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Film

Vor 75 Jahren: Vorhang auf für die DEFA

Rayna Breuer mit KNA und dpa
17. Mai 2021

Am 17. Mai 1946 wurde in Babelsberg die staatliche Filmgesellschaft DEFA gegründet. Ein Rückblick auf die ostdeutsche Filmindustrie und was von ihr geblieben ist.

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Ein Trabi fährt vor den DEFA-Studios in Babelsberg.
Die Wiege des deutschen Films: Studio Babelsberg - gegründet 1912Bild: Imago Images/D. Konnerth

17. Mai 1946 - die Geburtsstunde der  DEFA, lange vor der Gründung der DDR. An jenem Tag erteilte der Kulturbeauftragte Oberst Sergej Tulpanow von der sowjetischen Militärverwaltung die erste Drehlizenz, drei Monate später erfolgte die Eintragung der Deutschen Film AG, kurz DEFA, ins Handelsregister: "Der Film als Massenkultur muss eine scharfe und mächtige Waffe gegen die Reaktion und gegen den Krieg und Militarismus und für Frieden und Freundschaft aller Völker der ganzen Welt werden" schrieb Sergej Tulpanow ins Stammbuch. Für den festlichen Moment in Potsdam hatten die Verantwortlichen vorgesorgt. Zur Gründungsfeier der DEFA im Babelsberger Althoff-Atelier vor 75 Jahren beantragten sie beim Haupternährungsamt der Stadt Berlin 20 Kilo Butter extra, dazu 10 Kilo Käse, 35 Kilo Wurst, 100 Kilo Brot, 10 Hektoliter Bier, 50 Flaschen Aquavit oder Likör sowie 3.500 Zigaretten.

Nach der Gründung der DEFA: Erste Schritte

Bis zur Entstehung der beiden deutschen Staaten 1949 hatte die DEFA vergleichsweise freies Spiel; danach zogen die Sowjets und die DDR-Oberen die Zügel straffer an. Für Regisseure, Drehbuchautoren und Schauspieler wurde die Arbeit zu einer Gratwanderung, erst recht nach dem "Kahlschlag-Plenum" des Zentralkomitees der SED im Dezember 1965, mit dem die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands endgültig auf den Betonkommunismus Breschnews umschwenkte, des neuen starken Mannes in der Sowjetunion. Die DEFA hat in ihrem über 40-jährigen Bestehen mehr als 700 Spielfilme, 2250 Dokumentar- und Kurzfilme, 2000 Wochenschauen, 950 Trickfilme und zahlreiche Synchronisationen hervorgebracht. Das Staatsunternehmen hatte den Auftrag, mit historischen Propagandastreifen und passenden Gegenwartsfilmen die DDR-Bürger für die Idee des Sozialismus zu mobilisieren. So standen Themen wie der Kampf gegen den Faschismus, die Arbeitswelt oder der Alltag in der DDR im Fokus.

Trotz der Einschränkungen und der Einmischung bei den Produktionen durch die zentrale staatliche Leitung im Ministerium für Kultur gab es auch jene Filmemacher und Autoren, die ihren eigenen künstlerischen Stil entwickelten - abseits der rigiden Parteilinie. So sind auch Filme entstanden, die sich den gegebenen Machtstrukturen widersetzten und indirekt auf die Probleme und Missstände im Land hindeuteten, wie etwa "Die Architekten" von Peter Kahane. Nicht alle haben es auf die Leinwand geschafft, einige wurden sogar erst nach der Wende gezeigt.

 Pünktlich zum 75. Jubiläum erscheint nun mit "Fräulein Schmetterling" ein Film, der einst verboten war. Der Spielfilm beginnt mit einem kaputten weißen Regenschirm: Eine junge Frau teilt ihn in zwei Stücke - und schwebt damit plötzlich wie mit Flügeln durch den Berliner Himmel. Die Menschen gucken erstaunt. Der Film erzählt von den Hoffnungen zweier Schwestern - und ist zugleich ein Stück DDR-Geschichte. Denn noch bevor der Spielfilm fertig war, wurde er verboten. Nach dem 11. Plenum des SED-Zentralkomitees 1965, dem ein Kultur-Kahlschlag in der DDR folgte, sei er hinterfragt und zu einem der schlimmsten Filme erklärt worden, sagt Stefanie Eckert von der der DEFA-Stiftung. "Wenn man sich den Film heutzutage anguckt, kann man sich das kaum vorstellen." Es sei ein sehr schöner Film.

Szene aus dem Film "Die Architekten": Ein Mann kniet vor einem Architektur-Modell und sieht es kritisch an.
Der Film "Die Architekten" hält sich mit offener Systemkritik nicht zurückBild: DEFA-Stiftung/Christa Köfer

Einblick in die DEFA

"Nach meinem Studium der Philosophie und Theaterwissenschaften an der Humboldt Universität in Berlin kam ich 1976 zur DEFA in die Abteilung  Dramaturgie. Wir waren fast alle nur Frauen, wir hatten nur einen einzigen männlichen Kollegen", erinnert sich die Dramaturgin und Regisseurin Marion Rasche, die für das DEFA-Trickfilmstudio in Dresden-Gorbitz gearbeitet hat. Dort lag der Anteil der Frauen im  Jahr 1990 bei 44 Prozent. Sie waren in allen Bereichen vertreten, vor allem bei der Kostüm- und Puppengestaltung.

"Die Frauen vergisst man schnell, weil sie nicht so im Rampenlicht standen, diese Frauen wollen wir würdigen", sagt Till Grahl, wissenschaftlich-künstlerischer Leiter beim Deutschen Institut für Animationsfilme und Kurator der Ausstellung "Aus der Rolle gefallen: Frauen im DEFA-Studio für Trickfilme". Dabei hätten die Frauen am DEFA-Studio für Trickfilme sehr ausdrucksstarke Filmfiguren gestaltet, manchmal sogar sehr düstere. "Sie wollten weg von diesem Image des Kinderfilms. Damals waren Trickfilme ein gleichberechtigtes Medium zum Spielfilm, wo man auch Erwachsenenunterhaltung produzieren konnte."

Schwarz-weiß Foto von Marion Rasche, Dramaturgin und Regisseurin für die DEFA.
Marion Rasche: "Wir sind uns nicht in die Arme gefallen"Bild: DIAF

Auch Marion Rasche wird in der Ausstellung gewürdigt. Sie erinnert sich an die Zeit: "Vor allem bei Satiren und Parabeln gab es Tabu-Themen - zum Beispiel die Armee oder Kritik an Staatsfunktionären. Schwierigkeiten konnte es auch bei Filmen mit ungewöhnlicher Bildsprache und Inszenierung geben. Also bei solchen, die kein Massenpublikum bedienten, sondern ein Kunst- und Festivalpublikum im Auge hatten. Der Genehmigungs-Mechanismus lief so ab: Zuerst wurde der Stoff vom Chefdramaturgen abgenommen und für die Verfilmung dann vom Studiodirektor genehmigt. Staatlich zugelassen wurde der fertige Film dann von einem Gremium in der Hauptverwaltung Film im Kulturministerium. Dafür fuhren wir mit jedem Film nach Berlin, das war dann die letzte Instanz, wo entschieden wurde, ob der Film in der Öffentlichkeit gezeigt wird oder nicht."

Als sie später Chefdramaturgin war, habe es viele Situationen gegeben, in denen es zu Diskrepanzen gekommen sei, sagt sie. "Ich habe mit dem Maler Helge Leiberg, den ich sehr schätze, gearbeitet. Er zählte bei der politischen Obrigkeit der DDR nicht zu den beliebten Künstlern, um es milde auszudrücken. Er hat eine Filmidee geliefert, die mir gefiel, weshalb ich sie angekauft habe. Der Studiodirektor war aber nicht dieser Meinung. Also wurde das Projekt nicht realisiert. Der Künstler ging später in den Westen, wie leider viele andere." 

Die DEFA und die Treuhand

Mit dem Fall der Berliner Mauer und der nachfolgenden Wiedervereinigung beider deutschen Staaten, übernahm die Treuhand die Abwicklung der DDR-Betriebe, dazu zählte auch die DEFA. Die Studios wurden privatisiert, 1992 kaufte der französische Konzern CGE das Spielfilmstudio der DEFA. Das Dokumentarfilmstudio wurde nach einer kurzen Übergangsphase in treuhänderischer Verwaltung aufgelöst. Doch was ist mit den Rechten an den Filmen passiert?

"Einige Filmemacher haben sich stark gemacht, das filmische Erbe in eine gemeinnützige Hand zu überführen, in eine Institution, die sich mit der Rechteverwertung im Ganzen beschäftigt. Die Treuhand hat die Idee unterstützt", sagt Stefanie Eckert, die den Vorstand der DEFA-Stiftung inne hat. Die Stiftung ist juristisch die Rechteinhaberin der DEFA-Filme, also des gesamten Filmschaffens in der DDR - und steht damit vor einer großen Herausforderung: Wie kann der Bestand für die nächsten Generationen erhalten werden? Stichwort: Digitalisierung.

"Das ist kein einfacher Prozess", erklärt Stefanie Eckert. "Man kann nicht einfach den Film auf den Scanner legen und denken, man hat sofort ein fertiges Produkt. Im Zuge der Digitalisierung haben wir den Anspruch, einerseits den Sehgewohnheiten des heutigen Publikums zu entsprechen, andererseits den Look des Films nicht zu manipulieren. Wenn man sich vor 20 Jahren einen Film angeschaut hat, lief auch mal ein verschwommenes Bild über den Fernsehbildschirm und niemand hat sich daran gestört, weil das normal war. Heute will man ein klares Bild in hoher Auflösung sehen. Um das zu erreichen, werden das Bildnegativ- und die Tonmaterialien einzeln digitalisiert. Hiernach erfolgt eine sehr vorsichtige Farbkorrektur. Nach Möglichkeit arbeiten wir mit den Filmemachern zusammen, die uns noch Hinweise zu bestimmten Einfärbungen oder zu Tag-Nachtlicht-Verhältnissen geben können. Anschließend geht es an die Retusche, weil das Material in all den Jahren gelitten hat: Kratzer und Schmutz müssen beseitigt werden."

Die DEFA nach der Wiedervereinigung

Die Studios wurden privatisiert, die Filme in die Stiftung überführt, doch was ist aus den Machern geworden? "Ich hatte wie manch andere Kollegen von mir eine sehr schwierige Stätte aufzusuchen - genannt Arbeitsamt," erinnert sich Marion Rasche, für die die Arbeitslosenphase glücklicherweise nicht so lange währte. Sie hat durch ihre Arbeit an Dokumentarfilmen über die Künstlerszene im Osten Fuß fassen können und arbeitete nach der Wende bis zur Pensionierung an verschiedenen Produktionen für die öffentlich-rechtlichen Sender. "Wir hatten so viel Vernunft zu erkennen, dass dieses große DEFA-Studio in der Form keine Chance hatte zu überleben, aber wir hofften, dass es in einer kleineren Form weiterbestehen könnte, aber so kam es eben nicht."

Viele Filmemacher der DDR gingen nach der Wende in Rente oder wurden arbeitslos. "Im Westen war der Markt genügend bestückt, wir konnten nicht aus dem Osten daherkommen und auf Aufträge hoffen. Die westdeutschen Kollegen sind uns nicht in die Arme gefallen und haben gesagt: 'Na endlich sind wir zusammen.'", sagt Marion Rasche.

"Nur wenige Filmschaffende haben es geschafft, im vereinigten Deutschland Fuß zu fassen, und tatsächlich hat auch niemand auf sie gewartet", ergänzt Stefanie Eckert. "Einen großen Ruf nach neuen Filmemachern und Schauspielern gab es nicht. Es gab auch kein Zusammenwachsen in der Filmindustrie, sondern eine Auflösung der ostdeutschen Filmindustrie und ein Anpassen zahlreicher Filmemacher an die neuen Strukturen in der BRD."

DW Mitarbeiterportrait | Rayna Breuer
Rayna Breuer Multimediajournalistin und Redakteurin