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"Die Nigerianer nicht für dumm verkaufen"

Interview: Stefanie Duckstein14. Januar 2015

Nigeria muss sich seiner eigenen Verantwortung im Kampf gegen Boko Haram endlich stellen, sagt Afrika-Referent Ulrich Delius. Dabei komme Europa im Anti-Terror-Kampf in Nigeria eine Vermittlerrolle zu.

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Symbolbild Nigeria Polizei
Bild: imago/Xinhua

DW: Herr Delius, die Gesellschaft für bedrohte Völker gründete sich vor über 40 Jahren aus der "Aktion Biafra-Hilfe". Sie wollte auf den Völkermord in Biafra in Südost-Nigeria aufmerksam machen. Auch jetzt verlieren wieder tausende von Menschen in den Angriffen von Boko Haram ihr Leben. Unterschätzt die Weltöffentlichkeit den Terror in Nigeria?

Ulrich Delius: Es gibt viele andere Krisen, nicht nur in Afrika, die kaum so viel Aufmerksamkeit bekommen. Was wir aber vermissen, ist, dass tatsächlich gehandelt und mehr für die Kooperation zwischen westafrikanischen Staaten getan wird - auch mit den europäischen Ländern und den USA im Kampf gegen Boko Haram. Aber der jetzt von Nigeria häufig geäußerte Tadel, man vergesse Nigeria, also da haben nigerianische Politiker auf jeden Fall ein großes Maß an Mitverantwortung.

Ulrich Delius, Afrika-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker Foto: Gesellschaft für bedrohte Völker
Ulrich Delius, Afrika-Referent der Gesellschaft für bedrohte VölkerBild: Gesellschaft für bedrohte Völker

Die USA, Frankreich, sogar China haben Nigeria Unterstützung angeboten. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat den Fanatismus von Boko Haram in seiner Rede vor dem Parlament verurteilt. Es ist also nicht so, dass der Terror in Nigeria im Westen nicht wahrgenommen würde. Sie sagen, es müsse mehr getan werden, was denn aber konkret?

Es fehlt vor allen Dingen erst einmal an mehr Kooperation; Sicherheitskooperation zwischen den Anliegerstaaten. Da könnte auch Europa einiges vermitteln, weil es sehr viele Spannungen insbesondere zwischen Kamerun und Nigeria gibt. Das sind die beiden Staaten, die besonders eng kooperieren müssten. Boko Haram hat doch jetzt sehr stark auf den Norden Kameruns übergegriffen. Aber auch andere Staaten wie der Tschad, wie der Niger müssten unbedingt einbezogen werden. Frankreich könnte sich da engagierter einsetzen.

Es ist jedoch auch wichtig, nicht nur an diese Sicherheitsfragen zu denken. Das ist das, was wir in der bisherigen Diskussion sehr vermissen. Man spricht über Waffen, die man will, man spricht über Austausch von Geheimdienstinformationen. Aber der Staat Nigeria wird nur wehrhaft sein, wenn er sich auch als Staat und als Demokratie verändert. Wenn Nigerias Politiker endlich auch erkennen, dass es eine Reform im Land braucht, um die vielen hundert junge Menschen, die sich Boko Haram anschließen, wieder zurückzugewinnen. Das heißt also, wir müssen eigentlich viel mehr tun auch für die Förderung von Demokratie und Menschenrechten in Nigeria. [Dass] Menschenrechte [eingehalten werden], zum Beispiel in der nigerianischen Armee, die brutal gegen Boko Haram oder diejenigen, die sie für Boko Haram-Sympathisanten halten, vorgeht. Das ist eine sehr viel breitere Agenda und das vermissen wir vollkommen in der internationalen Diskussion.

Karte Nigerias Nachbarn

Sie sagen, man müsse verhandeln, aber mit wem denn? Die nigerianische Regierung hat sich bisher nicht als ein sehr verlässlicher Verhandlungspartner herausgestellt.

Das ist das große Problem und darüber redet man in Nigeria nicht gerne. Dass eben letztlich Nigerias Sicherheitsapparat inklusive der Regierung nicht sehr viel Vertrauen genießt bei internationalen Partnern. Die Amerikaner haben es versucht mit ihnen zusammenzuarbeiten. Die US-Regierung und die US-Militärs sind inzwischen enorm frustriert. Sie sagen, ja was sollen wir mit einer Armee zusammenarbeiten, die auf uns wie ein Schweizer Käse wirkt. Wenn wir da also Informationen hereingeben, dann hat die Gegenseite Boko Haram das innerhalb kürzester Zeit. Das ist ein enormes Problem, dass letztlich dieser gesamte Sicherheitsapparat Nigerias als Partner nicht einfach ist.

Aber haben Sie, Herr Delius, eine Idee, mit wem man dann verhandeln könnte?

Nun, es geht also auf jeden Fall darum, dass die beiden Nachbarstaaten Kamerun und Nigeria sich erst einmal darauf verständigen, dass sie ihre Maßnahmen in der Bekämpfung von Boko Haram besser aufeinander abstimmen. Bislang passiert da sehr wenig. Kamerun hat Angst, dass Nigeria auf seinem Territorium agieren könnte. Der Hintergrund sind alte Grenzstreitigkeiten. Da kann man auf jeden Fall mit internationaler Unterstützung einige Missverständnisse bereinigen und einige Ängste klären.

Alle anderen Felder sind sehr, sehr viel langfristiger: Auf die neue nigerianische Führung, die nun im Februar gewählt wird, einzuwirken, dass es mehr gute Regierungsführung gibt. Das heißt, dass man einfach den Menschen in Nigeria auch klar sagt, was Sache ist im Land. Und sie nicht dauernd hinhält mit beschönigenden Erklärungen, "Übermorgen werden wir Boko Haram bekämpft haben" und die Leute kriegen nur von Angehörigen mit, dass immer mehr Land an Boko Haram verloren wird. Das ist eine sehr viel langfristigere Arbeit, aber die muss gemacht werden in Nigeria. Ansonsten fürchten wir, dass das Vordringen Boko Harams uns noch wundern wird in den nächsten Monaten.

Wie deutlich wird denn der Westen in seinen Forderungen an Nigerias Führung?

Das Hauptproblem ist, was macht man mit einem Partner, in den man kein Vertrauen hat? Der US-Botschafter hat mehrfach in den letzten Wochen hervorgehoben, dass Nigeria eben auch zu Menschenrechten und Demokratie stehen muss, wenn es sich wehrhaft sozusagen zeigen und eine Chance gegen Boko Haram haben will.
Deutschland und die Europäische Union müssen eben klar auch gegenüber Nigeria aussprechen, was deren Erwartungen an gute Regierungsführung sind, wie Vertrauen überhaupt wieder aufgebaut werden kann. Da ist es nicht hilfreich, wenn man einfach die Schuld dem Ausland zuschiebt. Wenn man in den Medien sagt - nur um die eigenen Wahlchancen zu erhöhen - das sei alles ein Komplott des Auslands und Nigeria habe mit dieser ganzen Krise nur peripher zu tun. Das ist natürlich absoluter Blödsinn. Das ist erst einmal ein nigerianisches Problem. Nigeria muss sich seiner eigenen Verantwortung da endlich stellen und nicht die eigene Bevölkerung für dumm verkaufen.

Ulrich Delius ist Afrika-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker.

Das Interview führte Stefanie Duckstein.