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'Mikro-Verhüterlis'

Bernd Riegert24. Mai 2007

Wenn Sie das nächste Mal Fernsehnachrichten aus Brüssel schauen, achten Sie mal auf die untere Bildkante. Es lohnt sich - auch bei Windstille.

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Bild: DW

Wenn Politiker sprechen, so genannte Originaltöne abgeben, dann sind da meist Schaumstoffkegel oder Kugeln oder Zylinder in vielen Farben mit kryptischen Buchstaben-Kombinationen zu sehen. Das sind die Windschutz-Hauben, die die Mikrofone der Reporter tragen. Nicht etwa, weil es so windig ist, sondern weil der Fernsehzuschauer sehen soll, welcher Sender bei der Originaltonspende des Politikers anwesend war. Früher waren die Mikro-Verhüterlis (Journalisten-Jargon) alle gräulich oder bläulich. Inzwischen gibt es rote, gelbe, gestreifte, giftgrüne. Private Sendergruppen haben auf Milchkarton-große Windschutze ihre fünf Logos aufgebracht. Andere Sender mit sehr langen Namen haben extralange Mikrofone angeschafft mit orange-blau gestreiftem Logo.

Tote Mikros

Auffallen um jeden Preis ist das Motto, denn der Raum vor der Politikerbrust ist zur kostenlosen Werbefläche für die Sender-Logos geworden. Entsprechend viel Aufwand wird getrieben, um den eigenen Windschutz ins Bild zu bekommen. Manchmal wird da gar kein angeschlossenes Mikrofon hingehalten, weil man den Ton aus einer anderen Quelle aufzeichnet. Es geht nur darum, im Bild zu sein. Manche Sender beschäftigen eigens Menschen, die nichts anderes machen, als tote Mikros mit Senderlogo in die Kameras zu halten. Es soll Chefredakteure geben, die in der Zentrale zählen, wie oft der Reporter in Brüssel sein Logo ins Bild manövriert hat. Die Fragen, die der Reporter stellt, sind eher zweitrangig.

Hauptsache "exklusiv"

Weil das Gedränge vor den Orginaltonabsondernden Politkern bei Dutzenden von Kamerateams natürlich groß ist, wurden Angeln erfunden. An diese Teleskop-Stangen hängt man die Mikrofon und kann so über Köpfe hinweg oder durch Beine hindurch sein Logo ins Bild schieben. Die Krönung ist für jeden Reporter natürlich, wenn nur sein Windschutz zu sehen ist. Damit wirkt dem geneigten Zuschauer signalisiert: "Schau her, dieses Statement habe ich ganz alleine weltexklusiv eingefangen!" Folglich werden Politiker von den Fernsehteams nach einer Pressekonferenz, wo alle Mikros im Bild waren, noch einmal einzeln gefilmt. Viele ertragen das geduldig und geben mehrere "exklusive" O-Töne in verschiedene Linsen. Dass die Politiker dabei immer die gleiche Botschaft runterbeten, fällt dann kaum auf. Hauptsache, das Mikro ist gut zu sehen.

Doof: Nur ein Mikron für alle?

Die Reporter vom Radio, denen es wurscht ist, ob ihre Mikrofone im Bild sind oder nicht, haben meistens auch keine Angeln, sondern müssen sehr lange Arme haben oder sie pirschen sich seitlich oder von hinten an die Originaltonquelle heran. Ganz doof finden wir moderne Konferenzsäle, in denen nur ein Mikrofon für alle vor dem Politiker aufgebaut ist, an dass sich dann alle Sender anschließen müssen. Wie soll man denn da ordentlich Werbung machen?