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Terrorismus

"Attentäter sieht sich in Mandelas Tradition"

Marco Müller
17. März 2019

Der Attentäter von Christchurch hat mindestens 50 Menschen getötet. Was brachte ihn dazu, so etwas zu tun? Der Versuch eines Einblicks in die Welt des Täters mit dem Soziologen Matthias Quent.

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Christchurch Terroranschlag Anhörung Täter
Vor Gericht zeigt der mutmaßliche Täter Brenton Tarrant eine Geste der rechtsextremen "White-Power"-BewegungBild: picture-alliance/dpa/M. Mitchell

Deutsche Welle: Der mutmaßliche Attentäter von Christchurch ist ein 28-jähriger Mann aus Australien. Er soll Einzeltäter gewesen sein und soll auf alle Muslime, die er gesehen hat, geschossen haben - egal ob Frau, Kind oder Greis. Mindestens 50 Menschen hat er nach aktuellem Stand getötet. Augenzeugen sagen, er sei sehr ruhig und kaltblütig vorgegangen. Was sagt das über den Mann aus?

Matthias Quent: Das sagt aus, dass er ein rassistischer, ein rechter Terrorist ist, der in einer Eiseskälte das umgesetzt hat, woran er geglaubt hat. Das ist in seinem sogenannten Manifest dokumentiert. Er hat dort auch geschrieben: Ja, man muss auch Kinder umbringen, denn Kinder sind auch nur - in seinen Worten - Invasoren, zukünftige Feinde. Dahinter steckt eine krude, rechtsextreme Verschwörungstheorie nach der Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Abstammung zu Feinden erklärt werden, zu Feinden die man vernichten müsse. Und genau diesem Glauben folgend hat er dann auch diese Tat verübt.

DW: Was war sein Hauptziel?

Matthias Quent deutscher Soziologe und Rechtsextremismusforscher
Soziologe Matthias Quent leitet das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in JenaBild: picture-alliance/Zumapress/S. Babbar

Sein Hauptziel oder seine Hauptziele waren: Erstens: Angst und Schrecken zu verbreiten. Zweitens: Vor allem auch Nachahmer zu gewinnen. Deswegen auch seine Online-Strategie, also die Live-Übertragung der Tat, um Nachahmer zu gewinnen um dann schließlich - und das ist Gesamtziel - einen Bürgerkrieg, einen in Anführungszeichen Rassenkrieg auszuüben. Das bedeutet, es geht ihm darum - und das schreibt er auch so - gesellschaftliche Spannungen so hoch zu treiben, dass es einen Krieg gegen die Demokratie, gegen die offene Gesellschaft und insbesondere gegen Menschen aus Einwandererfamilien gibt. Das ist das Ziel, das er und nicht nur er, sondern viele Rechtsextremisten auf der ganzen Welt verfolgen.

Kann man den mutmaßlichen Attentäter denn einer bestimmten rechten Gruppierung zuordnen? 

Eine Zuordnung ist nicht so einfach. Er ist Teil einer globalen "Neuen Rechten", die insbesondere Muslime als Feinde auserkoren hat. Es ist nicht bekannt, ob er irgendwelchen Gruppen angehört hat. Angeblich hat er in Europa Kontakt gehabt mit verschiedenen Rechtsradikalen, angeblich ja auch mit Anders Breivik, dem norwegischen Rechtsterroristen, oder ihm zumindest Briefe geschrieben. Das ist noch unklar. Aus meiner Sicht ist er ein besonderes Beispiel für diesen neuen Rechtsextremismus, den wir weltweit erleben. Dieser wird auch aus dem Internet motiviert und breitet sich insbesondere dort aus. Er braucht nicht mehr diese klassischen festen Strukturen und Gruppen, wie wir sie aus dem Rechtsterrorismus etwa der 1970er, 1980er Jahre kennen. Die "Neuen Rechten" radikalisieren sich in virtuellen Umgebungen. Hier suchen sie nach Bestätigung. Sie setzen unterschiedliche Ideologie-Elemente, die zum Teil weit zurückgehen in das letzte Jahrhundert - also in den klassischen historischen Faschismus - zusammen mit aktuellen Entwicklungen und Narrativen, die auch nicht nur in der rechtsextremen Szene verbreitet sind. Wie etwa die These: Deutschland schaffe sich ab.

Viele Attentäter kommen bei ihren Taten ums Leben oder bringen sich um, bevor sie gefasst werden können. Der mutmaßliche Attentäter von Christchurch ließ sich festnehmen. Was sagt das über ihn aus?

Nach Anschlag auf Moscheen in Neuseeland | Jacinda Ardern
Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern tröstet eine Angehörige eines OpfersBild: picture-alliance/AP Photo/TVNZ

Auch das hat er in seinem Manifest erklärt, dass er nicht den Tod sucht. Er nimmt ihn in Kauf, wenn es dazu kommt. Aber lieber möchte er verhaftet werden, möchte auch vor Gericht - so ähnlich wie das auch Anders Breivik gemacht hat - seine politische Kampagne weiterführen. Er sieht sich als ein Märtyrer, der eines Tages, nämlich nach dem aus seiner Sicht befreienden Bürgerkrieg, wieder frei kommt und ein Held ist. Er sieht sich in einer Traditionslinie mit Nelson Mandela, der am Anfang auch als Terrorist galt und dann nach 27 Jahren Gefängnis als Held verehrt wurde. Das ist eine größenwahnsinnige Selbstzuschreibung, die er für sich in Anspruch nimmt. Das bedeutet, es ist zu befürchten, dass wir auch weitere ideologische Botschaften von ihm hören werden.

Sie haben Anders Breivik mehrfach angesprochen. Den soll er explizit als Vorbild genannt haben. Meinen Sie, er hat versucht, Breivik nachzueifern und ihm möglichst viel nachzumachen?

Er hat sich auf jeden Fall in verschiedenen Merkmalen der Tat an Breivik orientiert. Was das Manifest angeht, hat er sich selbst - wie auch Breivik - als Mitglied einer internationalen Templer-Gemeinschaft dargestellt. Er hat - wie das auch Breivik getan hat - seine Tat in einen historischen Kontext der Kreuzzüge gegen den Islam gestellt, sich stark auf eine europäische Identität bezogen. Insofern sind viele Versatzstücke aus Breiviks Manifest in diesem Manifest wiederzufinden, auch bei der Tatbegehung, dieser direkten Erschießung Face to Face und nicht etwa durch Bomben oder so etwas. Breivik war für ihn ganz offensichtlich ein großes Vorbild.

Der Soziologe Matthias Quent leitet das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.

Das Interview führte Marco Müller.