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Das neue politische Geschäft

30. August 2010

Immer häufiger verzichten Spitzenpolitiker auf dem Höhepunkt ihrer Macht auf ihre Ämter. Sie kriegen neue Jobs in der Wirtschaft oder ziehen sich ins Private zurück. Die Politiker-Karriere befindet sich im Wandel.

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Roland Koch (Foto: AP)
Geht nach seiner Verabschiedung erstmal in den Urlaub: Roland KochBild: AP

Sechs CDU-Ministerpräsidenten und ein Bundespräsident haben innerhalb von einem Jahr ihre Ämter aufgegeben. An diesem Montag (30.08.2010) wird im Wiesbadener Schloss der bisherige hessische Ministerpräsident Roland Koch verabschiedet. Obwohl jeder Rücktritt anders ist, zeichnet sich ab, dass sich unter den Spitzenpolitikern langsam ein Selbstverständnis breit macht, das unter den großen Machern und Entscheidern des letzten Jahrhunderts - Politikern vom Kaliber Helmut Schmidts und Helmut Kohls - kaum denkbar gewesen wäre. Der Einsatz für Land und Partei wird zum Lebensabschnitt.

Persönliche Gründe

Horst Köhler im Schloss Bellevue in Berlin (Foto: dpa)
Erst erklärte Horst Köhler seinen Rücktritt als Bundespräsident ...Bild: picture alliance / dpa

Politiker der ersten Reihe, wie der Hamburger Ole von Beust, der Hesse Roland Koch oder der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler, verabschieden sich aus ihrem Amt. Der Rücktritt gehört zum politischen Geschäft, aber immer häufiger hat er persönliche Gründe. Er geschieht als Familienangelegenheit wie bei Franz Müntefering, der einst Vizekanzler war und politisch pausierte, um mehr Zeit für seine kranke Frau zu haben.

Neuer Lebensabschnitt

Oder der Rücktritt ist Ausdruck persönlicher Verletztheit, wie bei Horst Köhler, der auf kritische Presseberichte über sich reagierte. In seiner Rücktrittserklärung bat er um Verständnis für seine Entscheidung, das hält sich jedoch in Grenzen. Es bleibt der Eindruck, da geht jemand, der sich den Politikbetrieb nicht mehr länger antun will.

Ein Aspekt, der bei einer ganzen Reihe von Politikerabschieden in den letzten Monaten in den Vordergrund rückt. Roland Koch, der nach mehr als einem Jahrzehnt als Ministerpräsident auf sein Amt verzichtet, sieht sich selbst "in einer außergewöhnlich glücklichen Lage, noch in einem Lebensalter zu sein, in dem es zu den Vorzügen gehört, einen weiteren Lebensabschnitt eigenverantwortlich und selbstständig betreiben zu können."

Selbstverwirklichung contra Pflichterfüllung

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust im Rathaus in Hamburg (Foto: AP)
... wenig später gab Hamburgs Bürgermeister von Beust seinen Abschied bekanntBild: AP

Es gibt eben doch noch etwas anderes als eine Sieben-Tage-Arbeitswoche mit wenig Schlaf, viel Stress und vollem Einsatz für Partei und Land. Das Politikerdasein, beim großen Soziologen Max Weber noch eher eine Berufung für das ganze Leben, wird zu einer Möglichkeit unter vielen. Und die Alternativen sind reizvoll. Ole von Beust fühlte sich nach fast einem Jahrzehnt im Amt als Erster Bürgermeister Hamburgs abgenutzt. Er war bereits mit 16 Jahren in die Junge Union eingetreten, nahm seit 32 Jahren politische Ämter wahr und war seit 17 Jahren Berufspolitiker. So schwer ihm der Schritt fiel, wolle er auch die Chance nutzen, im Alter von 55 beruflich noch etwas anderes zu machen, ohne Groll und in tiefer Dankbarkeit.

Für Politiker wie von Beust und Koch wiegen eigenes Empfinden, individuelle Freiheit und Selbstverwirklichung schwerer als Pflichterfüllung. Sie entscheiden, wann sie abtreten, egal, ob sie noch mitten in der Amtszeit stecken, in die sie von Wählern und Partei geschickt worden sind.

Autor: Heiner Kiesel
Redaktion: Pia Gram