersteller wenig Grund zum Klagen haben: Im vergangenen Geschäftsjahr stieg der Umsatz entgegen dem Branchentrend um 13% auf 150 Millionen Euro. Und vom gesamtdeutschen Markt hält der halbtrockene Schaumwein jetzt schon stolze 16%. Dies sieht Claußen als eine "weltweit schöne Zahl" - schließlich wird in Deutschland eine Viertel des gesamten Schaumweins weltweit konsumiert.

Ausruhen will sich der Marktführer auf den Zahlen jedoch nicht: Schließlich könne man sich nicht darauf verlassen, dass die jetzt heranwachsende Generation von Ostdeutschen genauso selbstverständlich zu Rotkäppchen greift wie ihre Eltern. Der Werbeetat wurde um 22% erhöht. Schließlich sollen Märchen ja auch gut ausgehen.