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Der Fall Ageeb vor Gericht

2. Februar 2004

Vor einem halben Jahrzehnt ereignete sich bei der gewaltsamen Rückführung eines Asylanten ein tragischer Zwischenfall. Jetzt endlich wird der Fall auch richterlich untersucht.

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Flughafen Frankfurt: Von hier aus werden kriminelle Asylbewerber in ihrer Heimatländer abgeschobenBild: AP

Fast fünf Jahre nach dem Tod des Sudanesen Aamir Ageeb bei seiner Abschiebung aus Deutschland müssen sich seit Montag (2.2.2004) drei Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung vor. Der Prozess findet vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main statt. Die Angeklagten - zwei Polizeiobermeister und ein Polizeimeister - hatten am 28. Mai 1999 den Sudanesen auf einem Lufthansa-Flug von Frankfurt am Main über Kairo nach Khartum in den Sudan begleitet und derart stark in den Sitz gedrückt, dass dieser erstickte.

Am ersten Prozesstag verweigerten die Beschuldigten jegliche Aussage. Sie beriefen sich auf fehlende Aussagegenehmigungen. Das Bundesinnenministerium in Berlin erklärte dagegen, die ihnen erteilte Aussagegenehmigung gelte "ohne jegliche Einschränkung".

Erstickungstod im Flugzeug

Ageeb leistete der Anklage zufolge vor und während des Fluges heftigen Widerstand. Deshalb wurden ihm Plastikfesseln angelegt und ein Integralhelm aufgesetzt. Ageeb habe während des Fluges mehrfach versucht, sich aufzurichten, sei aber von den Polizeibeamten unten gehalten worden, sagte Staatsanwalt Justus Koch. Dann habe der Widerstand Ageebs "abrupt" nachgelassen. Ein Arzt, der sich unter den Passagieren im Flugzeug befand, wurde herbeigerufen und versuchte vergeblich, ihn mit einer Herzmassage wiederzubeleben.

Geklärt werden muss, ob die Beamten um die Lebensgefährlichkeit des Herunterdrückens hätten wissen müssen. Diese Methode des "Ruhigstellens" gilt nach Erkenntnissen der US-Polizei als häufige Todesursache bei Festnahmen, da der fixierte Mensch in dieser Lage zu wenig Luft bekommt. Die Verteidiger und Menschenrechtsgruppen wollen beweisen, dass diese Umstände dem Bundesgrenzschutz schon vor dem Fall Ageeb bekannt waren.´

Ageeb sollte abgeschoben werden, weil er wegen Nötigung, Diebstahls, Hausfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung vorbestraft war. Den drei BGS-Beamten droht im Fall eines Schuldspruchs eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.

Verteidigung beruft sich auf Ausbildungsmängel

Vor Gericht berichteten drei BGS-Beamte als Zeugen, wie Ageeb zum Flugzeug gebracht wurde. Danach hatte er bereits in seiner Zelle heftigen Widerstand gegen die bevorstehende Abschiebung angekündigt. Deshalb sei er mit Plastikfesseln an Handgelenken, Ellenbogen und Füßen gefesselt worden, erklärte einer der Zeugen. Weil er auf der Fahrt zum Flugzeug mit dem Kopf gegen die Scheibe geschlagen habe, sei ihm zudem zum eigenen Schutz und zum Schutz der Beamten ein Helm angelegt worden.

Dass Plastikfesseln laut einer internen Dienstvorschrift aus dem Jahr 1998 auf Abschiebeflügen verboten waren, sei ihm nicht bekannt gewesen, sagte einer der beiden Zeugen. Ins Flugzeug sei er mit den Füßen voran getragen und dann mit einem Klettband am Sitz festgebunden worden. Dabei habe er laut geschrieen.

Zwei der Zeugen gaben an, keinen "Rückführungslehrgang" besucht zu haben. Der dritte Zeuge erklärte, während eines einwöchigen Lehrgangs habe es nur vier Stunden lang Informationen zu "Sicherungs- und Vollzugstechniken" gegeben. Während Abschiebungen hätten aber viele Kollegen "Schreiende heruntergedrückt". Niemand habe ihn auf die Gefährlichkeit des Herunterdrückens hingewiesen.

Laute Kritik

Demonstration gegen Abschiebung
Demonstration gegen AbschiebungBild: AP

Am Morgen hatten vor dem Gericht hatten mehrere Menschenrechtsgruppen - unter ihnen Pro Asyl, das Komitee für Grundrechte und die Vereinigung Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) - eine Mahnwache abgehalten. Neben der langen Zeit bis zum Gerichtsverfahren kritisierten sie die BGS-Führung, die medizinische Erkenntnisse zum so genannten lagebedingten Erstickungstod nicht weitergegeben habe.

Nötig sei eine unabhängige Beobachtungsstelle für Flugabschiebungen auf dem Frankfurter Flughafen, forderte Pro Asyl. Zudem müsse ein unabhängiges Gremium eingerichtet werden, das allen Beschwerden über polizeiliches Fehlverhalten wie Misshandlungen und exzessive Gewaltanwendung nachgehen könne.

Kurz vor Prozessbeginn hatte auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die
Abschiebepraxis der deutschen Polizei kritisiert. Immer wieder habe die Polizei in den vergangenen Jahren bei Abschiebungen Gewalt eingesetzt und Asylbewerber misshandelt, erklärte die Organisation am Freitag (30.2.2004) in Berlin unter Verweis auf einen kürzlich erschienenen Bericht zu Gewaltmissbrauch bei der Polizei. (kas)