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Den Haag entscheidet im Fall Haradinaj

Auron Dodi28. November 2012

In einem Berufungsverfahren beim Kriegsverbrechertribunal wird das Urteil gegen den wegen Kriegsverbrechen angeklagten Ramush Haradinaj erwartet. 2008 war er freigesprochen worden, da der Anklage die Zeugen fehlten.

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Gebäude des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Außenansicht). F(OTO: ANP XTRA LEX VAN LIESHOUT)
Bild: picture-alliance/ANP XTRA

Wenn Ramush Haradinaj am Donnerstag (29.11.2012) vor dem UN-Tribunal für Ex-Jugoslawien (IStGJ) in Den Haag erscheint, werden ihm die Räumlichkeiten bekannt vorkommen. Er war dort schon einmal im März 2005, als das Haager Tribunal gegen ihn Anklage wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Kosovo-Konflikts (1998-1999) erhoben hatte. Während des Konflikts war Haradinaj einer der bekanntesten und wichtigsten militärischen Anführer der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) - einer Organisation der Kosovo-Albaner, die gegen die serbischen Truppen für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpfte.

Als er 2005 nach Den Haag kam, hatte Haradinaj kurz zuvor sein Amt als Regierungschef des Kosovo niedergelegt. Damals erregte das große mediale Aufmerksamkeit, denn er war der erste ranghohe Politiker, der noch während seiner Amtszeit vom Haager Tribunal angeklagt wurde. Im März 2007 begann schließlich das Verfahren gegen ihn und zwei Mitangeklagte. Unter anderem ging es um die Verschleppung von Zivilisten, Folter, Vergewaltigung und Mord. Bis Anfang 2008 versuchte die damalige Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, ihre Anklagepunkte durchzusetzen - vergeblich.

Porträt von Ramush Haradinaj. (Foto: EPA/VALDRIN XHEMAJ - dpa - Bildfunk)
Muss sich erneut vor dem internationalen Strafgerichtshof verantworten: Ramush HaradinajBild: picture-alliance/dpa

Freispruch aus Mangel an Beweisen

Am 3. April 2008 wurden Haradinaj und einer seiner beiden Mitangeklagten, Idriz Balaj, freigesprochen. Das Gericht stellte fest, dass die vorgelegten Beweise nicht ausreichten, um gezielte Angriffe der UCK auf die Zivilbevölkerung, insbesondere Serben und Roma, zu belegen. Haradinajs Stellvertreter, Lahi Brahimaj, dagegen wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Die Freude über den Freispruch war bei Haradinajs Anhängern im Kosovo groß. Vor allem in der westkosovarischen Region Dukagjini bereiteten ihm die Menschen mit UCK-Fahnen in den Händen einen triumphalen Empfang. Die Freude wurde auch dadurch nicht getrübt, dass die Haager Ankläger im Mai 2008 Berufung gegen den Freispruch einlegten. Sie bemängelten, dass sie während des ersten Prozesses nicht genügend Zeugen hätten hören können.

Zeugen durch sozialen Druck eingeschüchtert

Die Befragung der Zeugen hatte sich damals tatsächlich als die größte Hürde im Prozess erwiesen. Etwa 100 Zeugen wurden gehört, von denen die Hälfte unter den besonderen Schutz des Tribunals gestellt wurde. Allerdings wurden ihre Namen im Kosovo trotzdem bekannt. Viele zogen daraufhin ihre Aussagen zurück, Berichte von Einschüchterungen der Aussagewilligen im Kosovo machten die Runde, potenzielle Zeugen kamen unter ungeklärten Umständen ums Leben, darunter auch ein Hauptzeuge, der bei einem Autounfall starb.

Porträt von Carla del Ponte, ehemalige Chefanklägerin am internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (Foto: REUTERS/Jerry Lampen/Files)
Carla del Ponte konnte ihre Anklagepunkte gegen Haradinaj nicht durchbringenBild: Reuters

Behxhet Shala, Vorsitzender der NGO "Rat für Menschenrechte" in Kosovo, ist überzeugt, dass die Zeugen nur deshalb bekannt werden konnten, weil sie von Seiten des Tribunals nicht ausreichend geschützt wurden. Ähnlich sieht das Bodo Weber, Balkanexperte des "Democratization Policy Council". "Das Haager Tribunal hat sich damals unzufrieden gezeigt, von KFOR und EULEX (eine NATO- bzw. EU-Mission im Kosovo, Anm. d. Red.) wenig Unterstützung beim Zeugenschutz bekommen zu haben", erklärt Weber. Die geringe Größe des Kosovo, wo praktisch jeder jeden kenne, habe ebenfalls eine ungünstige Rolle beim Zeugenschutz gespielt.

Die gespaltene Haltung der kosovarischen Bevölkerung zu Haradinaj erschwerte die Aufklärung. Viele Zeugen, die gegen Haradinaj in Den Haag aussagen sollten, standen unter enormem sozialen Druck und fürchteten, nach ihrer Rückkehr in den Kosovo als Verräter zu gelten. "Es ist ein Ungerechtigkeitsgefühl bei den Leuten zu spüren", sagt Ernst Köhler, Publizist und Historiker. Sie verstünden, so Köhler, die Anklagen gegen die UCK "fälschlicherweise als tendenzielle Kriminaliseriung ihres Widerstandkampfes". Köhler sieht falschen Patriotismus im Spiel. Die Gesellschaft sei in Bezug auf die Zeugenfrage zerrissen, das erkläre auch den Druck auf die Zeugen. Chefanklägerin Carla del Ponte sagte damals, sie habe in keinem anderen Prozess so große Schwierigkeiten gehabt, Zeugen zur Aussage zu bewegen wie im Fall Haradinaj. Und auch die Richter räumten bei der Urteilsverkündung ein, der Prozess habe in einer Atmosphäre der Unsicherheit stattgefunden.

Haradinaj auf freiem Fuß

Am 19. Juli 2010 ordnete die Berufungskammer des IstGJ die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Ramush Haradinaj und seine Mitangeklagten an. Die Anklage sollte nun mehr Zeit bekommen, Aussagen von wichtigen Zeugen einzuholen. Haradinaj, inzwischen im Kosovo ein angesehener Oppositionspolitiker, verließ die kosovarische Hauptstadt Pristina und stellte sich wieder der Haager Justiz.

Jetzt im neuen Prozess ist man auf das Ergebnis der Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Zeugen gespannt. Da die Staatsanwaltschaft auch vor dem zweiten Prozess gegen Haradinaj von einer Mitarbeit mit geschützten Zeugen sprach, ist ihr Beitrag für die Klärung der Anklagepunkte für Außenstehende nicht direkt erkennbar. Auf jeden Fall forderten die Ankläger in Den Haag am 25.06.2012 eine "Mindeststrafe" von 20 Jahren Haft für Haradinaj. Die Chancen für eine Verurteilung sind allerdings eher gering: Im Mai hat das Tribunal Haradinaj bereits vor der endgültigen Urteilsverkündung zeitweilig auf freien Fuß gesetzt.

UCK-Soldaten schießen Salut am Grab eines Kameraden, Foto aus dem Jahr 1999 (Foto: AP Photo/stringer)
Die UCK kämpfte in den 1990er Jahren für die Unabhängigkeit des KosovoBild: AP

In Pristina erwartet Haradinaj im Falle eines erneuten Freispruchs eine neue politische Karriere. Hinter den Kulissen sind schon Vorbereitungen im Gange, Haradinajs Partei, die "Allianz für die Zukunft Kosovos", AAK, an der Regierung zu beteiligen. Zusammen mit der Partei des jetzigen Ministerpräsidenten Hashim Thaci, PDK, könnten dann die beiden politischen Erben der einstigen Befreiungsarmee Kosovos (UCK) gemeinsam die Geschicke des jüngsten Staates in Europa lenken.