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Datenschnüffelei erhitzt die Gemüter

Nina Werkhäuser5. Juli 2013

In Washington will Innenminister Friedrich Gespräche über die Spionageprogramme der US-Geheimdienste führen. Die Opposition hatte der Regierung vorgeworfen, sich nicht um Aufklärung zu bemühen.

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Ein Besucher des 27. Congresses des Chaos Computer Clubs in Berlin arbeitet an seinem Laptop. Foto: dpa
Bild: picture-alliance/dpa

Als US-Präsident Barack Obama im Juni zu Besuch in Berlin war, sprach ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel auf das Ausspähprogramm Prism an. In der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz gab es eine kleine, aber aufschlussreiche Szene: Sobald der erste Journalist Prism auch nur erwähnte, ergriff Obama das Wort, dabei war die diesbezügliche Frage unmissverständlich an die Bundeskanzlerin gerichtet. Die minutenlangen Ausführungen des US-Präsidenten ließen erkennen, dass er auf dieses Stichwort nur gewartet hatte, um eine Botschaft an die deutschen Freunde loszuwerden. In dieser kamen die Worte "Terrorismus", "Massenvernichtungswaffen", "Osama bin Laden" und "50 Bedrohungen" vor - 50 Bedrohungen in Deutschland und den Vereinigten Staaten hätten die US-Geheimdienste vereitelt. "Man hat durch diese Programme Leben gerettet", erklärte Obama wörtlich.

"Der Eingriff in die Privatsphäre ist sehr beschränkt, denn es gelten hierbei ein richterlicher Beschluss und ein entsprechendes gerichtliches Verfahren", verteidigte der US-Präsident das Spähprogramm. Den E-Mail-Austausch von deutschen, amerikanischen oder französischen Bürgern überprüften die US-Geheimdienste nicht. "Das tun wir nicht." Dessen ungeachtet sei die Diskussion über das Gleichgewicht von Sicherheit und Privatsphäre eine prima Sache, nickte Obama in Richtung der Bundeskanzlerin, die das Internet dann ihrerseits als "Neuland" bezeichnete. Damit schien die Angelegenheit für beide Seiten vorerst erledigt zu sein.

US-Präsident Barack Obama spricht auf der Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin, Foto: REUTERS
Obama und Merkel vor der Presse in BerlinBild: Reuters

Mal vorsichtig nachfragen

Spätestens in diesem Augenblick wurde den deutschen Datenschützern klar, dass die Bundesregierung tatsächlich nur einige milde Nachfragen zu Prism nach Washington geschickt hatte. Dass der US-Geheimdienst NSA auch im Ausland auf die Daten von Google, Facebook und anderen Internetdiensten zugreift, schien vor allem Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nicht weiter zu stören. Deutschland sei bisher von Terroranschlägen verschont geblieben, was "auch den Hinweisen unserer amerikanischen Freunde" zu verdanken sei, verteidigte er die Schnüffelei Ende Juni im Bundestag.

Die deutschen Nachrichtendienste erklärten, sie hätten vom Ausspähprogramm Prism nichts gewusst. "Es mag sein, dass Erkenntnisse, die wir von amerikanischen Behörden in Einzelfällen erhalten haben, auch auf ein derartiges Programm zurückzuführen sind", erklärte Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Verfassungsschutzes. Das wisse seine Behörde aber nicht. Ansonsten habe er von Prism aus der Presse erfahren.

Kein Asyl für Snowden

Die Parlamentarier reagierten deutlich kritischer als die Bundesregierung: Der FDP-Abgeordnete Jimmy Schulz begrüßte in einer Bundestagsdebatte zum Abhörskandal "auch die Zuhörer an den Überwachungsgeräten". Inzwischen war bekannt geworden, dass auch der britische Geheimdienst mit seinem Programm "Tempora" mutmaßlich im großen Stil Internet- und Telefondaten aus Deutschland abgegriffen hatte.

Ein Demonstrant hält ein Schild hoch, auf dem auf Englisch steht: "Snowden ist ein Held", Foto: Getty Images
Sucht nach einem Aufnahmeland: Enthüller SnowdenBild: Getty Images

Der Sozialdemokrat Thomas Oppermann nannte die Ausspähprogramme einen schweren Eingriff in die Grundrechte der Bundesbürger. Linke und Grüne verlangten, Deutschland solle den Whistleblower Edward Snowden aufnehmen, der auf dem Moskauer Flughafen festsitzt. Mit seinen Enthüllungen habe der IT-Spezialist und frühere NSA-Mitarbeiter der Demokratie einen großen Dienst erwiesen. Sie werde Snowden nicht nach Deutschland lassen, entschied die Bundesregierung nach sehr kurzer Bedenkzeit.

Wer ist Freund, wer Feind?

Schärfer wurde der Ton im Kanzleramt, als weitere Einzelheiten aus den Enthüllungen Snowdens öffentlich wurden: Der US-Geheimdienst NSA habe auch Einrichtungen der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstaaten ausspioniert, so die Berichte. Die diplomatische Vertretung der EU in Washington sei verwanzt und das interne Computernetzwerk infiltriert worden.

Nun zeigte sich auch die Bundeskanzlerin befremdet und ließ ihren Sprecher mitteilen: "Abhören von Freunden, das geht gar nicht, das ist inakzeptabel. Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg." Angela Merkel rief US-Präsident Obama an und verabredete Gespräche in Washington, die Innenminister Hans-Peter Friedrich und Fachleute in der kommenden Woche führen sollen.

Die Opposition bezweifelt, dass die Bundesregierung und die deutschen Geheimdienste von den Ausspähprogrammen nichts gewusst haben. Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte nach einer vertraulichen Sitzung mit Vertretern der deutschen Geheimdienste, er fühle sich an der Nase herumgeführt. "Wenn das so ist, dann haben wir eine klare Schutzlücke", kritisiert der SPD-Politiker Thomas Oppermann die angebliche Unkenntnis. Anscheinend seien die deutschen Sicherheitsbehörden nicht in der Lage, die Bürger vor millionenfacher Ausspähung zu schützen.