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Das System Guantánamo

Ulrike Mast-Kirschning5. Mai 2012

Die Verfahren gegen die mutmaßlichen 9/11-Drahtzieher haben vor einem US-Militärgericht in Guantánamo auf Kuba begonnen. Menschenrechtler sehen erneut weltweit geltende Standards verletzt.

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Eine US-Flagge hinter Stachedraht im US-Lager Guantánamo Foto: Brennan Linsley
Bild: AP

"Das bestehende amerikanische Strafrecht hätte vollständig ausgereicht", sagt Sumit Bhattacharyya, einer der Sprecher von Amnesty International in Deutschland. Seiner Ansicht nach hätte man mutmaßliche Terroristen ganz normal nach US-Recht inhaftieren und vor ordentliche Strafgerichte stellen können. "Denn das Recht der USA sieht härteste Strafen im Fall von Mord vor. Im Fall von 3000-fachem Mord erst recht", betont der Amnesty Sprecher. Doch am Samstag (05.05.2012) hat der Prozess gegen die mutmaßlichen Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2011 vor einem Militärsondergericht in Guantánamo Bay auf Kuba begonnen.

Seit 2002 wurden knapp 800 Männer im US-Gefangenenlager Guantánamo inhaftiert. Anfangs ohne Kontakt zur Außenwelt, die allermeisten bis heute ohne Anklage. Und: mit höchst umstrittenen Verhörmethoden wie Waterboarding, bei dem den Verhörten der Eindruck vermittelt wird, sie würden ertränkt.

Geheimhaltung statt Menschenrechte

"Die Liste der Menschenrechtsverletzungen in Guantánamo ist lang", sagt Wolfgang Heinz, Experte beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Verletzt werde das Recht auf Freiheit, das Beschwerderecht, das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz, das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, die Unschuldsvermutung und das absolute Folterverbot.

In orangefarbene Overalls gekleidet sitzen Häftlinge unter dem wachsamen Auge der Military Police im Camp X-Ray auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba (Archivfoto vom 11.01.2002). Am 11. Januar 2002 wurden 20 erste Gefangene im US-Antiterrorkampf aus Afghanistan nach Guantánamo Bay gebracht. Seitdem ist die Zahl der in dem US-Lager als Taliban- und El-Kaida-Mitglieder Festgehaltenen angewachsen, zur Zeit sind es knapp 400. Seitdem ist auch die internationale Kritik gewachsen, an einem rechtlichen Vakuum, dass die USA nach den Anschlägen vom 11. September 2001 schufen - wohl in dem Glauben, sie könnten ihr Land und die Welt damit sicherer machen. Foto: McCoy (zu dpa-Korr. "Fünf Jahre «Schandfleck» Guantánamo - und kein Ende in Sicht" vom 08.01.2007) +++(c) dpa - +++
US-Lager Guantánamo: Lange Liste von MenschenrechtsverletzungenBild: picture-alliance/dpa

"Zu Anfang hat man sogar versucht, die Namen der Gefangenen geheim zu halten", ruft Sumit Bhattacharyya von Amnesty in Erinnerung. Bis eine US-Nachrichtenagentur die Veröffentlichung gerichtlich durchgesetzt hatte, war die Identität der Gefangenen nicht bekannt.

Bis heute konnten der UN-Sonderberichterstatter für Folter, der Österreicher Manfred Nowak und sein Nachfolger, der Argentinier Juan Méndez, das Gefangenenlager nicht besuchen. Als Vorraussetzung dafür "gelten klassische Regeln" betont Wolfgang Heinz, als Mitglied im Anti-Folter-Komitee des Europarates mit Gefängnisbesuchen vertraut. "Die bestehen darin, dass man in einem Gefängnislager mit jedem sprechen darf, einschließlich der Gefangenen, und zwar vertraulich." Die US-Regierung verweigere die Einhaltung dieser Regeln jedoch bis heute.

Unfaire Gerichtsverfahren

Ein weiterer Kritikpunkt der Menschenrechtler sind die Verfahren vor der Militärkommission in Guantánamo Bay. Damit habe man - neben der US-Straf- und Militärjustiz mit einem Obersten Militärgericht als unabhängiger Berufungsinstanz - für Guantánamo de facto ein drittes Rechtssystem geschaffen, sagt Wolfgang Heinz. "Das beruht darauf, dass die Regierung festlegt, was für Straftaten verfolgt werden. Sie legt fest, wer die Militärrichter sind und die Verteidiger können von den Angeklagten nicht frei gewählt werden."

US-Präsident Barack Obama Tannen Maury (EPA)
US-Präsident Obama: Umstrittene Militärgerichte sind gebiebenBild: picture-alliance/dpa

Auch Amnesty-Sprecher Bhattacharyya hält die Verfahren vor den Militärkommissionen nicht für rechtsstaatlich: "Geständnisse, die unter Folter zustande gekommen sind, würde kein anderes Gericht der Welt als Beweis anerkennen."

Manifeste Entwicklung

"Einige Praktiken in Guantánamo sind inzwischen eingestellt worden", betont Wolfgang Heinz. Mit dem Folterverbot habe US-Präsident Barack Obama 2009 eine sehr klare Position bezogen. In anderen Punkten werde die Antiterror-Politik seines Vorgängers George W. Bush fortgeführt und sogar gesetzlich verankert. Als Beispiel nennt Heinz "die Rückführung von Terrorismus-Verdächtigen in Heimatländer, in denen ihnen die Folter droht, und Inhaftierungen ohne Anklage und Gerichtsverfahren".

All diese Praktiken haben nicht nur der Glaubwürdigkeit der USA im UN-Menschenrechtsrat geschadet. Manch despotisch regiertes Land versteckt sich im Menschenrechtsrat hinter dem bisherigen Meinungsführer USA, wenn es um Foltervorwürfe in den eigenen Gefängnissen geht. Auch anderen westlichen Ländern macht es die Argumentation gegen solche Menschenrechtsverstöße schwerer.

Menschenrechtsaktivisten demonstrieren in Washington Foto: Susan Walsh
Menschenrechtsaktivisten fordern: Schließt Guantánamo!Bild: AP

Verpasste Chance

Das System Guantánamo habe eine fatales Zeichen gesetzt, beklagt Amnesty Sprecher Bhattacharyya: "Man hat den Terroristen gezeigt, dass es menschenrechtliche Positionen gibt, die durchaus verhandelbar sind, wenn denn ein Verbrechen begangen wird, das schlimm genug ist."

Dabei hätten die USA ein völlig anderes Signal setzen können, so der AI-Sprecher: "Mit rechtsstaatlichen Verfahren hätte man demonstrieren können, dass die Demokratie in den USA stärker ist als der Terrorismus."