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Politik

Das Romanes und seine Bedeutung

Luminiţa Mihai Cioabă
8. April 2021

Woran erkennt man eine Sprache? Wenn es in einer Sprache drei wesentliche Worte gibt, dann verfügt das Volk, das sie spricht, über eine Identität, sagt unsere Gastautorin Luminiţa Mihai Cioabă.

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Symbolbild Schreiben Bücher
"Der Reichtum einer Sprache besteht in ihrer Schrift" (Luminiţa Mihai Cioabă)Bild: Colourbox

Welches sind die drei Worte, die einem Volk eine Identität verleihen? Selbstverständlich muss es sich um Begriffe von großer Bedeutung handeln, die der Sprache Sinn verleihen. Die drei Worte sind: Gott, Kirche und Buch. Die von den Roma gesprochene Sprache enthält diese drei Worte: Dell, khăngări und lill. In Romanes gibt es die schönste Bedeutung des Wortes Gott, denn in Romanes gibt es das Verb "del", was "geben", "schenken" bedeutet, d. h. "Dell" ist die Person, die schenkt.

"O Dell del sastimos!" (Gott schenkt uns Gesundheit) - welch wunderbare Bedeutung des Wortes Gott!

Die Sprache schenkt jedem Volk einen Namen

Romanes ist eine internationale Sprache, die in der ganzen Welt gesprochen wird, ebenso wie Englisch oder Deutsch.

Die Roma-Sprache verwendet viele Vokale, die der Sprache Musikalität verleihen und sie ist angenehm anzuhören, wie die Töne eines unbekannten Instruments. Töne, die uns bezaubern und unser Gehör entzücken. Unsere, die Sprache der Roma, ist wertvoller als Gold, weil sie im Herzen der Urgroßeltern unserer Urgroßeltern aufbewahrt worden ist. Sie hat überlebt und wurde mündlich von Generation zu Generation weitergegeben - bis auf den heutigen Tag.

Tausende Jahre sind sie mit ihren Planwägen und Pferden in den Ländern der Welt herumgefahren und blieben so, wie sie Gott geschaffen hat und haben weder ihre Sprache noch ihre Volkszugehörigkeit eingebüßt. Warum?

Möglicherweise hat Gott von allen Sprachen der Welt die Sprache der Roma am besten gefallen. Deshalb findet man in unserer Sprache die schönste Bedeutung des Wortes Gott. Verstehen Sie? Der uns (be)schenkt, ist Gott. Wie wunderbar! In keiner anderen Sprache gibt es eine schönere Bedeutung für das Wort Gott.

Luminita Mihai Cioaba | Schriftstellerin und Aktivistin
Die Roma-Autorin Luminiţa Mihai Cioabă hat die Bibel in die Sprache Romanes übersetztBild: Privat

Wir Roma wünschen uns, wenn wir uns zu Tisch setzen, das schönste "Guten Appetit!". Wir sagen: "Xa Devlessa!", was so viel bedeutet wie "Iss mit Gott!". Mit Gott zu Tisch sitzen! Das ist die größte Dankbarkeit und Freude deiner Seele und ist ein Gebet, das in keiner anderen Sprache zu finden ist.

Eine Sprache definiert die Identität eines Volkes und die Identität eines Volkes wird in erster Linie von der gesprochenen Sprache definiert.

Der Reichtum einer Sprache besteht in ihrer Schrift und in dem Bekanntmachen der Dichtung, der Erzählungen, der Legenden, der Geschichte eines Volkes. Gott schenkte den Dichtern und Schriftstellern seine Gunst, seine Gnade, die Sprache zu bereichern, denn sie sind die wahren Schöpfer und Bewahrer der Sprache. Je mehr in einer Sprache geschrieben wird, desto reicher ist diese.

Ein mir lieber Mensch sagte mir, dass die Dichter kleine, sehr kleine Krumen der Gottheit sind, denn durch ihre Augen schenken sie schreibend ihre Seele anderen.

So wie der Fisch, der im Wasser lebt, verendet, wenn du ihn aus dem Wasser holst, so wie die Bäume mit ihren Wurzeln tief in der Erde verankert sind und sterben, wenn du sie entwurzelst, so wird auch der nach dem Wort Gottes geschaffene Mensch sterben, wenn  er seine Identität und seine Sprache verliert, die ihm Gott geschenkt hat.

Die Roma sind ein freundliches Volk

Wir sind Roma und müssen Roma bleiben, solange wir unsere Romanes-Sprache haben und bewahren.

Die Romanes-Sprache besitzt eine Goldader von 24 Karat. Diese Goldader wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Schrift gekleidet. In der Welt sind 300 anerkannte Roma-Autoren und -Autorinnen, was angesichts der Anzahl der in alle Herren Länder verstreuten Roma - es gibt kein Land ohne Roma - sehr wenig ist.

Die Roma blicken auf eine nicht sehr erfreuliche Geschichte zurück, denn sie haben viel gelitten und viel Konflikte, Aufstände und Kriege erlebt. Bewundernswert ist, dass die Roma trotz all dem erlittenen Leid nie einen Krieg angezettelt haben. Sie litten schweigend und passten sich an das Land an, in dem sie geboren wurden und das Licht der Sonne erblickt haben. Sehr scharfsinnig und als geschickte Handwerker haben die Roma rasch die Sprache, die Kultur und die Traditionen des Landes kennengelernt. Wenn ihr Umfeld es verstanden hätte, sich den Roma zu nähern, hätte es viel von ihnen lernen können und es hätten viele Katastrophen und Missverständnisse vermieden werden können.

Die Roma sind ein freundliches Volk, sie wissen, was die Liebe zu einem Leben in Frieden und Harmonie mit den Anderen bedeutet. Aus diesem Grund haben sie selbst versucht, sich den Völkern anzunähern, neben denen sie leben, denn sie haben deren Sprache und Schrift erlernt.

Durch die Förderung ihrer Schriftsprache möchten die Roma sich gegenseitig kennenlernen und Brücken des Wissens über ihre Identität schlagen, indem sie in Frieden und Einvernehmen mit allen Völkern der Welt zusammen leben.

Rumänisches Sibiu - Europäische Kulturhauptstadt 2007, Herrmannstadt
Unsere Gastautorin lebt in Sibiu/Hermannstadt, einer multiethnischen Stadt im Zentrum RumäniensBild: picture-alliance/ dpa/R. Ghement

Ich bin in einer von Gott gesegneten Roma-Familie geboren.

Meine frühe Kindheit verbrachte ich auf Wanderschaft mit meiner Sippe. Abend für Abend saß ich neben meinem Großvater am Lagerfeuer und lauschte den Geschichten und Legenden des Roma-Volkes. Später habe ich begonnen, diese aufzuschreiben und nach und nach begann ich ebenfalls in unserer Sprache die Poesie der Roma-Seele zu schreiben, die den Menschen von der Rückkehr zu den Schönheiten der Natur erzählt, die meine Wanderungen auf den langen Wegen meiner Kindheit erhellt haben.

Für meinen Vater war die Sprache der größte Reichtum der Roma. Es reichte aus, einige Worte mit ihm zu wechseln, um in die Welt der Roma einzutauchen, die über die ganze Erde verstreut leben. In seinen Reden wies er stets darauf hin, dass wir unsere Sprache bewahren sollen. Ohne eigene Sprache würden wir aufhören zu existieren und es wird unser Volk nur so lange geben, so lange wir eine Sprache besitzen, die uns überall in der Welt repräsentiert.

Ich habe Gedichte, Geschichten, Balladen, Theaterstücke, Geschichte geschrieben, aber all dies spielte eine präzise Rolle, von der ich nichts wusste. Gott rüstete mich für Sein Werk. Er, der Herr, hat mich als sein Instrument erwählt, um Sein Heiliges Wort, die Bibel, zu übersetzen.

Durch die Übersetzung der Bibel ins Romanes bin ich sicher, dass unsere Sprache weiter leben und nicht verloren gehen wird.

Eine Sprache wird reicher, wenn sie geschrieben wird, damit sie auch zukünftigen Generationen geschenkt werden kann.

Luminiţa Mihai Cioabă ist Autorin mehrerer Gedichtbände auf Rumänisch und Romanes, einer mehrsprachigen Sammlung von Kurzgeschichten, Drehbuchautorin und Regisseurin von Dokumentarfilmen zur Geschichte und Kultur der Roma. Sie stammt aus einer angesehenen Roma-Familie in Rumänien, ihr Vater war als "König der Roma" bekannt.

Adaption aus dem Rumänischen von Beatrice Ungar