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Der Deutsche und die "German Angst"

Peter Zudeick3. Dezember 2012

Wenn der Deutsche sich bedroht fühlt - dann aber gleich richtig. In seiner fünften Kolumne widmet sich Peter Zudeick der "German Angst".

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Angst. Foto: Fotolia
Bild: Fotolia

Das ist doch mal wieder ein schöner Erfolg für die deutsche Sprache und das Deutsche insgesamt. Nachdem schon "Blitzkrieg", "Kindergarten", "Rucksack" und "Gemütlichkeit", "Wunderkind", "Schadenfreude", "Wirtschaftswunder", "Waldsterben" und viele andere deutsche Wörter Eingang in fremde Sprachen gefunden haben, macht auch die "Angst" große Karriere. Nur: So erfreulich das auch sein mag, verstehen können wir nicht so richtig, dass es eine spezifisch deutsche Art von Angst geben soll.

Irgendwie haben wir uns doch immer den Kelten verwandt gefühlt, die bekanntlich vor nichts Angst haben. Außer dass ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Bei uns heißt das: "Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt!" Das hat Otto von Bismarck, der erste deutsche Reichskanzler, im Jahr 1888 im Reichstag gesagt. Was ist bloß passiert zwischen 1888 und heute?

Reichskanzler Otto von Bismarck. Foto: dpa
Reichskanzler Otto von Bismarck fürchtete "Gott, sonst nichts"Bild: Ullstein

Ja, gut, zwei Weltkriege sind passiert. Und das soll die Deutschen insgesamt so eingeschüchtert haben, dass sie nicht mehr so großspurig daherkommen und eher so ein allgemeines Leiden an der Welt pflegen, eine kollektive Krankheit, die etwas mit dem "Weltschmerz" zu tun hat, den die deutsche Romantik erfunden hat. Und außerdem ist nach dem zweiten Weltkrieg der deutsche Philosoph Martin Heidegger passiert, der das Leben an sich als "Sein zum Tode" definierte, weshalb das vorherrschende Lebensgefühl die Angst sei. So was nehmen wir Deutschen sehr gerne sehr ernst.

Daher diese dumme Angst vor diffusen Bedrohungen, vor dem, was wir nicht kennen. Wenn die Rinderseuche grassiert, die Schweinepest, die Vogelgrippe - wer fühlt sich bedroht? Wir Deutschen. Die anderen lachen uns aus. Wenn die karitative Einrichtung namens "Google" Straßen und Häuser fotografiert, um alle Welt zu erfreuen - wer hat Angst vor Ausforschung und Datenmissbrauch? Wir Deutschen. Und "Google" lacht uns aus.

Wenn das westliche Wertesystem im Irak, in Afghanistan, in Libyen oder wo auch immer verteidigt werden muss - wer nennt das Krieg und hat Angst davor? Wir Deutschen. Die anderen lachen immer noch. Wenn auch nicht mehr alle. Wenn die Atomkraft allüberall Heil und Segen spendet und den Reichtum der Völker mehrt - wer wittert nichts als Unheil? Wir Deutschen. Und die Engländer und Franzosen und Tschechen und Russen und Finnen und Japaner lachen uns aus. Wenigstens solange, bis im japanischen Atomkraftwerk Fukushima die Kerne schmelzen.

Vogelgrippe. Foto: AP
Panik vor der VogelgrippeBild: AP

Das alles muss damit zu tun haben, dass der Deutsche gerne grübelt. Anstatt fröhlich hinzunehmen, was das Leben an Möglichkeiten bietet, denkt er nach. Er zweifelt. Er will ergründen, den Sachen auf den Grund gehen. "Angst ist nicht bloß Mutlosigkeit, sondern quälende Sorge, zweifelnder, beengender Zustand überhaupt." So steht es im "Deutschen Wörterbuch" von Jacob und Wilhelm Grimm. Und diesen Zustand erreicht man leicht, wenn man die Unzulänglichkeit dieser Welt ergrübelt hat und feststellt, dass gegen die kein Kraut gewachsen ist. Auf keinen Fall ein deutsches.