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Politikum

25. Juni 2010

Der Tag der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Schalit jährt sich zum vierten Mal. Längst ist er nicht mehr nur Gefangener der Hamas, sondern auch Opfer der politischen und juristischen Spitzfindigkeiten Israels.

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Solidaritätsbekundungen für Gilad Schalit und Ron Arad, der seit 1986 verschollen ist (Foto: AP)
Seit vier Jahren entführt: Gilad Schalit (links)Bild: AP

In einem Protestmarsch nach Jerusalem wollen israelische Aktivisten Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auffordern, zu einer der festen Grundregeln zurückzukehren, die bisher in ihrem Land hoch gehalten wurden: Dass der Staat nämlich alles zu tun habe, um in Gefangenschaft geratene Soldaten freizubekommen. Dabei geht es um den israelischen Gefangenen, den 23-jährigen Gilad Schalit, der seit vier Jahren im Gazastreifen festgehalten wird und dessen Freilassung trotz diverser Verhandlungsrunden und auch internationaler Vermittlung nicht in Sicht ist.

Flagge mit dem Gesicht von Gilad Schalit in Jerusalem (Foto: AP)
Bis heute erinnern die Isarelis an Gilad SchalitBild: AP

Am 25. Juni 2006 drang ein Trupp des bewaffneten Arms der im Gazastreifen herrschenden Hamas - die "Ezzedin al-Kassam-Brigaden" - durch einen Tunnel ins Grenzgebiet zwischen Israel und dem (Monate zuvor von Israel geräumten) Gazastreifen vor, griff einen Panzer an, tötete und verwundete die meisten Mitglieder seiner Besatzung und entführte den damals 19-jährigen Schalit, der seitdem an unbekanntem Ort im Gazastreifen festgehalten wird. Sowohl Ägypten als auch die Bundesrepublik und das Internationale Rote Kreuz haben seitdem versucht, zu helfen. Indirekte Verhandlungen schienen gelegentlich auch schon kurz vor dem Abschluss, aber jedes Mal scheiterte die Umsetzung.


Mittel der Propaganda

Im Austausch mit Schalit fordert die Hamas von Israel die Freilassung von knapp über 1000 Palästinensern aus israelischer Haft. Unter ihnen nicht nur Jugendliche und Frauen, sondern auch zu langjährigen Strafen verurteilte Männer, die Israel als "terroristische Gewalttäter" betrachtet. Der prominenteste unter ihnen ist Marwan Barghouti, der gleich zu fünfmal lebenslänglich verurteilt wurde, gleichwohl als einziger wirklicher Hoffnungsträger für eine künftige palästinensische Führung betrachtet wird.

Am Fall Barghouti wird klar, dass es der Hamas nicht nur um die Freilassung eigener Anhänger geht, sondern um einen politisch-propagandistischen Erfolg gegenüber ihren Rivalen von der Fatah, die in der Westbank die Kontrolle ausübt und mit Hamas in bitterem Konkurrenzkampf steht – besonders seit diese den Gazastreifen unter ihre Gewalt gebracht hat.


Soldaten gegen Gefangene

Israelischer Soldat Schalit (r.) und Palästinenser Marwan Barghouti (Montage: DW)
Austausch: Barghouti gegen Schalit?Bild: AP

Dem offiziellen Israel fällt es besonders schwer, auf die Forderungen von Hamas einzugehen, weil diese Bewegung weiterhin das Existenzrecht Israels und Frieden mit diesem ablehnt. Und so war es denn fast immer Israel, das in letzter Minute "nein" sagte und bereits ausgehandelte Austausch-Modalitäten aufkündigte. Das Hauptargument: Die Freilassung von so vielen "Terroristen" sei eine nicht hinnehmbare Gefährdung der eigenen Sicherheit. In der Vergangenheit hat man solche Bedenken zwar auch gehabt, sie verhinderten aber nie den Austausch von Gefangenen. Selbst wenn dieser immer disproportional zu Gunsten der Gegenseite ausfiel: So ließ Israel 1983 rund 5000 Palästinenser frei, um sechs Soldaten von der Fatah zurückzubekommen. Im Januar 2004 lang der Preis für die Freilassung eines dubiosen israelischen Geschäftsmannes aus libanesischer Haft und die Rückführung einiger toter Soldaten bei der Freilassung von immerhin 450 Gefangenen und der Rückführung von über 50 toten Hisbollah-Kämpfern.

Im Fall Schalit reagierte Israel anders: Man führte massive Angriffe im Gazastreifen durch, obwohl klar war, dass man den Gefangenen dadurch kaum würde befreien können, ihn hingegen eher in größere Gefahr bringen würde. Und Anfang 2009 war die Gefangenschaft Schalits auch kein Hinderungsgrund für die damalige Regierung Olmert, den Gazakrieg zu eröffnen, der über 1500 Palästinenser das Leben kostete. Während dieses Krieges war das Leben Schalits in erhöhter Gefahr, er überlebte aber: Zum Beweis veröffentlicht Hamas gelegentlich Photos oder auch Videoaufnahme des Gefangenen. Und in diesen Tagen, so erklärte Hamas, verfolge Schalit mit Interesse die Übertragungen von der Fußball-Weltmeisterschaft. Kontakte mit seiner Familie werden nicht erlaubt, auch dürfen selbst neutrale Dritte ihn nicht sehen. Dies gilt auch für das Internationale Rote Kreuz, das zwar Zugang zu den rund 10.000 palästinensischen Häftlingen in israelischen Gefängnissen hat, nicht aber zu Schalit.


Opfer politischer Schachzüge

Noam Schalit (2.v.l.), Vater von Gilad Schalit (Foto: AP)
Die Familie Schalits sorgt sich um ihren SohnBild: AP

Nach der Genfer Konvention müssen Gefangenen-Besuche ermöglicht werden, das humanitäre Völkerrecht bezieht sich dabei jedoch in erster Linie auf Staaten, nicht auf Organisationen wie Hamas. Dieser Umstand erklärt auch, warum Israel im Fall Schalit nicht energischer die Einhaltung der Genfer Konvention fordert: Jerusalem fürchtet offenbar, dadurch Hamas aufzuwerten und ihre Kontrolle über Gaza einem Staat gleichzusetzen.

Gilad Schalit ist dadurch nicht nur Gefangener der Hamas sondern auch der politischen und juristischen Spitzfindigkeiten auf israelischer Seite. Wie die Dinge stehen, wird sich daran in absehbarer Zeit auch kaum etwas ändern. Gilad Schalit wird wohl auch seinen 24. Geburtstag am 28. August in Gefangenschaft verbringen.

Autor: Peter Philipp
Redaktion: Ina Rottscheidt