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Politik

Das "S" in SPD soll wieder zählen

11. Februar 2019

Die gebeutelte SPD wagt einen Neustart. Weg mit Hartz IV und seinen Zumutungen, zurück zum Sozialstaat, so lautet die Parole. Damit sollen verloren gegangene Wähler zurückgewonnen werden. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Berlin -  Klausur der SPD-Bundestagsfraktion mit Andrea Nahles
Bild: Imago/E. Contini

Lange hat man Andrea Nahles nicht mehr so gut gelaunt und gelöst erlebt. "Wir haben in dieser Klausurtagung wichtige Weichenstellungen für unsere Politik der nächsten Jahre vorgenommen", sagt die Chefin der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) am Montag in Berlin und erweckt dabei den Eindruck, als sei ihr eine schwere Last von den Schultern genommen worden. Ein Jahr lang hat die SPD auf allen Partei-Ebenen über eine inhaltliche Neuausrichtung debattiert. Ein Vorhaben, das die Parteispitze der Basis nach der verlorenen Bundestagswahl 2017 versprochen hatte.

"Wir haben den Menschen zugehört und uns ein Bild gemacht, offen und neugierig", bilanziert Nahles. Tausende Vorschläge habe die Partei eingesammelt und mit vielen sozialen und ökologischen Interessenverbänden diskutiert. "Dieser Prozess ist jetzt abgeschlossen. Wir sind nun bereit, aus den Erkenntnissen eine neue, sozialdemokratische Politik zu formen."

Sozialstaat 2025 statt Agenda 2010

Im Zentrum dieser neuen Politik soll der gesellschaftliche Zusammenhalt stehen. Der sei den Menschen wichtig und Auftrag und Ziel der SPD. Der 45-köpfige Parteivorstand verabschiedete bereits am Sonntag einstimmig ein neues Sozialstaatskonzept. Auf 17 Seiten geht es um Chancen und Schutz in der digitalen Arbeitswelt, die Absicherung von Kindern durch eine eigene Grundsicherung und den Umgang mit Arbeitslosen.

Berlin - SPD-Spitze geht in Klausur. Links Finanzminister Olaf Scholz, daneben SPd-Chefin Andrea Nahles. Sitzend SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil.
Gut gelaunte SPD-Spitze Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Vor allem letzteres ist vielen Genossen seit Jahren ein Herzensanliegen. Sie machen die im Jahr 2003 vom damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeführte Agenda 2010 für den Niedergang der SPD verantwortlich. Insbesondere deren Kern, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Die umgangssprachlich Hartz IV genannte Grundsicherung für Arbeitslose sei sozial ungerecht und mache die Menschen arm.

Vertrauen statt Sanktionen

"Wir können mit Fug und Recht sagen, wir lassen Hartz IV hinter uns und ersetzen es nicht nur dem Namen nach", betont Andrea Nahles. Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, soll bis zu drei Jahre Anspruch auf das deutlich höhere Arbeitslosengeld I haben. Wer dann immer noch keine neue Arbeit gefunden hat, bekommt zwar weniger Geld, denn die Regelsätze, derzeit sind das 428 Euro monatlich für einen Alleinstehenden, sollen sich nicht ändern. Aber Bedingungen und Sanktionen sollen wegfallen.

"Wir wollen, dass die Menschen Zeit haben, sich auf die Arbeitssuche zu konzentrieren", so Nahles. "Deshalb werden wir sie nicht mit Fragen konfrontieren wie etwa, in welcher Wohnung sie leben und wie groß die ist." Auch soll es nicht mehr nötig sein, zunächst seine Ersparnisse aufzubrauchen. "Es ist wirklich ein Neuanfang aus der Perspektive der Menschen, die Hilfe brauchen, die den Staat hier auch als Partner brauchen und nicht mit der Haltung, dass man den Menschen mit Misstrauen begegnet und sie kontrolliert."

Soziale Gerechtigkeit - auch in Europa

Die SPD setzt zudem auf mehr Leistungsgerechtigkeit in der Gesellschaft. Wer viel gearbeitet und in die Sozialkassen eingezahlt habe, der müsse im Bedarfsfall auch ausreichend versorgt werden. Menschen, die 35 Jahre und mehr gearbeitet haben, sollen Anspruch auf eine Grundrente haben, die über dem liegt, was Menschen bekommen, die nicht gearbeitet haben. "So können wir auch Altersarmut verhindern", erklärt Nahles.

Zum Abschluss ihrer Vorstandsklausur beschäftigten sich die Genossen mit dem bevorstehenden Europa-Wahlkampf. Auch hier, so betonte die EU-Spitzenkandidatin der SPD, Katarina Barley, müsse das Thema "Gerechtigkeit" sein. Politisch werde sich das in mehreren Forderungen niederschlagen: "Ein europaweiter Mindestlohn, natürlich relativ zur Wirtschaftskraft gesehen, eine europäische Arbeitslosenrückversicherung und dazu gehört natürlich das große Thema der Steuergerechtigkeit." Wer in Europa Geld verdiene, das seien vor allem auch die internationalen, digitalen Unternehmen, müsse einen fairen Anteil leisten, um das Gemeinwesen in Europa auch zu finanzieren.

GERMANY-POLITICS-PARTIES-SPD
Katarina Barley zieht für die SPD als Spitzenkandidatin in den Europa-WahlkampfBild: Getty Images/AFP/J. Macdougall

Auferstehen aus Ruinen?

Mit ihrer politischen Neuaufstellung hoffen die Sozialdemokraten, ihren Absturz in der Wählergunst nicht nur abbremsen, sondern auch umkehren zu können. "Ich glaube, dass die Vorstellung von einem modernen Sozialstaat etwas ist, das die Menschen in diesem Land als echtes Angebot von unserer Seite verstehen; dass wir ihre Interessen im Herzen haben und dass wir bereit sind, auch für sie zu kämpfen", so Andrea Nahles, die innerhalb der Partei in den vergangenen Monaten auch persönlich dafür verantwortlich gemacht wurde, dass die Umfragewerte auf 14 bis 15 Prozent abgestürzt sind.

Allerdings wird es für die SPD kaum möglich sein, ihre politischen Vorstellungen in der Regierungskoalition mit CDU und CSU umzusetzen. "Das ist erstmal eine Positionierung und klare Aufstellung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, so Nahles mit Blick auf die anstehenden Europa-Wahlen im Herbst in vier Bundesländern. Nun könne die Partei in das "wichtige politische Jahr 2019" gehen. "Wir hatten gute und konstruktive Debatten, einstimmige Beschlüsse und gute Laune - so kann es weitergehen."