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Problem Grippeimpfung

Brigitte Osterath / Gudrun Heise25. Oktober 2012

In mehreren europäischen Ländern ist die Auslieferung eines Grippeimpfstoffs des Konzerns Novartis gestoppt worden. Die Mittel sollen möglicherweise verunreinigt sein und das, wo doch gerade Grippeimpfungen anstehen.

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Ein Arzt spritzt einer Patientin mit einer Spritze einen Grippeschutzimpfstoff (Archivfoto: dapd)
GrippeschutzimpfungBild: dapd

Auch Deutschland hat die Auslieferung von Grippeimpfstoffen des Schweizer Pharmakonzerns Novartis teilweise gestoppt. Die Freigabe für vier Chargen des Impfstoffes Begripal und eine Charge des Impfstoffes Fluad werde zurückgenommen, teilte das für die Zulassung von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) am Donnerstag (25.10.2012) mit. Zuvor hatten bereits Italien, die Schweiz und Österreich einen Auslieferungsstopp für die Grippeimpfstoffe verhängt.

Jedes Jahr rufen Ärzte und Experten im Herbst die Menschen zur Grippeimpfung auf. Die entsprechenden Impfstoffe aber sind anders als gewöhnliche Medikamente. Ihre Herstellung ist sehr knifflig. Bei einer Impfung soll das Immunsystem das charakteristische Merkmal eines Krankheitserregers erkennen und sich auch später noch daran erinnern. Impfstoffe bestehen daher aus Bakterien, Viren oder charakteristischen Teilen von ihnen. Bei Lebendimpfstoffen - wie denen gegen Gelbfieber und Masern - sind es Erreger, die sich zwar noch vermehren können, aber beim Menschen keine Krankheit auslösen: Entweder befallen sie nur Tiere, die Erreger sind geschwächt, oder ihr Erbgut hat sich durch die richtige Züchtung im Labor entsprechend verändert.

Vermehren und vermehren lassen

Erreger in Totimpfstoffen wurden zuvor mit Chemikalien abgetötet. Oft lässt sich ein Virus auf ein einzelnes Oberflächeneiweiß reduzieren. Dann reicht es aus, nur dieses eine Eiweiß zu spritzen. Das ist zum Beispiel der Fall bei der Hepatitis-B-Impfung.

Titel: Grippeimpfstoff Schlagworte: Grippe, Impfstoff, Virus, Spritze Bildbeschreibung: Grippeimpfstoff nach der Etikettierung Bildrechte: - Es handelt sich um ein durch einen Verlag, ein Unternehmen oder eine Institution bereitgestelltes Bild (außer eine Bild-Agentur, mit der die DW einen Rahmenvertrag abgeschlossen hat): Angabe der Quelle/des Zulieferers: Novartis Vaccines Rechteeinräumung: (bitte einkopieren)Alle Fotos und Grafiken sind zur freien Verwendung bei Nennung der Quelle Novartis Vaccines. Copyrightangabe: Novartis Vaccines Thematische oder zeitliche Nutzungsbeschränkungen: keine
Immer wieder müssen neue Grippe-Impfstoffe gefunden werdenBild: Novartis Vaccines

Aber egal, welche Art von Impfstoff man herstellt: Ohne Viren oder Bakterien im Labor zu vermehren, geht nichts. Das dauert seine Zeit, denn nicht alle Krankheitserreger vermehren sich rasant schnell. Zum anderen müssen die Wissenschaftler dafür sorgen, dass sich die Bakterien und Viren wohlfühlen. Sie brauchen die richtigen Nährstoffe, Temperaturen und Umgebungsbedingungen, damit sie sich überhaupt vervielfältigen. Dabei ändern die Erreger ihre Vorlieben für die optimalen Bedingungen auch schon mal. Gerade bei Grippeviren müssen die Forscher daher von Jahr zu Jahr die besten Wachstumsbedingungen von Neuem ausfindig machen.

Von Viren und Bakterien

Bakterien lassen sich direkt in einem Nährmedium in großen Kesseln züchten. Viren hingegen sind per Definition keine Lebewesen, weil sie immer andere Zellen zur Vermehrung brauchen. Die Hersteller stellen Impfstoffe gegen Viruskrankheiten daher oft in tierischen Zellen in Petrischalen her. Diese Zellen befällt der Virus, lässt sich von ihnen vervielfältigen, und am Ende können die Wissenschaftler die fertigen Krankheitserreger aus der Kulturbrühe gewinnen. Und die ist das erste Zwischenprodukt bei der Impfstoffherstellung. Die Viren müssen dann herausgeholt und anschließend gereinigt werden.

Viren können beispielsweise in Bindegewebszellen von Hühnern vermehrt werden oder in aus Menschen gewonnenen Zellen. Die Zellen stammen allerdings nur ursprünglich aus Menschen oder Tieren. Inzwischen sind sie reine Laborzellen geworden, denn sie sind so manipuliert, dass sie sich wie Krebszellen quasi unbegrenzt teilen. Mit der Zeit passen sich die Viren über Mutationen an den neuen Wirt an. "Die Kunst ist es, Viren zu bekommen, die sich in diesen Zellen gut vermehren, aber sich noch nicht so weit verändert haben, dass sie für die Impfung nicht mehr taugen", erklärt Rolf Hömke vom vfa, dem Verband forschender Arzneimittelhersteller. Denn dann würden sie im Körper nicht die gewünschte Schutzwirkung hervorrufen.

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Grippeviren können auch in Hühnereiern vermehrt werdenBild: DW-TV

Wenn die Hersteller einmal einen passenden Virusstamm haben, müssen sie dafür sorgen, dass der sich möglichst wenig weiter verändert. Die Lösung: Riesige Mengen dieses Virus in Portionen einfrieren und für jede neue Produktion eine Portion auftauen. Das ist auch der Grund, warum Impfstoffe stets nur chargenweise produziert werden und nie kontinuierlich, erklärt Hömke: Damit lässt sich verhindern, dass sich ein einmal optimierter Virusstamm weiter verändert: "Bei fast allen Impfungen ist der Impfstoff, den Sie heute bekommen, noch nahezu der gleiche wie vor 20 Jahren", sagt Hömke. Die einzige Ausnahme ist der Grippeimpfstoff.

Jedes Jahr ein anderer Grippevirus

Der Grippevirus verändert sich wahnsinnig schnell, es entstehen ständig Viren mit neuen Eigenschaften. Daher kann der Grippeimpfstoff von letzten Jahr schon nicht mehr vor der Grippe schützen, die in diesem Jahr grassiert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO beobachtet ständig, welche Viren jeweils im Umlauf sind. Die drei häufigsten Stämme verschickt die WHO rechtzeitig an die Impfstoffhersteller - sie werden dann Bestandteil des Grippeimpfstoffs für die neue Saison.

Das Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline mit Sitz in Dresden vermehrt die Grippeviren in befruchteten und sich entwickelnden Hühnereiern. "Grippeviren befallen auch Vögel - und das bebrütete Hühnerei ist quasi der primitivste Vogel, den es gibt", erklärt Rolf Hömke. Die Viren lassen sich dann aus einem Teil des sich entwickelnden Hühnerembryos gewinnen. Ein Hühnerei reicht in etwa für eine Impfdosis. Die drei Virusstämme werden getrennt vermehrt und anschließend zum Impfstoff vermischt.

Quelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Flu_und_legende_color_c.jpg - Bildbeschreibung: 3D Modell Influenzavirus * Quelle: Eigene Herstellung * Zeichner: M. Eickmann * Datum: 01.10.2005 - Diese Bild- oder Mediendatei wurde von ihrem Urheber, zur uneingeschränkten Nutzung freigegeben. Das Bild ist damit gemeinfrei („public domain“). Dies gilt weltweit. Uneingeschränkte Nutzung bedeutet, dass das Bild in dem Umfang, der nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung möglich ist, beliebig, auch ohne Namensnennung, verbreitet, kommerziell genutzt und verändert werden darf
Grippeviren verändern sich in rasantem Tempo

Rechtzeitig zur neuen Grippesaison müssen die Mitarbeiter in den Pharmakonzernen herausgefunden haben, unter welchen Bedingungen sich die verschiedenen Virenstämme wohlfühlen und dann ausreichend Erregermaterial herstellen. Es gibt Jahre, da wollen sich ein oder mehrere Stämme partout nicht vermehren und das heißt dann, dass es weniger Impfstoff gibt oder dass der Impfstoff spät kommt. In anderen Jahren wiederum ist die Ausbeute gut.

Impfstoffe sind manchmal Mangelware

Die Hersteller müssen jede Charge eines Impfstoffs nach der Produktion ausführlich testen: Sie überprüfen, ob er wirkt, ob Versuchstiere also tatsächlich Antikörper gegen den Krankheitserreger bilden. Außerdem muss der Impfstoff eine große Palette an Qualitätsvorgaben erfüllen: Er muss absolut sauber und steril sein. Es kann vorkommen, dass die gewünschte Immunreaktion am Tier ausbleibt, der Impfstoff unerwünschte Nebenwirkungen zeigt oder verunreinigt ist. "Dann bleibt dem Hersteller manchmal nichts anderes übrig, als die gesamte Charge einzutrocknen und zu verbrennen", sagt Rolf Hömke.

In dem Fall kommt es zu Lieferproblemen auf dem Markt. Denn wenn sich nach Monaten herausstellt, dass eine Charge verdorben ist, lässt sich nicht einfach so eine weitere nachschieben. Laut Impfstoffhersteller Sanofi Pasteur dauert ein Produktionszyklus je nach Impfstoff zwischen 6 und 22 Monate, vor allem aufgrund der umfangreichen Tests und Kontrollen, die nötig sind.

Wenn sich plötzlich mehr Menschen etwa gegen Grippe impfen lassen möchten, kann es zu Engpässen kommen. Das Angebot lässt sich einfach nicht so schnell der gestiegenen Nachfrage anpassen, erklärt Rolf Hömke: "Man kann halt nicht schnell mal den Kopierer anwerfen, wenn noch ein paar Exemplare mehr gebraucht werden."