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Das Medium ist die Botschaft

Thomas Kirschning26. Februar 2002

"Watchdog", Wachhund, wird Ulf Böge, der Präsident des Deutschen Bundeskartellamtes, in der englischsprachigen Presse genannt. Wenig schmeichelhaft, aber zutreffend. Ein Kommentar von Thomas Kirschning.

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Ulf Böge soll die Zähne fletschen und sogar zubeißen, wenn mächtige Konzerne von Marktteilnehmern zu Marktbeherrschern zu werden drohen. Böge und sein Amt sollen das Funktionieren von Märkten verteidigen.

Nun lässt sich trefflich einwenden, erst durch den Verkauf der Kabelnetze der Deutschen Telekom an Liberty aus den USA wäre hierzulande so etwas wie ein Markt entstanden. Schließlich war der deutsche Telekommunikationsriese gerade aus wettbewerbsrechtlichen Gründen dazu gezwungen worden, seine Monopolstellung bei der Durchleitung von Daten über die schnellen Breitbandkabel aufzugeben. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ist bereits der US-amerikanische Kabelnetzbetreiber Callahan zum Zuge gekommen, in Hessen ging das Breitband-Netz an die britische NTL. Liberty wäre der dritte Spieler in Deutschland geworden und finanzkräftig genug, auch bei modernster Internettechnologie der Telekom Paroli zu bieten.

Liberty aber wollte mehr als nur durchleiten. Der amerikanische Medienriese wollte sechzig Prozent aller deutschen Fernsehhaushalte zudem mit eigenen Programminhalten erreichen. Liberty ist am größten Medienkonzern der Welt AOL Time Warner sowie an zahlreichen Fernsehsendern und Produktionsfirmen beteiligt. Nur konsequent war daher die Ankündigung von Liberty-Chef John Malone, ein neues TV-System aufbauen zu wollen - mit einem digitalen Decoder, der anderen Anbietern den Kabelweg versperrt hätte.

Dies allerdings hätte den Markt der Inhalte entscheidend eingeschränkt - eine für die sogenannte Informationsgesellschaft höchst bedenkliche Vorstellung. Nur eine verschwindende Minderheit der deutschen Medienkonsumenten empfängt heute noch über die Antenne. Auch wenn in naher Zukunft zahllose Hörfunk- und Fernsehprogramme in bester digitaler Qualität aus dem Äther gegriffen werden können: Ob sich diese Technologie in der Breite so bald oder überhaupt durchsetzen wird, ist angesichts neuer Kosten für den Endkunden eher fraglich. Selten einig waren sich folglich in Deutschland private wie öffentlich-rechtliche Medienanbieter: Die von Liberty angestrebte exklusive Kundenbindung wäre ein Rückschritt - ein Argument, dem sich letztlich auch der "Watchdog" Ulf Böge nicht verschloss.

Hinzu kommt die möglicherweise preistreibende globale Marktmacht von Liberty: Hätte Böge das Geschäft genehmigt, dann wäre Malone der größte Kabelnetzbetreiber in Europa und drittgrößte der Welt geworden. Rund vierzig Millionen Menschen hätten an seinen Drähten gehangen. Beim Erwerb von ebenso werbeträchtigen wie international vermarktbaren Hollywood-Produktionen und sportlichen Großveranstaltungen hätten kleinere Marktteilnehmer kaum eine Chance gehabt.

Wer im Besitz des Mediums Kabel ist, der bestimmt die Botschaft der Programme. Auch wenn Böge dies im vorliegenden Fall nicht zu prüfen hatte: Deutschland machte unter der Nazi-Herrschaft die leidvolle Erfahrung gleichgeschalteter Massenmedien. Gegen eine Beschneidung der Vielfalt des Angebots an Information und Meinungen sollten wachsame Zeitgenossen nicht zuletzt aus politischen Gründen ihre Zähne zeigen.