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Dem Bischof kommen die Tränen

21. Oktober 2016

Führende katholische und evangelische Bischöfe und andere Geistliche haben die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besucht. Es waren bewegende Stunden.

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Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem
Bild: DW/C. Strack

Es ist ein Schock. Da steht "Dr. Martin Luther". Es ist eine zufällige Namens-Gleichheit. Die Jerusalemer Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem zeigt Fotos und Namen all jener, die im Januar 1942 bei der Wannsee-Konferenz nahe Berlin dabei waren. Und der Leiter der Juden-Abteilung des deutschen Auswärtigen Amtes trug den Namen des Reformators. "Das wusste ich gar nicht", sagt Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), leise.

Am Freitag besuchten die katholischen und evangelischen Bischöfe, die derzeit gemeinsam durch das Heilige Land pilgern, "Yad Vashem". Der hebräische Name bedeutet "ein Ort und ein Name". Mit der 1953 gegründeten Einrichtung hält der Staat die Erinnerung wach an die sechs Millionen Juden, die, vielfach namenlos und ohne Grab, dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer fielen. 

"Hier ist kein Platz für Euch"

Die Bischöfe nehmen sich lange Zeit für den Gang durch das 2005 neu erbaute Museum, verweilen gedenkend in der "Halle der Erinnerung" über der Asche aus allen Konzentrationslagern, besuchen das bewegende Kinder-Memorial. Im Museum sehen sie 15, 20 Schilder aus deutschen Dörfern der 1930er Jahre. "Juden, hier ist kein Platz für Euch", heißt es da, oder "In diesem Dorf ist kein Platz für Juden". Das, sagt der katholische Magdeburger Bischof Gerhard Feige später, ließ ihn an Sachsen 2016 denken: "Flüchtlinge, zieht weiter. Hier ist kein Platz für Euch", heiße es nun. Er schüttelt den Kopf. 
Jonathan Matthews, ein 31-jähriger Israeli, Doktorand der Geschichte, führt die Delegation in fließendem Deutsch durch das Museum. Eine Tante von ihm starb in Theresienstadt. Wenn er lebendig von alten Zeitzeugen in seiner Nachbarschaft berichtet, die nun verstarben, ist es besonders bewegend. "Was wird, wenn die letzten Zeitzeugen nicht mehr da sind?", fragt später die stellvertretende EKD-Chefin Präses Annette Kurschus. "Dann wird die Gefahr für heute größer. Wir brauchen neue Konzepte der Erinnerungskultur."

Täter aus der Mitte der Gesellschaft

Matthews berichtet den deutschen Gästen von Kirchenvertretern im Widerstand und der Hilfe für Juden, erläutert das Schicksal von christlichen Juden, nennt den Widerstand der Kirchen gegen das Euthanasie-Programm der Nazis, der 1941 zu dessen Stopp geführt habe. Aber er schildert auch das Profil der vielen, vielen Täter. Ganz normale Menschen, wie man so sagt, aus vielen Ländern Europas, nicht nur Deutschland, eben auch Christen, Katholiken und Protestanten. Die Mitte der Gesellschaft. Und der junge Israeli, der zwei Jahre in Berlin lebte, erzählt von dem 65-Jährjgen, der bei einer Besichtigung vor Jahren in Ohnmacht fiel. Er hatte unter den Tätern auf dem Foto einer Massenerschießung seinen Vater erkannt, der dann nach dem Krieg evangelischer Pfarrer wurde. Und der Sohn wusste von nichts. Bedford-Strohm dankt Matthews für alle Schilderungen. Und dann fragt er ihn spontan, ob er ihn einmal zum Dank umarmen dürfe.

Die evangelische Kirche, die in den kommenden zwölf Monaten das Reformationsjubiläum begeht und Martin Luther feiert, weiß um dessen im Alter wachsenden Antijudaismus. "Luthers antijudaistische  und antisemitische Einstellung war zeittypisch", hält Johann Hinrich Claussen, Kulturbeauftragter der EKD, in einem kürzlich erschienenen Buch fest. Es wäre "unhistorisch", würde man Luther in einem direkten Sinn für den rassistischen Antisemitismus des 20. Jahrhunderts verantwortlich machen. Er sei aber "Teil der Vorgeschichte dieses Menschheitsverbrechens". Am Freitag sagt Bedford-Strohm in Jerusalem, diese Stunden hätten ihn "absolut in dem bestätigt", dass sich die Kirche im Jubiläumsjahr "für diesen fürchterlichen Irrtum ... in aller Form bei den jüdischen Geschwistern entschuldigen" wolle. Auch Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der katholischen Bischöfe, sagt, mit jedem Besuch in Yad Vashem werde "das Erschrecken größer": Wie war das möglich. Der Trierer katholische Bischof Stephan Ackermann bekennt später, im Museum seien ihm die Tränen gekommen. Und er ist wohl nicht der einzige der Gruppe.

"Ein ewiger Name..."

Nach einer Kranzniederlegung durch die beiden Vorsitzenden in der Halle der Erinnerung kommen die Gäste aus Deutschland ins Kinder-Memorial. Im fast dunklen, nur von Kerzen beleuchteten Raum läuft ein Endlosband. Die Namen, Alters- und Ortsangaben der 1,5 Millionen ermordeten Kinder - das Band braucht drei Monate für alle Opfer. Minuten sind es an diesem Freitag. Sie machen stumm, fassungslos. Beim Verlassen wartet das Gästebuch von Yad Vashem. "Einen ewigen Namen will ich ihnen geben, der nicht vergehen soll", schreibt Bedford-Strohm einen Vers des Propheten Jesaja hinein und trägt ihn vor. Alle anderen Geistlichen unterschreiben. Da stehen sie. Aus ihrem Rücken noch kommt der leise, dunkle Klang immer neuer Namen. Vor ihnen der gleißend blaue Himmel über dem Judäischen Bergland.

Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem
Der Eintrag des Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Bedford-Strohm in Yad Vashem.Bild: DW/C. Strack