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Das Zusammenleben in Städten war noch nie konfliktfrei

19. Juni 2019

Gedränge, Umweltzerstörung, Krankheiten. Schon in prähistorischen Zeiten war das Zusammenleben in Städten konfliktreich, das zeigen jüngste archäologische Funde aus der Südtürkei.

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Ausgrabungen im türkischen Catalhoyuk
Bild: picture-alliance/AA/A. Coskun

Nach der letzten Kaltzeit - als die Temperaturen wieder stiegen und sich die Eisdecke zurückzog - begann das moderne Leben. Vor 12.000 bis 10.000 Jahren gaben die Jäger und Sammler ihren nomadischen Lebensstil auf und ließen sich nieder. Sie bauten Nutzpflanzen wie Weizen, Gerste und Roggen an, hielten Tiere wie Schafe, Ziegen und schließlich Rinder, die ersten großen Siedlungen entstanden.

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Prähistorische Großstadt

Solch eine Siedlung war auch das etwa 13 Hektar große Catalhoyuk im Süden der heutigen Türkei. Vor 9100 bis 7950 Jahren lebten in dieser sogenannten Proto-City zwischen 3500 und 8000 Menschen in Lehmbauten. Einige Häuser waren mit aufwendigen Wandmalereien und anderen Kunstwerken geschmückt, darunter Steinfiguren von Tieren und korpulenten Frauen.

Archäologische Ausgrabungen im türkischen Catalhoyuk
Viel Platz für Bewohner und ihre Konflikte: die prähistorischen Ruinen von CatalhoyukBild: picture-alliance/AA/A. Coskun

Die Wohnräume erreichte man von oben über Leitern, über die Dächer waren die Häuser miteinander verbunden. Starb jemand, so wurde er in Gruben unter dem Haus begraben.

Genau dort gruben die Forscher jetzt 742 menschliche Skelette aus, die interessante Schlussfolgerungen über das nicht immer konfliktfreie Zusammenleben in prähistorischen Siedlungen geben können.

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Spuren von Krankheiten und Konflikten

Die Funde zeigen eindrucksvoll, dass die einstigen Bewohner von Catalhoyuk bereits vor Tausenden von Jahren mit ähnlichen Problemen wie wir heute zu kämpfen hatten. Anhand der Knochen und Zähne konnten die Forscher nachweisen, dass es in der frühen Großstadt eine hohe Infektionsrate gab. Die Hygiene war völlig unzureichend und Krankheiten konnten sich in der Enge der Stadt schnell ausbreiten.

Zudem fanden die Forscher zahlreiche Hinweise auf zwischenmenschliche Gewalt. Viele Schädel zeigten geheilte Frakturen an den oberen oder hinteren Schädelpartien. Einige Schädel wiesen auch mehrfache Verletzungen auf.

Vieles deutet darauf hin, dass diese Verletzungen durch harte Tonkugeln verursacht wurden, die zahlreich in Catalhoyuk gefunden wurden. Diese Tonprojektile wurden mithilfe einer Schleuder abgefeuert.

Eine Frau läuft durch archäologische Ausgrabungen im türkischen Catalhoyuk
Die alltäglichen Herausforderungen können zur Belastungsprobe werdenBild: picture-alliance/AA/A. Coskun

"Eine Schlüsselbotschaft dieser Erkenntnisse ist, dass unser aktuelles Verhalten tief in der Geschichte der Menschheit verwurzelt ist", sagte Clark Spencer Larsen, Anthropologe der Ohio State University, der die Untersuchung leitet.

Zusammenleben als Herausforderung

"Durch das Zusammenleben in diesen Siedlungen sahen sich die Menschen mit Herausforderungen konfrontiert, die sich mit den ganz grundlegenden Fragen befassen: Was soll man essen? Wer soll die Lebensmittel herstellen, wie sollen sie verteilt werden? Nach welchen sozialen Normen wird Arbeit aufgeteilt? Wie lassen sich trotz fehlender sanitärer Versorgung Infektionskrankheiten verhindern? Wie funktioniert das zwischenmenschliche Zusammenleben, auch bei vereinzelten Animositäten?", so Larsen in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences".

In Catalhoyuk hat die weitgehend homogene Gemeinschaft dieses komplexe Zusammenleben offenkundig über 1150 Jahre hinweg ununterbrochen praktiziert, dann wurde die prähistorische Großstadt schließlich aufgegeben.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund