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"Das Schiff des Torjägers"

1. Dezember 2010

Im Frühjahr 2001 geisterte die Fähre Etireno als westafrikanisches Kindersklavenschiff wochenlang durch die Medien. Nun rollt ein Dokumentarfilm die Geschichte und die damit verbundenen Schicksale neu auf.

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Szene aus dem Dokumentarfilm. Reste der Etireno am Strand von Cotonou (Foto: www.schiff-des-torjaegers.de)
Reste der Etireno am Strand von CotonouBild: schiff-des-torjaegers.de

Die Hilfsorganisationen Unicef und Terre des Hommes schlugen 2001 Alarm, die Etireno würde illegal Kinder aus armen Familien von Benin nach Gabun zum Arbeiten verschiffen. Von Kindersklavenhandel war die Rede. Das besonders Pikante an der Geschichte: Der Besitzer der Etireno war ein junger nigerianischer Fußballer, Jonathan Akpoborie, der beim VfL Wolfsburg unter Vertrag stand. Als Torjäger in der Bundesliga gefeiert, wurde er plötzlich als Kinderhändler geschmäht, umgehend vom VfL gefeuert und in die Versenkung geschickt. Was ist damals wirklich passiert und mit welchen Folgen? Die Dokumentarfilmerin Heidi Specogna ließ die Geschichte nicht los, und sie begab sich auf Spurensuche. So entstand "Das Schiff des Torjägers“, ein vielschichtiger 90-minütiger Dokumentarfilm, der am 2. Dezember in den deutschen Kinos anläuft.

Der Traum vom besseren Leben

Adakou vor ihrem Haus (Foto: www.schiff-des-torjaegers.de)
Adakou Kpoda heute in ihrem Dorf in TogoBild: schiff-des-torjaegers.de

Erst werden 250 westafrikanische Kinder an Bord der Etireno vermutet. Am Ende, als die Etireno nach zwei Wochen Irrfahrt wieder in ihren Heimathafen Cotonou einläuft, sind es tatsächlich 43 Kinder. Sie kommen aus Mali, Togo und Benin und haben eine schreckliche Odyssee hinter sich: In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben die notleidenden Eltern sie zum Arbeiten nach Gabun geschickt. Dort werden sie jedoch wegen fehlender Papiere wie Kriminelle empfangen. Schutzlos und ohne ausreichende Nahrung schickt man sie wieder zurück. In Benin finden sie zunächst Obdach bei Terre des Hommes. "Meine Mutter hat mich weggeschickt, weil wir nichts mehr zu essen hatten. Ich dachte, wenn ich nicht gehe, verhungern wir", erzählt die damals neunjährige Adakou Kpoda aus Togo.

Mitgefühl ja, Schuld nein

Ex-VfL Wolfsburg Fußballer Jonathan Akpoborie und die Dokumentarfilmerin Heidi Specogna bei der Premiere von "Das Schiff des Torjägers" (Foto: Ina Jackson)
Ex-VfL-Wolfsburg Fußballer Akpoborie und Dokumentarfilmerin SpecognaBild: Ina Jackson

Jonathan Akpoborie beteuert bis heute seine Unschuld. Er sei wegen einer Lüge von Unicef "von den Medien ans Kreuz geschlagen worden". Mit der Etireno sei alles rechtens gewesen. Das belegen auch die Untersuchungsergebnisse der Staatsanwaltschaft. Die Kinder waren in Begleitung von Erwachsenen und hatten gültige Ausreisestempel. Außerdem habe die Etireno nur die Passagiere, die ein Ticket bezahlt hatten, zu ihrem Ziel befördert - und wieder zurück, als die Behörden in Gabun das verlangten, sagt Jonathan Akpoborie. Ihm tun die Kinder leid, doch helfen könne er ihnen nicht. Im Augenblick habe er darum zu kämpfen, seine eigenen Kinder durchzubringen. "Es ist wie bei zwei Ertrinkenden: einer kann schwimmen, der andere nicht. Wenn der, der schwimmen kann, den, der nicht schwimmen kann, zu retten versucht, gehen beide unter", sagt Akpoborie.

Wie ein Schiff Lebensläufe erschüttert

Nouman Anato heute vor Fischerbooten (Foto: schiff-des-torjaegers.de)
Nouman Anato heuteBild: schiff-des-torjaegers.de

Adakou aus Togo ist zu ihrer Mutter ins Dorf zurückgekehrt. Sie hat die Schule abgeschlossen und steuert nun eine Ausbildung zur Krankenschwester an. Auch Nouman Anato aus Benin war an Bord der Etireno. Erst sollte er in Gabun als Fischer arbeiten, um die Reiskosten zurückzuzahlen - zehn Jahre ohne Lohn. So war die Vereinbarung. Der 19-jährige weint, als er von seinen Erlebnissen spricht. Gerade habe er seine Lehre zum Fotografen geschmissen. Alles sei durcheinander in seinem Leben, fasst Nouman traurig zusammen.

Auch Jonathan Akpobories Leben geriet durch die Affäre Etireno aus den Fugen. Er verlor alles, wofür er sich 20 Jahre abgerackert hatte. Denn für ihn gab es nur eins: Fußball und Tore schießen, um damit so viel Geld zu verdienen, dass die Familie in Nigeria nicht mehr in Armut leben muss. Vom Kauf einer in Dänemark ausgemusterten Fähre sollten alle in der Familie profitieren. Sein Plan ging gründlich schief. Für alle Beteiligten.

Die Risiken des Lebens in Afrika

Filmteam bei der Premiere von Heidi Specognas Dokumentarfilm "Das Schiff des Torjägers" in Berlin (Foto: Ina Jackson)
Filmteam bei der Premiere in BerlinBild: Ina Jackson

Der Film zeigt: Es gibt viele Beteiligte, aber keinen Schuldigen in dieser Geschichte. Das ist seine Stärke. Dass arme Eltern ihre Kinder zu besser gestellten Verwandten geben, hat eine lange Tradition in Westafrika. Es sei Ausdruck eines bewährten Solidarprinzips, mit dem die Gemeinschaft ihre schwächsten Mitglieder stärkt. Wenn skrupellose Geschäftsleute dieses Prinzip für ihre Machenschaften ausnutzten, so spreche dies nicht gegen das Prinzip, meint Jonathan Akpoborie. Er sieht das ganz nüchtern: "Die Chance ist 50:50. Du kannst in eine schlechte oder gute Familie kommen. Wenn es gut läuft, bekommst du eine Ausbildung, kehrst zurück und unterstützt dann deine Familie. Im Leben muss man Risiken eingehen. Das sind eben die Risiken innerhalb des Systems. Solange es so viele Menschen auf diese Art schaffen, wird es immer so weitergehen. Es sei denn Afrika wird reicher."

Und weil Fußball nun mal das Einzige ist, worauf Akpoborie sich wirklich versteht, versucht er sich jetzt als Spielervermittler für junge afrikanische Fußballtalente. Neues Spiel, neues Glück?

Autorin: Ina Jackson
Redaktion: Klaudia Pape