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Der Erste Weltkrieg in den Medien

Marie Todeskino9. Januar 2014

Jahrzehntelang war der Erste Weltkrieg vielen Deutschen wenig präsent. Doch pünktlich zum Auftakt des Erinnerungsjahrs 2014 ändert sich das. Manche Medien ziehen sogar Parallelen zur Euro-Krise. Eine Presseschau.

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Titelseiten von Zeitungen und Zeitschriften zum Thema Erster Weltkrieg
Bild: DW/P. Henriksen

Begeisterte Massen, die den Krieg bejubeln, Züge strahlender Soldaten auf dem Weg an die Front und dann Bilder vom Sterben in einer Mondlandschaft namens Verdun: Der Erste Weltkrieg ist zurzeit überall. Ausstellungen in ganz Europa erinnern an den Krieg und seine Folgen. Allein in Deutschland erscheinen rund 150 neue Bücher zum Thema. Und die Medien erinnern in großen Specials und Kommentaren an den Kriegsausbruch vor 100 Jahren. Das ist neu: In der deutschen Erinnerungskultur hat die "Urkatastrophe des 21. Jahrhunderts" mit 20 Millionen Toten nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Die Grauen des Zweiten Weltkriegs und die deutsche Schuld haben das Gedenken an den Ersten Weltkrieg jahrzehntelang überdeckt.


Deutsche Hauptschuld?

Doch nun ist der "Große Krieg", wie der Erste Weltkrieg früher genannt wurde, das große Thema. Dabei stellen Kommentatoren auch die alten Fragen neu: Wer war schuld am Ersten Weltkrieg? Wie hätte die Katastrophe verhindert werden können? Und: Was können wir heute daraus lernen? Befeuert wird die Diskussion besonders von zwei monumentalen Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt: "Die Schlafwandler" von Christopher Clark und "Der Große Krieg – Die Welt 1914-1918" von Herfried Münkler.

Clark stellt in Frage, was in Deutschland seit den 1960er Jahren Konsens unter deutschen Historikern war: Dass Deutschland die Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trägt. Vielmehr beschreibt er die Ereignisse bis zum Kriegsausbruch im August 1914 als "Ergebnis einer dichten Folge von Ereignissen und Entscheidungen einer durch vielfältige Beziehungen und Konflikte verflochtenen Welt."

Erster Weltkrieg: Schlachtfeld bei Verdun um 1917
Verdun: eines der schlimmsten Schlachtfelder des Ersten WeltkriegsBild: picture-alliance/AP Photo


"Verantwortung nicht kleinreden"

Die "Neue Zürcher Zeitung" schreibt dazu: "In seinem vor kurzem auf Deutsch erschienenen Buch 'Die Schlafwandler', das virtuos und detailgenau den Ursachen und Konstellationen des Ersten Weltkriegs bis zu Sarajevo nachforscht, zeichnet der Historiker Christopher Clark ein eindrückliches Bild auch Serbiens im Vorlauf auf den Großkonflikt." Es gehe Clark in Bezug auf den Ersten Weltkrieg "nicht darum, die Verantwortung der Mittelmächte an dessen Ursachen und Weiterungen kleinzureden."

Der Historiker Christopher Clark Frankfurter Buchmesse 11.10.2013
Der Historiker Christopher ClarkBild: picture-alliance/dpa

Die Debatte um die Schuldfrage spiegeln auch andere Medien wieder: In einem zweiseitigen Interview in der "Frankfurter Rundschau" hat der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler Clarks These am 18.12.2013 widersprochen. Er bleibt bei einer deutschen Hauptschuld, sieht aber durch den fanatischen Nationalismus auf allen Seiten Schuldanteile. Die "Berliner Zeitung" bringt in einer Besprechung der Neuerscheinung von Herfried Münkler am 30.12.2013 noch einen anderen Aspekt ins Spiel: "Unter der Hand erklärt er damit auch, woher das wachsende Interesse am Ersten Weltkrieg kommt: Man kann an ihm das fatale Ineinanderfließen sachlich wie räumlich voneinander getrennter Konflikte studieren."


"Unheimliche Aktualität"

Hat der Erste Weltkrieg mehr mit heutigen Konflikten zu tun, als wir denken? Im Fokus steht nun auch "die unheimliche Aktualität" des Krieges (Der Spiegel, 1/30.12.2014). Im Heft heißt es: "In Zeiten der Nato mit integrierten Streitkräften kann sich kaum noch jemand einen Krieg zwischen Europäern vorstellen. Doch es lässt sich im 21. Jahrhundert auch anders Unfrieden stiften. Was früher die Mobilmachung der Streitkräfte war, kann heute die Drohung sein, einen Staat wie Griechenland in die Pleite zu schicken, wenn dessen Bürger nicht den Forderungen europäischer Finanzminister nachkommen."

Auch andere Medien stellen einen Zusammenhang her. Der Kölner Stadt-Anzeiger zieht am 01.01.2014 Parallelen zwischen der Juli-Krise, die in den Ausbruch des Ersten Weltkriegs mündete, und der seit Jahren andauernden Euro-Krise: "In den Krisensitzungen um den Euro wissen alle, dass ein Scheitern der Verhandlungen katastrophale Auswirkungen haben könnte. Dennoch siegen immer wieder nationale Interessen, wo es ums Wohl aller Staaten geht. Die Akteure vom Juli 1914 könnten in einem zugespitzten Sinne sogar unsere Zeitgenossen sein."

Bild von Herfried Münkler, Politikwissenschaftler und Autor
Der Politikwissenschaftler Herfried MünklerBild: picture-alliance/dpa


"Schlüssel im deutsch-französischen Verhältnis"

Dazu fragt die "taz" am 02.12.2013 in einer Besprechung von Münklers Buch: "Ist Deutschland wieder in der prekären Situation, für die Rolle des Hegemonen in Europa zu klein zu sein und zu groß als einer unter vielen - nur dass nicht mehr mit Flottenaufrüstungs-, sondern mit Kreditlinien gekämpft wird?" Und antwortet, der Schlüssel liege im deutsch-französischen Verhältnis: "Solange diese Achse funktioniert, bleibt Europa pazifistisch."

Auch internationale Medien versuchen, Lehren aus dem Ersten Weltkrieg zu ziehen. So schreibt die Financial Times am 02.01.2014: "Obwohl es keinen Grund dafür gibt, zu befürchten, dass die Welt von 2014 am Rande einer so epochalen Katastrophe steht, gibt es einige beunruhigende Ähnlichkeiten zwischen heute und damals." Zum Beispiel: "Vor 100 Jahren war es Deutschland, das auf Kosten des britischen Empire seinen Platz an der Sonne suchte. Heute sind es zunehmend China und die USA."

Grauen des Ersten Weltkriegs: Giftgasangriff deutscher Soldaten
Grauen des Ersten Weltkriegs: Giftgasangriff deutscher SoldatenBild: picture alliance/empics


"Unheilvolles Echo"

Der "Economist" vergleicht am 21.12.2014 die Vereinigten Staaten mit dem untergehenden Empire und gibt China die Rolle des damaligen Deutschen Reichs: "eine neue Wirtschaftsmacht, die strotzend vor nationaler Empörung militärisch aufrüstet." Und die "International New York Times" schreibt am 14.12.2013 über "das unheilvolle Echo des Großen Kriegs".

Doch bei allen Vergleichen zwischen 1914 und 2014 - das Erinnern an den Ersten Weltkrieg findet europaweit auch "von unten" statt. In Internetportalen wie europeana1914-1918.eu, bei denen Nutzer Fotos und Briefe ihrer Vorfahren hochladen können, in TV-Dokumentationen, die das Leid der einfachen Soldaten beleuchten und in umfangreichen Print- und Online-Serien über den "Großen Krieg" und seine Folgen. Auch die DW hat für das Jahr 2014 zahlreiche multimediale Projekte, Filme und Serien geplant. Aktuelle Informationen, Bilder und Videos gibt es auf www.dw.de/geschichte.


Christopher Clark, Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, DVA 2013.

Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914-1918, Rowohlt Berlin 2013.