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Dekontamination verursacht Abfallberge

14. Dezember 2011

Versiegelte Flächen sind leichter von radioaktiven Stoffen zu befreien, als natürliche Böden. Sollen diese dekontaminiert werden, fallen riesige hochradioaktive Abfallberge an. Wasser ist hingegen gut zu reinigen.

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Ein Mann in einem Schutzanzug wird auf radioaktive Strahlung getestet (Foto: dpa Bildfunk)
Dekontamination erfordert gründlichen ArbeitschutzBild: picture alliance/dpa

Anfang Dezember begannen Aufräumteams in der Umgebung des Unglückskraftwerks Fukushima mit der Dekontamination öffentlicher Gebäude und Straßen. Weil hier Oberflächen meist durch Asphalt oder Beton versiegelt sind, lassen sich diese relativ gut von radioaktiven Stoffen reinigen.

"Eine Möglichkeit ist der Einsatz von Hochdruckreinigern", erklärt Wolfgang Raskob vom Programm für Nukleare Sicherheitsforschung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Wichtig bei diesem Verfahren sei allerdings, das Reinigungswasser aufzufangen und später einer weiteren Dekontaminierung zu unterziehen. Denn es fällt den Ingenieuren deutlich leichter, radioaktiv verunreinigtes Wasser wieder sauber zu bekommen, als Feststoffe, an die sich die gefährlichen Radionuklide - radioaktive Teilchen - bereits fest gebunden haben.

Wasser lässt sich gut reinigen

Aus dem Reaktorgebäude in Fukushima wurden 10.000 Tonnen verstrahltes Wasser ins Meer geleitet (Foto: AP/Tokyo Electric Power Co.)
Hoffen auf die Verdünnung des WassersBild: picture-alliance/dpa

Das Grundwasser stellt nach Atomunfällen wie in Fukushima selten ein großes Problem dar, weil sich die radioaktive Belastung anfangs über eine große Fläche verteilt. Fällt dann Regen, werden die Radionuklide schnell ausgewaschen. "Dort hat man sehr bald eine Verdünnung von 100.000 bis zu einer Million, je nachdem wie groß der Grundwasserleiter ist", so Raskob. Somit habe man zwar eine ganz geringe aber auch eine lang anhaltende Kontamination. Diese sei "mit Sicherheit messbar, aber wahrscheinlich kaum gesundheitsschädlich."

Denn selbst, wenn noch Radionuklide im Grundwasser messbar sind, lassen sie sich gut entfernen. Dazu nutzen Wasserwerke den Ionenaustausch, ein Verfahren, welches auch zum Einsatz kommt, um zum Beispiel Heizkessel vor Verkalkung zu schützen. Die radioaktiven Cäsium-Ionen, die zuvor mit einem Salz gebunden werden, setzen sich dabei an einer Opferanode ab. "Das ist kein großer Unterschied zu dem Heizkessel bei Ihnen zu Hause", so Raskob.

Aber auch stark verunreinigtes Wasser lässt sich in großtechnischen Anlagen relativ gut dekontaminieren. Dazu kommen verschiedene weitere Verfahren zum Einsatz. Gemeinsam haben sie alle, dass die Radionuklide zunächst an andere Stoffe gebunden werden müssen, an sogenannte Komplexbildner wie zum Beispiel Salze, die man später aus dem Wasser herausholt.

Viele Wege führen zum Erfolg

Neben dem Ionenaustausch, kann das auch durch Osmose geschehen. Dabei wird das mit Salzen angereicherte Wasser an einer halbdurchlässigen Membran vorbeigeführt, die nur gewünschte Ionen durchlässt. Wenn es gelingt, die Radionuklide in Feststoffen zu binden, können auch Aktivkohlefilter genutzt werden, um sie auszufiltern. Auch die Flüssig-Flüssig-Extraktion kann zum Einsatz kommen, bei der eine ölige und eine wässrige Phase - also Flüssigkeiten die sich abstoßen, wie Essig und Öl - miteinander vermischt und später wieder abgeschieden werden. Weil sich die gebundenen Cäsium-Atome nur in einer der beiden Phasen anreichern, können die Techniker sie relativ leicht entfernen.

Die Wasser-Dekontaminationsanlage in Fukushima nach einem Leck(AP Photo/Tokyo Electric Power Co.)
Die Wasser-Dekontaminationsanlage in Fukushima nach einem LeckBild: dapd

In Fukushima ist seit Juni eine großtechnische Wasserdekontaminationsanlage im Einsatz. Das war nötig geworden, weil dort die Notkühlung in den ersten vier Reaktoren ausgefallen war. Deshalb mussten die Einsatzkräfte diese Reaktoren zunächst mit Wasser von außen kühlen. Weil das Süßwasser knapp wurde, nutzten die Kraftwerksbetreiber zeitweise auch Meerwasser.

Dadurch hatten sich im April bis zu 60.000 Tonnen hochradioaktiv verseuchtes Wasser im Kraftwerksgebäude angesammelt. Noch im April wurden 10.000 Tonnen davon in den Pazifik geleitet, weil die Kraftwerksbetreiber nicht mehr wussten wohin damit. Dieses Problem ist gelöst. Die Dekontaminationsanlagen können jetzt etwa 1000 Tonnen Wasser pro Tag reinigen. Allerdings kam es auch hier zu Schwierigkeiten. Anfang Dezember traten etwa 45 Tonnen belastetes Wasser aus der Anlage aus.

Anfangs waren die Anlagen nicht besonders effektiv, sagt Raskob. Mittlerweile schaffen die Ingenieure es aber, fast alle Radionuklide herauszuholen. "Es war eher überraschend, dass es solange gedauert hat, bis man in Fukushima diesen Wirkungsgrad erreicht hat", betont Raskob. "In den ersten Wochen lag er nur bei 50-60 Prozent, erst später ging er auf über 99 Prozent hoch."

Ton ist gut – Sand ist schlecht

Schwieriger ist die Dekontamination von losen Böden und Äckern, weil sich die Radionuklide in den Feststoffen binden. Deshalb müssen die belasteten Schichten des Bodens abgetragen und auf versiegelten Halden sicher gelagert werden – abgeschottet sowohl gegen Regen als auch nach unten, zum Grundwasser.

In Fukushima kommt dabei den Aufräumteams zugute, dass die Umwelt fast nur mit zwei Radionukliden belastet wurde: Jod und Cäsium. Während das kurzlebige Jod mittlerweile wieder zerfallen ist, ist noch das Cäsium übrig.

Ein Einwohner wird auf Radioaktivität überprüft (Foto: AP/Kyodo News)
In 300 Jahren wird kein Cäsium 137 mehr messbar seinBild: AP

Auf lehmigen Böden lässt es sich gut entfernen, denn Ton und Cäsium haben sich gerne. "Das heißt, das Casium wandert in die Kristallgitter des Tons und bleibt dort sehr stark gebunden. Es wandert dann mit einer Geschwindigkeit von ein bis zwei Zentimetern pro Jahr in tiefere Schichten", so der Karlsruher Forscher. Deshalb müssen die Arbeiter nur die oberen fünf Zentimeter des Bodens abtragen und entsorgen.

Aber auch fünf Zentimeter Boden verursachen in einem großen kontaminierten Landstrich wie in Fukushima einen riesigen Abfallberg von Zehntausenden Millionen Kubikmetern verseuchter Erde. "Wohin man diesen hochkontaminierten Abfall bringen kann, ist bis jetzt ungelöst", betont Raskob.

Sind die Böden sandig, kann das Cäsium zudem schnell in zehn bis zwanzig Zentimeter Tiefe eindringen. In solch einem Fall könnte man tiefpflügen. Das bedeutet: Der Landwirt wälzt den Boden regelrecht um, so dass die kontaminierte Schicht in etwa einen Meter Tiefe gelangt.

"Da die Wurzeln typischerweise nur 30-50 Zentimeter tief in den Boden reichen, ist die Kontamination von den Wurzeln entfernt", erklärt er. Allerdings gibt es dann ein anderes Problem: Da die wertvolle Humusschicht des Bodens meist dünner ist, geben so behandelte Böden eine schlechte Ernte. Es kann Jahre dauern, die Böden wieder aufzuarbeiten.

Holzwirtschaft als letzte Option

Die Stadt Futaba liegt innerhalb eines 20 Kilometer-Kreises um das Kraftwerk und wurde evakuiert (AP Photo/Sergey Ponomarev)
Rückkehr noch nicht absehbarBild: AP

Sollten die Böden aufgrund ihrer Belastung für die Landwirtschaft ausfallen, bliebe nur noch die Forstwirtschaft. "Weil das Holz erst nach 50 Jahren geerntet wird, hat man dadurch bereits einen ersten Zerfall." Cäsium 137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. Wirklich strahlungsfrei ist der belastete Boden aber erst nach zehn Halbwertszeiten, also nach 300 Jahren. Dann hätte man aber auch richtig dicke Baumstämme.

Und auch die etwa 100.000 Menschen, die das Umland des Kraftwerks wegen der Verstrahlung verlassen mussten, werden so schnell nicht zurückkehren können. Denn die Dekontaminierungsmaßnahmen werden eine lange Zeit in Anspruch nehmen. Würde erst einmal nichts gemacht, könnte das betroffene Gebiet für zehn bis zwanzig Jahre unbewohnt bleiben. Denn so lange dauert es, bis das Casium tief genug nach unten gewandert ist, und der Boden die Strahlung so effektiv zum Menschen abschirmt, dass weitere Dekontaminierungsmaßnahmen nicht mehr notwendig sind. "Deshalb glaube ich auch nicht, dass gerade dieses hochkontaminierte Gebiet so schnell wieder bewohnbar ist", schätzt der Karlsruher Forscher.

Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Judith Hartl