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Der Chef-Diplomat: Joschka Fischer

Jens Thurau7. August 2002

Vom Sponti-Führer in Frankfurt zum Außenminister der Bundesrepublik Deutschland: Kaum ein anderer deutscher Politiker kann einen ähnlich schillernden Lebenslauf vorweisen wie Joschka Fischer.

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Im Wandel liegt die Kraft: Außenminister FischerBild: AP

Straßenkämpfer, Linksradikaler, Minister in Turnschuhen, pöbelnder Oppositionschef, Bundesaußenminister im Nadelstreifenanzug, Diplomat. Die Wandlungen des derzeit beliebtesten deutschen Politikers sind zahlreich. Geboren wurde Fischer 1948 in Gerabronn. Die Schule brach er ab, er blieb lebenslang ein Autodidakt. Im Frankfurt der Siebziger Jahre war er militanter Straßenkämpfer, Revolutionär - und Buchhändler. Er hörte die Philosophen Adorno und Habermas, ohne an der Universität eingeschrieben zu sein.

Taxifahrer und Turnschuh-Minister

Früher als andere in der Sponti-Szene wandte er sich von der Gewalt ab. Er arbeitete lieber als Taxifahrer und schloss sich 1982 den gerade gegründeten Grünen an. Von Anfang an wandte sich Fischer gegen revolutionäre Illusionen und avancierte stattdessen zum Wortführer der so genannten Realpolitiker, die einen pragmatischen Kurs der Umweltschutzpartei favorisierten.

Das Ergebnis: 1985 die erste Koalition in Hessen mit der SPD, Fischer wurde Umweltminister. Zur Vereidigung kam er in leuchtend weißen Turnschuhen. Zuvor hatte er bereits seit 1982 als Abgeordneter im Bundestag durch seine Reden auf sich aufmerksam gemacht. Bei den Debatten im Parlament stellte sich schnell heraus, dass Fischer rhetorisch ein Ausnahmetalent ist. Inzwischen gilt er unter den deutschen Spitzenpolitikern als einer der besten Redner.

Weitere Stationen seiner Karriere waren ein erneutes Ministeramt in Hessen, bevor er der politischen Arbeit der Grünen im Bundestag als machtbewusster Fraktionschef seinen Stempel aufdrückte. Obwohl Fischer nie ein hohes Parteiamt bei den Grünen ausübte, wurde er in den Neunziger Jahren zu ihrem heimlichen Chef. Mit der Folge, dass sich die Partei immer mehr seinem realpolitischen Kurs anschloss.

Außenminister und Marathon-Läufer

Als ihr erster und bester Wahlkämpfer machte Fischer die Grünen bei breiten Gesellschaftsschichten hoffähig. 1998 war er dann am Ziel: Koalition auf Bundesebene mit der SPD, Fischer wurde Außenminister. Kurz danach folgte die härteste Bewährungsprobe für den grünen Außenminister, aber besonders für seine Partei: Die Zustimmung zu den Bundeswehreinsätzen auf dem Balkan, im Kosovo und in Afghanistan.

Anders als noch Jahre zuvor präsentierte sich Fischer dabei auch äußerlich verwandelt: rank und schlank. Nach einer beeindruckenden Fastenkur 1996 hatte der früher feiste Politiker drastisch abgenommen. Heute ist Fischer ein Asket, trinkt keinen Tropfen Alkohol und hat mehrere Marathon-Läufe absolviert.

Der frühere Wortführer der militanten Sponti-Szene ist inzwischen nicht nur in Deutschland, sondern auch international hoch geachtet. Sein Ansehen mag auch damit zu tun haben, dass Fischers politische wie persönliche Entwicklung zu einem Großteil in aller Öffentlichkeit stattfand. Dem interessierten Publikum mutete der derzeitige deutsche Außenminister manche Irrungen und Wandlungen zu, langweilig war er jedoch nie.