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Demokratie auf Chinesisch

Matthias von Hein / (stl)5. März 2005

Theoretisch ist der Volkskongress das höchste Verfassungsorgan Chinas. Praktisch segnet er nur ab. Seit Samstag (5.3.) beraten die Delegierten auf der Jahressitzung wieder über Dinge, die längst beschlossene Sache sind.

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Der Volkskongress: kein offenes ForumBild: AP

Höhepunkt im politischen Kalender Pekings ist, wenn im März die chinesische Variante von Demokratie geprobt wird: 3000 von der Kommunistischen Partei handverlesene Delegierte aus dem ganzen Land versammeln sich dann in der "Großen Halle des Volkes". Feierlich werden sie über die zuvor von der Partei beschlossenen Weichenstellungen für die Entwicklung des Landes abstimmen. Zustimmung ist garantiert.

Drei Schluchten Staudamm
Zankapfel Drei-Schluchten-StaudammBild: AP

Noch nie in seiner gut 50-jährigen Geschichte hat der Volkskongress einen Gesetzentwurf, eine Resolution oder gar einen Regierungschef abgelehnt. Ausnahme in diesen Absegnungsveranstaltungen war das Jahr 1992: Damals verweigerte ein Drittel der Delegierten dem damaligen Ministerpräsidenten Li Peng die Gefolgschaft, als er über das - inzwischen fertig gestellte - Drei-Schluchten-Staudammprojekt abstimmen ließ.

Repressionen im Vorfeld

Veranstaltungen von der Größe des Volkskongresses werfen ihre Schatten voraus: Diese äußern sich in Peking in massiver Polizeipräsenz, verschärfter Zensur des ohnehin streng überwachten Internets sowie der totalen Überwachung potentieller Störenfriede. Die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua vermeldet bereits die Festnahme von 448 "Verdächtigen".

Wahlen auf Taiwan Frau mit Flagge
Warnung an TaiwanBild: AP

Ganz oben auf der Agenda des Nationalen Volkskongresses steht das "Anti-Abspaltungsgesetz", das sich an die Adresse separatistischer Kräfte in Taiwan richtet. China betrachtet die Insel als abtrünnige Provinz. Das Gesetz soll im Falle einer Unabhängigkeitserklärung einen schnellen und unbürokratischen Militärschlag legitimieren.

Zum Auftakt der diesjährigen Plenarsitzung des Volkskongresses am Samstag (5.3.2005) in Peking sagte Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao, das Gesetz werde Chinas feste Entschlossenheit demonstrieren, die territoriale Integrität zu schützen. Der Entwurf wird am Dienstag eingebracht und am 14. März verabschiedet. Wen Jiabao betonte, den Unabhängigkeitskräften werde "niemals" erlaubt, Taiwan von China abzutrennen.

Mehr Geld für das Militär

Volkskongress in Peking Polizist mit Mao Bild
Repressionen bereits im VorfeldBild: AP

Gleichzeitig will China seine Militärausgaben um 12,6 Prozent auf umgerechnet rund 23 Milliarden Euro erhöhen. Wen Jiabao ging in seiner Rede ausführlich auf die Modernisierung der Streitkräfte ein. Sie müssten in die Lage versetzt werden, "jeden Krieg zu gewinnen, den sie eingehen".

Die Aufstockung der Militärmittel sei jedoch nicht als Vorbereitung auf einen Krieg zu verstehen, hatte ein Parlamentssprecher in den Tagen zuvor versichert. Vielmehr solle das Geld in Gehälter, Sozialfonds sowie die Ausbildung des Militärs fließen. Auch Professor Thomas Heberer von der Universität Duisburg sieht in diesen Beschlüssen keinen Grund zur Beunruhigung: Seiner Meinung nach stammen diese Vorlagen aus Zeiten größerer Spannungen zwischen China und Taiwan.

"Kein Grund zur Beunruhigung"

Inzwischen sei die Situation jedoch entschärft, erklärt Heberer: Der taiwanesische Präsident Chen Shuibian hat keine Parlamentsmehrheit mehr und die USA haben bereits angekündigt, eine Unabhängigkeit Taiwans nicht zu unterstützen. Danach ist auch die Rhetorik Chens gegenüber Peking mittlerweile eine andere: Er schließt eine Wiedervereinigung nicht mehr aus und will sogar Charterflüge am chinesischen Neujahrsfest zulassen. Heberer: "Die Grundlage, auf der diese Gesetze beschlossen wurde, ist nicht mehr gegeben. Aber Peking würde sein Gesicht verlieren, wenn es das Gesetz zurück zöge."

Der erste Direktflug zwischen China und Taiwan
Erste Annäherungen zwischen China und TaiwanBild: AP

Wirtschaftswachstum drosseln

In seiner zurückhaltenden Rede kündigte Wen Jiabao an, das starke Wachstum der Wirtschaft nach 9,5 Prozent im Vorjahr auf 8 Prozent zu drosseln, um eine Überhitzung zu vermeiden. Die Regierung werde von ihrer expansiver Ausgabenpolitik zu einer "angemessen knappen Finanzpolitik" wechseln. "Wir dürfen die makroökonomischen Kontrollen nicht lockern." Den Bauern versprach Wen Jiabao Hilfen in Milliardenhöhe. Die Agrarsteuern sollen zwei Jahre früher als geplant bis 2006 abgeschafft werden

Wende in der Familienpolitik?

Peking will auch die Strafen für die Ermittlung des Geschlechts von Embryos verschärfen. Die Ein-Kind-Politik in Verbindung mit der traditionellen Bevorzugung männlicher Nachkommen hat bereits zu einem spürbaren Mangel an Mädchen in China geführt: Auf die Geburt von 100 Mädchen kommen zur Zeit 120 Jungen. Mädchen werden häufig abgetrieben.

Zarter Widerspruch

Auch wenn der Volkskongress bislang stets als zuverlässige Abstimmungsmaschine funktionierte - in jüngster Zeit waren dort immer häufiger kontroverse Debatten und Delegierte mit gewachsenem Selbstvertrauen zu beobachten. Das kam insbesondere bei den Rechenschaftsberichten zum Ausdruck: Dabei hatten sich Abgeordnete den Dokumenten von manchmal unerträglicher Schönfärberei verweigert. Die kommenden Tage eröffnen trotz minutiöser Kongressregie wertvolle Einblicke in die chinesische Politik.

Chinesische Führung Volkskongress in Peking
Chinesischer VolkskongressBild: AP