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Ausspähen auf Rezept

Diana Peßler22. August 2013

Welcher Arzt welchem Patienten welche Medikamente verschreibt, ist vertraulich. Doch angeblich werden solche Daten nicht immer ausreichend anonymisiert. Das könnte Pharmakonzernen die Werbung erleichtern.

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Rezept (Foto:dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wissen US-Datensammler darüber Bescheid, welcher Arzt welchem Patienten welche Medikamente verschreibt? Diese Frage müssen sich die Deutschen seit einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" stellen. Und diesmal geht es nicht um Ausspähaktionen der amerikanischen Geheimdienste, sondern um ein florierendes Geschäft: den Handel mit Rezeptdaten.

Das Wissen darüber, welche Produkte ein Arzt verschreibt, liefert Pharmaunternehmen wertvolle Hinweise, wie sich ihre Medikamente verkaufen. Weil Rezepte vertraulich sind, dürfen die Daten, die darauf stehen, nur anonymisiert weitergeben werden. Datenlieferanten sind unter anderen sogenannte Apothekenrechenzentren. Diese "Rezeptzentralen" übernehmen für viele Apotheken die Abrechnung mit den Krankenkassen. Sie bekommen die Rezepte, sortieren und scannen sie und teilen der Krankenkasse dann mit, wie viel Geld der Apotheke erstattet werden muss. Doch dabei bleibt es nicht. Die Apothekenrechenzentren verarbeiten die Daten weiter und verkaufen sie an medizinische Marktforschungsfirmen. Die fassen die Rezeptdaten in Studien zusammen, die sie dann ihrerseits an Pharmafirmen verkaufen.

Apothekerin mit Medikament (Foto: fmarsicano)
Apotheken rechnen ihre Rezepte oft nicht selbst abBild: fotolia/ fmarsicano

Laut "Spiegel" läuft im süddeutschen Apothekenrechenzentrum VSA (Verrechnungsstelle der süddeutschen Apotheken), einem der größten in Deutschland, aber etwas Entscheidendes falsch: Die Rezeptdaten würden eben nicht anonymisiert, sondern allenfalls pseudonymisiert, indem die Namen der Patienten durch einen oft lebenslang gültigen Code ersetzt würden. Diese Daten gingen dann an das US-amerikanische Unternehmen IMS Health, einem der Giganten der medizinischen Marktforschung.

Skandal oder kein Skandal?

"Das ist ein Skandal, und zwar ein langjähriger Skandal", sagt Thilo Weichert, der Datenschutzbeauftragte des Bundeslandes Schleswig-Holstein, im DW-Gespräch. "Ich sehe es so, wie es jeder gute Datenschützer sehen sollte. Dass nämlich über das Ersetzen des Namens durch eine Nummer keine Anonymisierung erfolgt und eine Zuordnung nicht nur möglich, sondern auch beabsichtigt ist."

Die bayerische Datenschutzaufsicht, die für das süddeutsche Apothekenrechenzentrum zuständig ist, ist anderer Auffassung. Im DW-Interview verteidigt Präsident Thomas Kranig den Umgang mit Rezeptdaten bei der VSA. 2012 sei das Unternehmen umfassend überprüft worden. "Das, was da rauskommt, ist so verschlüsselt, dass das Verschreibungsverhalten einem einzelnen Arzt oder Patienten nicht mehr zugeordnet werden kann."

Thilo Weichert (Foto: dpa)
Thilo Weichert: "Das ist ein Skandal"Bild: picture-alliance/dpa

Interessant für Marketingstrategen

Genau eine solche Zuordnung wünschen sich die Pharmaunternehmen aber, weiß der ehemalige Pharmareferent Roland Holtz. Vor allem die Ärzte sind unter Marketinggesichtspunkten hochinteressant. Pharmafirmen verkaufen ihre Präparate nur indirekt: Sie empfehlen sie den Ärzten, die verschreiben sie im besten Fall, der Patient geht mit dem Rezept zur Apotheke und erst dann findet der Verkauf statt. Bevor die Pharmafirmen Zugang zu Rezeptdaten hatten, konnten sie nicht prüfen, wie erfolgreich ihre Referenten mit der Werbung für die Produkte waren. Mit dem Rezepthandel änderte sich das. "Die Pharmaindustrie war hellauf begeistert, weil man erstmals sagen konnte, auch wenn es teuer war, wie effizient die Vertreter sind." Und zwar ausgewertet nach Regionen, in denen jeweils etwa 300.000 Einwohner zusammengefasst wurden.

Tabletten (Foto: dpa)
Für Pharmafirmen sind die Rezeptdaten hochinteressantBild: picture-alliance/dpa

"Da der Vermarktungsdruck in der pharmazeutischen Industrie immer weiter gestiegen ist, wollte man aber immer detailreichere Daten haben", sagt Holtz. Also seien die Regionen, die ausgewertet wurden, immer kleiner geworden. Umso genauer konnte abgeleitet werden, wo genau bestimmte Präparate verschrieben wurden. Die Ärzte wurden leichter identifizierbar. Dieser Praxis schob der deutsche Gesetzgeber 2007 einen Riegel vor. Seitdem dürfen die Daten nur noch für Regionen mit mindestens 300.000 Einwohnern oder 1300 Ärzten ausgegeben werden.

Rückschlüsse auf verschriebene Medikamente

Umso interessanter sind seitdem also Informationen, die doch Rückschlüsse auf das Verordnungsverhalten einzelner Ärzte zulassen. Mit unzureichend anonymisierten Daten, die einzelnen Personen zugeordnet werden können, wäre das möglich. Der Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert sagt: "Dass diese Daten genutzt wurden, um Vertreter der Pharmaindustrie auf die Ärzteschaft loszulassen und sie für bestimmte Medikamente zu umwerben, ist offensichtlich. Das ist das Ziel dieser Datenverarbeitung und soll mit einer Anonymisierung eigentlich verhindert werden."

Thomas Kranig (Foto: dpa)
Sieht keine Datenschutz-Probleme: Thomas KranigBild: picture-alliance/dpa

Das Apothekenrechenzentrum VSA selbst weist die Vorwürfe zurück. Die Aussage des "Spiegels" sei "schlichtweg falsch". Auch der US-Datenhändler IMS Health betont, dass er von Apothekenrechenzentren keine personenbezogenen Daten bekomme.

Unterschiedlicher Umgang mit Rezepten

Trotzdem sehen viele das Anonymisierungsverfahren der VSA kritisch. Im Norddeutschen Apothekenrechenzentrum NARZ wurde die Übermittlung der umstrittenen Pseudonymcodes bereits gestoppt, auch in Berlin zog man nach. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen läuft ein Verfahren, weil die Datenschützer mit der Anonymisierung durch das Apothekenrechenzentrum nicht zufrieden sind. In Bayern könne nach dem Ermessen der Datenschutzaufsicht alles so bleiben, wie es ist, sagt Thomas Kranig. "Es ist tatsächlich so, dass es über die Frage der Anonymisierung und welche Anforderung daran zu stellen sind, unterschiedliche Auffassungen gibt."