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Das Ringen um die Flüchtlinge

Kersten Knipp15. August 2016

Die große Mehrzahl der Flüchtlinge schätze Demokratie und Säkularismus, heißt es in einer neuen Studie. Die meisten wollten sich in Deutschland integrieren. Doch garantiert ist der Eingliederungserfolg nicht.

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Migranten bei einem Deutsch-Kurs (Foto: dpa - Bildfunk)
Bild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Die Voraussetzungen zur Integration sind gut. Nun kommt es darauf an, sie zu nutzen. So kann man die Ergebnisse der Studie "Flüchtlinge 2016" zusammenfassen, die die Berliner "Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft" (HMKW) am Montag vorgestellt hat. In zentralen politischen, sozialen und kulturellen Fragen vertreten die Befragten Ansichten, die durchaus anschlussfähig an die in Deutschland gängigen Normen sind.

Zum Beispiel Demokratie: 95 Prozent der Hochschulabsolventen unter den Befragten bekennen sich uneingeschränkt zu ihr. Unter den Flüchtlingen mit Gymnasialabschluss sind es 80 Prozent. Diejenigen, die überhaupt keine Schule besucht haben, sprechen sich zu einem Drittel für demokratische Standards aus. Die meisten aus dieser letzten Gruppe sind allerdings nicht gegen die Demokratie, sondern eher unsicher. "Weiß nicht", lautet die häufigste Antwort auf die Frage nach ihrer Haltung zur Demokratie.

Ein konservatives Weltbild

Was allerdings unter "Demokratie" zu verstehen ist, dazu haben die Befragten Ansichten, die man sonst in Deutschland überwiegend in konservativen und dezidiert rechten Milieus findet. So stimmen zwei Drittel der These zu, dass ein Führer zum Wohle aller regiere. Ebenso viele sind überzeugt, Recht und Ordnung müssten notfalls auch mit Gewalt aufrechterhalten werden. Außerdem sind viele der Ansicht, auf Politiker dürfe man nichts kommen lassen. "Wenn man fragt, ob Künstler Politiker kritisieren oder sich gar lustig über sie machen dürfen, dann sagen sie: Um Gottes willen, das natürlich nicht", resümiert Ronald Freytag, Präsident der HMKW, eines der Ergebnisse der Studie.

Deutschland Ninorta Bahno neue Weinkönigin von Trier (Foto: picture-alliance/dpa/H. Tittel)
Schon integriert: Die Syrerin Ninorta Bahno, Weinkönigin von TrierBild: picture-alliance/dpa/H. Tittel

Auch die Sorge vor möglichem religiösem Fanatismus der Flüchtlinge zerstreut die Studie. 87 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, Religion sei Privatsache. Gut zwei Drittel, 65 Prozent, sprechen sich dafür aus, dass Alkoholkonsum erlaubt sein sollte. Und mit 52 Prozent gut die Hälfte ist der Ansicht, dass Gläubige ihre Religion wechsen können sollten. Auch für konfessionell gemischte Ehen sprechen sich 60 Prozent der Befragten aus.

Wenn es Vorbehalte gibt, dann gegenüber Juden. Nur ein Viertel der Befragten fände es gut, neben einer jüdischen Familie aus Israel zu wohnen. 14 Prozent fänden das nicht gut. 60 Prozent der Befragten wäre das egal. Die meisten allerdings, rund zwei Drittel, fände es gut, neben einer kinderreichen Familie zu wohnen.

Ungleich größer sind die Bedenken hinsichtlich der Homosexualität: Ein schwules Paar als Nachbar zu haben, mit dieser Vorstellung können sich nur 11 Prozent der Befragten anfreunden. Noch mehr, nämlich knapp der Hälfte, wäre das aber egal.

Frage der Repräsentativität

Nicht zweifelsfrei geklärt ist die Repräsentativität der Studie. Die Autoren hatten rund 1000 Fragebögen verteilt, 445 davon kamen ausgefüllt zurück. Verzerrende Faktoren nennen die Autoren selbst. So könnte es sein, dass sich das Weltbild derer, die sich an der Studie beteiligen, von denen der Nichtteilnehmer systematisch unterscheidet. Auch der Umstand, dass die Studie in Berlin - also einem weltoffenen, kosmopolitischen Ort - durchgeführt wurde, könnte die Antworten beeinflusst haben. Die Fragebögen selbst wurden in drei Sprachen - Arabisch, Farsi, Englisch - herausgegeben. Teilnehmen konnten also nur Personen die einer dieser drei Sprachen mächtig sind.

Flüchtlinge bekunden nach dem Anschlag von Ansbach ihre Solidarität mit Deutschland (Foto: picture-alliance/dpa/D. Karmann)
Verbindliche Geste: Flüchtlinge bekunden nach dem Anschlag von Ansbach ihre Solidarität mit DeutschlandBild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Zudem, schreiben die Autoren, bedürfe eine repräsentative Studie einer genauen Kenntnis der Grundgesamtheit aller Flüchtlinge in Bezug auf die typischen soziodemographischen Kriterien Alter, Geschlecht, Bildungsniveau und vieler anderer Faktoren. Solche Informationen lägen derzeit in der Bundesrepublik noch nicht in gleicher Qualität wie für die einheimische Bevölkerung vor. "Allein deshalb ist es derzeit kaum möglich, eine methodisch saubere Stichprobe zu ziehen, die dem Kriterium der Repräsentativität in einem Maße genügt, wie das bei Bevölkerungsumfragen in Deutschland möglich ist", so die Autoren.

Optimistisch stimmende Ergebnisse

Alles in allem, sagt Hochschuldirektor Ronald Freytag gegenüber der DW, lasse die Studie Raum für Optimismus: "Es gibt eine große Bereitschaft der Flüchtlinge, auf Deutschland und die Deutschen zuzugehen. Sie wünschen sich sehr stark Kontakte zu Deutschen. Die Bereitschaft, Deutsch zu lernen, ist sehr hoch."

Die wichtigste Schlussfolgerung der Studie liegt auf der Hand: Die günstigen Voraussetzungen gilt es zu nutzen - durch weiter zu knüpfende Beziehungen zwischen demokratisch gesonnenen Alteingesessenen und Neuankömmlingen. Diese Kontakte sind das vermutlich wirkungsvollste Instrument zur politisch-kulturellen Eingliederung der Flüchtlinge.

Salafisten verteilen Koran Bücher (Foto: picture-alliance/Breuel-Bild/J. Reetz)
Saboteure der Integration: Salafisten, hier bei einer Werbeaktion in BerlinBild: picture-alliance/Breuel-Bild/J. Reetz

Warnung vor salafistischer Propaganda

Doch in bestimmter Hinsicht drängt die Zeit. Vor wenigen Tagen warnte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen, Salafisten und andere Islamisten versuchten Flüchtlinge für ihre Sache zu begeistern. "Es bereitet uns Sorge, wenn Salafisten und andere Islamisten Werbung in den Asylunterkünften machen", sagte Hans-Georg Maaßen der Deutschen Presseagentur. "Es gibt bislang mehr als 340 Fälle, die uns bekannt geworden sind. Aber das sind nur die, von denen wir erfahren haben. Vermutlich gibt es mehr Fälle."

Soll diesen Versuchen der Boden entzogen werden, kommt es nun darauf an, die Flüchtlinge so schnell wie möglich in die Gesellschaft zu integrieren. "Wir müssen unsere Werte selbstbewusst vertreten", sagt Hochschulrektor Freytag. Am leichtesten werde das noch bei den Kindern der Flüchtlinge fallen. "Die Kinder kommen in die Schulen. Die werden schnell Deutsch lernen, die werden sich schnell integrieren." Die eigentliche Herausforderung werde sein, die Erwachsenen zu erreichen. "Wenn wir die Mehrheitsgesellschaft unter den Flüchtlingen nicht erreichen, dann ist es ein Pyrrhussieg. Denn dann werden sich Parallelgesellschaften bilden, die wir eigentlich vermeiden sollten. Für uns entsteht dadurch ein klarer politischer Bildungsauftrag."

Entsprechende Versuche sollten unbedingte Priorität haben, wünscht sich Freytag. "Wenn man das politisch unterstützen könnte, dass man Kontakte herstellt, dass man dieses extrem Offene, Interessierte - auch an Deutschland und deutscher Kultur Interessierte – das man das nutzt und umsetzt, das wäre eigentlich die Forderung der Stunde."