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Der chilenische Wasser-Krieg

Sophia Boddenberg Santiago de Chile
2. März 2020

Kleinbauern in Chile leiden unter einer schweren Dürre. Die privatisierte Wasserversorgung verschärft die Folgen. Chile ist das einzige Land der Welt, in dem die Wasserversorgung zu beinahe 100 Prozent privatisiert ist.

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Wasserprivatisierung in Chile | Miriam Pizarros Ziegen
Bild: DW/S. Boddenberg

Auf staubtrockenen Hügeln suchen die Ziegen von Miriam Pizarro vergeblich nach Nahrung. "Ich musste Gras für meine Tiere kaufen, weil hier nichts mehr wächst. Wenn es dieses Jahr nicht regnet, weiß ich nicht mehr, was ich machen soll", sagt sie. Über 40 ihrer Ziegen sind in den letzten Monaten gestorben. "Die Jungtiere waren unterernährt und die trächtigen Ziegen sind bei der Geburt gestorben, weil sie nicht genug Kraft hatten." Pizarro ist Ziegenhirtin und lebt von ihren Tieren. Sie verkauft Ziegenkäse und -milch. "Wenn wir kein Wasser haben, können wir hier nicht überleben", sagt sie.

Die Ziegenhirtin Miriam Pizarro
Die Ziegenhirtin Miriam PizarroBild: DW/S. Boddenberg

Die Agrarindustrie verbraucht 80 Prozent des Wassers

Die Hirtin lebt in der Nähe des kleinen Dorfs Tulahuén im Limarí-Tal im Norden Chiles. Es ist eine der Regionen, die am stärksten von der schweren Dürre betroffen ist, die das Land gerade erlebt. Über 34.000 Tiere sind dem Landwirtschaftsministerium zufolge im vergangenen Jahr wegen der Dürre verendet. Das Limarí-Tal war einst grün und fruchtbar, heute gleicht es einer Wüste. Das einzig Grüne sind die Monokulturen der Agrarindustrie: Avocados, Trauben und Zitrusfrüchte werden hier angebaut, der Großteil davon für den Export.

Chile befindet sich auf Platz 18 der Länder der Welt, die unter hohem Wasserstress leiden. Das zeigt der Wasserrisiko-Atlas des World Ressource Institute. Wasserstress bedeutet, dass mehr Wasser verbraucht wird als auf natürlichem Weg - etwa durch Regen - nachkommt. In Chile gehen fast 80 Prozent des Verbrauchs auf das Konto der Agrarindustrie.

Grün sind nur noch die bewässerten Großplantagen der Agrarunternehmen
Grün sind nur noch die bewässerten Großplantagen der AgrarunternehmenBild: DW/S. Boddenberg

"In Chile gibt es einen Wasser-Krieg"

Raúl Cordero ist Klimaforscher an der Universidad de Santiago und vermutet, dass der Wasserstress in den nächsten Jahren noch zunehmen wird, weil der Wasserverbrauch der Agrarindustrie stetig ansteigt. "Die Dürre trifft vor allem die arme Landbevölkerung. Auf dem Land gibt es reiche Bewohner mit großen Ländereien und Plantagen und es gibt arme Bewohner, die weniger Möglichkeiten haben, Zugang zu Wasser zu bekommen", sagt er. "Der Klimawandel verändert nicht nur das Klima, sondern verschärft auch soziale Konflikte. In Chile gibt es einen Wasser-Krieg."

Die Auswirkungen dieses Krieges spüren vor allem die Kleinbauern, deren Lebensgrundlage auf dem Spiel steht. Auch Alejandro Cortés und seine Lebensgefährtin Laura López leben im Limarí-Tal und halten Ziegen und Schafe. Sie haben außerdem ein paar Nuss- und Obstbäume auf ihrem Grundstück und bauen Trauben an. Sie erhalten aber nur alle 19 Tage Wasser und es wird immer schwieriger, damit alle Pflanzen und Tiere zu versorgen. "Die Unternehmer der Agrarindustrie kontrollieren hier die Wasserversorgung. Sie stehlen uns das Wasser und werden dabei vom Staat unterstützt", sagt Cortés.

Alejandro Cortes und Laura Lopez
Alejandro Cortes und Laura LopezBild: DW/S. Boddenberg

Wasserrechte in den Händen weniger Unternehmer

Chile ist das einzige Land der Welt, in dem die Wasserversorgung beinahe vollständig privatisiert ist. Das Wasser-Gesetz, das das möglich macht, der Código de Aguas, wurde 1981 während der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet verfasst. Dieses Gesetz definiert Wasser zwar als ein "öffentlich genutztes nationales Gut", doch es ermöglicht dem Staat die Vergabe von kostenlosen und auf unbegrenzte Dauer gewährten Nutzungsrechten an Dritte. Wasser gilt seitdem als frei handelbare Ware unabhängig vom Landbesitz. Deshalb konzentrieren sich die Wasserrechte mittlerweile in den Händen weniger Großunternehmer aus dem Agrar-, Bergwerks- und Forstwirtschaftssektor. Da das Wasser immer knapper wird, boomt außerdem der Spekulationsmarkt: Privatpersonen kaufen Wasserrechte zu niedrigen Preisen ohne sie in Anspruch zu nehmen, um sie anschließend teurer zu verkaufen.

"Wasser sollte ein Menschenrecht sein und kein Geschäft"

Im Limarí-Tal haben viele Kleinbauern aus der Not heraus ihre Wasserrechte an die Großunternehmer verkauft. "Wasser sollte ein Menschenrecht sein und kein Geschäft", findet López. "Das Código de Aguas ist kriminell, weil es das Wasser zum Privatbesitz gemacht hat. Er stellt wirtschaftliche Interessen vor die Bedürfnisse der Bevölkerung", fügt Córtes hinzu. Er ist der Präsident der Comunidad de Aguas del Canal Mollar und setzt sich dafür ein, dass die Mitglieder der Gemeinde genug Wasser haben. Dafür muss er sich immer wieder mit den Agrarunternehmern anlegen. 

Seine Nachbarn, die zu einer anderen Gemeinde gehören, haben noch nicht einmal Zugang zu Trinkwasser. Der Kanal, der sie mit Wasser versorgen sollte, ist weiter oben in den Bergen zugewachsen und der Besitzer des Grundstücks kümmert sich nicht um die Instandhaltung. Die über 70-jährigen Männer haben deshalb vor einem Jahr angefangen, selbst den Kanal zu reinigen. Córtes hat ihnen dabei geholfen, finanzielle Unterstützung zu beantragen, weil sie nicht lesen und schreiben können. "Wir müssen uns gegenseitig unterstützen", findet er.

Alejandro Cortes hilft seinen Nachbarn, einen Kanal zu reinigen
Alejandro Cortes hilft seinen Nachbarn, einen Kanal zu reinigenBild: DW/S. Boddenberg

Privatisierung des Wassers in Verfassung festgeschrieben

Für Cortés und López ist das Leben auf dem Land auch eine Form von Widerstand. "Wir versorgen uns selbst und leben autonom. Wir brauchen weder Supermarkt noch Shopping-Mall. Deshalb ist die Landbevölkerung eine Gefahr für das neoliberale System", meint López. "Die Regierung will, dass wir alle in die Städte ziehen, damit sie uns besser kontrollieren kann und die Agrarindustrie auf dem Land machen kann, was sie will." Einen Wandel erhoffen sich die beiden durch die neue Verfassung, für die die Protestbewegung in Chile seit Oktober kämpft.

Politikwissenschaftler Octavio Avendaño forscht zu Wasserkonflikten und zur Wassergesetzgebung in Chile: "Das Wasser ist knapp, weil sein Besitz konzentriert ist und das ist eine Folge der Privatisierung und nicht des Klimawandels", sagt er. Die einzige Möglichkeit, das zu ändern, sei eine Änderung der Verfassung. "Die Privatisierung des Wassers ist in der Verfassung festgeschrieben. Diese legt außerdem fest, dass Eigentumsrechte wichtiger sind als Grundrechte. Davon sind nicht nur die Kleinbauern betroffen, sondern die gesamte Bevölkerung."

Zugang zu Wasser ist eine Forderung der Protestbewegung

Eine neue Verfassung, die die Bedürfnisse der Bevölkerung vor wirtschaftliche Interessen stellt und allen den Zugang zu Wasser garantiert, ist deshalb eine der Forderungen der Protestbewegung, die Chile seit Oktober erfasst hat. Im Elqui-Tal, nördlich vom Limarí-Tal, setzen sich die Mitglieder der Asamblea en Defensa del Elqui (Versammlung zur Verteidigung des Elqui-Tals) dafür ein, Bewusstsein zu dem Thema zu schaffen. Die Versammlung existiert schon seit sechs Jahren, aber seit Oktober ist sie viel größer geworden. "Früher nahmen hier 20 oder 30 Personen am Protest für das Wasser teil, seit Oktober sind es über 1000", sagt Manuel Rojas. "Was gerade in Chile passiert, kommt nicht von ungefähr. Es ist die Folge jahrelanger Arbeit von tausenden Personen in verschiedenen Territorien. Der Kapitalismus befindet sich weltweit in einer Krise."