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Frauen an die Urne in Saudi-Arabien

29. September 2011

In Saudi-Arabien sollen Frauen ab 2015 erstmals an die Wahlurnen gehen können. Warum noch nicht bei den jetzigen Kommunalwahlen? Fragen an den saudischen Bürgerrechtler und Journalisten Abdel Aziz Al-Khamis in London.

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Saudische Frauen in einem Internet-Café (Foto: AP)
Frauen dürfen in Saudi-Arabien erst ab 2015 wählen.Bild: AP

DW-WORLD.DE: Warum dürfen sich die saudischen Frauen bei den jetzigen Kommunalwahlen noch nicht beteiligen?

Abdelaziz Al-Khamis: ´"Frauen in Saudi-Arabien haben sehr große Probleme – das beschränkt sich nicht auf die Frage des Wahlrechts. Die Frauen fordern mehr. Sie fordern grundlegende Rechte wie die Gleichstellung mit den Männern oder auch das Recht, Auto zu fahren. Deshalb betrachten sie die Frage des Wahlrechts als eher formalistische Angelegenheit - selbst die saudischen Männer haben ja bislang keine vollständigen politischen Rechte erhalten. Wir wissen, dass die Regierung den Frauen zunächst versprochen hatte, sie bereits an den jetzigen Wahlen zu beteiligen. Dieses Versprechen wurde jedoch nicht eingelöst."

Welche Bedeutung haben die Kommunalwahlen nach Ihrer Einschätzung im politischen Sinne?

"Wahlen tragen immer zur Schaffung einer politischen Kultur bei, zur Kultur des Wählens und Kandidierens. Das ist vielleicht die wichtigste Frucht dieses Experiments. Allerdings ist dieses Experiment unzulänglich. Denn die Bürger wählen nur die Hälfte der Mitglieder für ihr kommunales Parlament. Zudem haben diese Gremien keine wichtigen Befugnisse, es sind beratende Gremien ohne Kompetenzen. Ihr Nutzen besteht für die Regierung und für das Regime darin, dem Westen zu demonstrieren, dass auch in Saudi-Arabien gewisse demokratische Reformen durchgeführt werden. Ein wichtiger Punkt ist aber tatsächlich, dass der saudische Bürger begonnen hat, sein Wahlrecht auszuüben. Das ist an sich schon eine neue Entwicklung, und bei dieser Entwicklung wird es bestimmt nicht bleiben. Der Druck des Volkes wird anwachsen – dahingehend, dass diese Gremien nun auch mehr Befugnisse bekommen sollen."

Die saudischen Machthaber könnten dennoch versucht sein, bereits den jetzigen Wahlgang im Ausland als eine Form der Demokratie zu verkaufen …

"Ja, genau das geschieht jetzt auch. Sie haben dies bereits bei den ersten Wahlen dieser Art 2005 so gemacht und davon profitiert. Damals hatten sie Kräften im Westen, die entsprechenden Druck ausüben, gezeigt: Wir organisieren hier einen politischen Wahlgang und haben damit begonnen, das Land aus einer Diktatur heraus in Richtung politischer Partizipation zu führen. Aber der Durst des saudischen Volkes nach weitgehender Beteiligung, nach einklagbaren politischen Rechten und nach gewählten Gremien mit echten Befugnissen ist ebenfalls nicht länger zu übersehen. Die jetzigen Kommunalwahlen haben zwar vor allem dekorativen Charakter - aber nach Ansicht vieler saudischer Bürger ist das besser als gar nichts. Aus meiner Sicht ist es zudem nützlich für die weitere Aufklärung über politische Rechte und für die Etablierung einer Kultur der Bürgerbeteiligung."

Sie betrachten diese Wahlen also quasi als Übung oder Vorbereitung hinsichtlich späterer, tiefer greifender Reformen. Ist das eine realistische Erwartung?

"Dieser demokratische Prozess wird kommen - daran besteht für mich kein Zweifel. Und am Ende wird sich das Regime der Demokratie und politischen Beteiligung beugen. Das ist das Schicksal eines jeden Regimes: Entweder es bricht zusammen - oder es erneuert sich selbst. Natürlich will das saudische Regime nicht zusammenbrechen. Folglich ist es gezwungen, sich selbst zu erneuern. Die Frage ist nur, wann das Regime diesen Schritt tut. Ich hoffe, dass der Arabische Frühling diesen Prozess noch weiter beschleunigen wird."

Abdelaziz Al-Khamis ist einer der bekanntesten Journalisten saudischer Herkunft und lebt in London. Er leitet das Zentrum für Menschenrechte in Saudi-Arabien.

Interview: Abdelmoula Boukhraiss

Redaktion: Rainer Sollich